Hamburg (dpa/lno). Bis 2045 soll Hamburg klimaneutral sein. Um das zu schaffen, hat der rot-grüne Senat nun ein Maßnahmenpaket vorgelegt, das teils erhebliche Auswirkungen auf die Menschen der Stadt haben wird. Umweltverbänden reicht das jedoch bei Weitem nicht.

Auf Hamburgs Bürgerinnen und Bürger kommen beim Klimaschutz voraussichtlich schon im kommenden Jahr teils erhebliche Verschärfungen zu. Hamburgs rot-grüner Senat hat am Dienstag die Novellierung des Klimaschutzgesetzes und die zweite Fortschreibung des Klimaplans beschlossen. Darin ist beschrieben, wie Hamburg den CO2-Ausstoß bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 70 Prozent senken und bis 2045 CO2-neutral werden will. Die Hamburgische Bürgerschaft soll die Pläne noch in diesem Jahr abnicken. Wie erwartet kam von allen Seiten teils scharfe Kritik an den Senatsplänen. Für die einen gehen sie zu weit, für die anderen gehen sie nicht weit genug. Wieder andere halten sie schlicht für wirkungslos.

„Wir haben heute die Novellierung des Hamburgischen Klimaschutzgesetzes und die zweite Fortschreibung des Klimaplans beschlossen“, sagte Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne). Damit seien die gesetzlichen Grundlagen für ehrgeizigere Klimaziele gelegt. „Das ist ein respektables, großes Paket, das die jetzt notwendigen Schritte, um die Klimakrise, die Klimakatastrophe zu begrenzen auf ein erträgliches Maß, angeht und dabei auch die Machbarkeit und den sozialen Zusammenhalt in der Stadt angemessen berücksichtigt.“

Den vorgelegten Plänen zufolge soll zusätzlich zu den bestehenden Regeln unter anderem schon Anfang 2024 auch für Bestandsgebäude eine Photovoltaikpflicht bestehen. Wer dann sein Dach grundlegend sanieren wolle, müsse mindestens 30 Prozent der Fläche mit Solar-Paneelen versehen. Von 2027 an soll zudem sowohl für Neu- als auch Bestandsbauten eine Solargründachpflicht bestehen, das heißt zusätzlich zu den Solarpaneelen sollen mindestens 70 Prozent der Dachflächen begrünt sein. Dies diene der Hitzevorsorge, der Regenwasserbewirtschaftung und der Luftreinhaltung. Der Senat kündigte an, Solargründächer bis Ende 2026 mit zusätzlich 3,5 Millionen Euro zu fördern.

Darüber hinaus sollen neue oder erweiterte Parkplätze mit mindestens 35 Stellplätzen ebenfalls mit Solaranlagen ausgestattet werden müssen. Durch die Installation der Paneele oberhalb der Stellplätze können aus Sicht des Senats versiegelte Flächen zur Erzeugung erneuerbarer Energie nutzbar gemacht werden. Außerdem werde in Kombination mit Anpflanzungen ein wirksamer Sonnenschutz ermöglicht.

Vorrang bekommen sollen zudem der Ausbau erneuerbarer Energien sowie der Infrastruktur für Strom, Wasserstoff und öffentliche Ladepunkte für Elektrofahrzeuge. Unter anderem sollen die Abstandsregelungen für das Errichten von Wärmepumpen und Photovoltaik-Anlagen gelockert und das Widerspruchsverfahren in Verwaltungsverfahren abgeschafft werden, um den Bau von Windenergieanlagen zu beschleunigen.

Insgesamt muss Hamburg den Berechnungen der Umweltbehörde zufolge den CO2-Ausstoß im Vergleich zu 2021 bis 2030 um rund 7,7 Millionen Tonnen reduzieren. Auf die Privathaushalte entfielen dabei 1,8 Millionen Tonnen, auf Gewerbe, Handel und Dienstleistungen 1,9 Millionen Tonnen, auf die Industrie 2,4 Millionen Tonnen und auf den Verkehr etwa eine Million Tonnen. Der Rest soll als Gemeinschaftsleistung erbracht werden.

Umweltverbände kritisierten die Senatspläne als mangelhaft bis ungenügend. „Die geplanten Maßnahmen sind in Teilen eine Wette auf die Zukunft und scheinen in der Summe kaum geeignet, die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern“, sagte Nabu-Chef Malte Siegert. Die ganz großen Stellschrauben blieben unangetastet. Dazu gehöre etwa das Einpreisen des CO2-Fußabdrucks in die Klimabilanz bei Infrastruktur- und Bauvorhaben.

Für die Umweltorganisation BUND besteht bei den Plänen eine gewaltige Kluft zwischen den ehrgeizigen Klimazielen des Senats und der tatsächlichen Anstrengung, diese auch zu erreichen. „Wenn Bürgermeister (Peter) Tschentscher (SPD) wirklich vorhat, Hamburg europaweit zur ersten klimaneutralen Industriegroßstadt zu machen, sollte er in Sachen Klima-Budgetansatz die Vorreiterrolle einnehmen“, sagte die BUND-Vorsitzende Sabine Sommer. Das Klimabudget gibt die Menge CO2 an, die weltweit noch freigesetzt werden darf, um die globale Erderhitzung auf über 1,5 Grad zu verhindern.

Die Hamburger Sprecherin der Klimabewegung Fridays for Future, Annika Rittmann, sagte, ohne jährliche Zwischenziele, die verlässlich eingehalten würden, und klare Verantwortlichkeiten im Senat sei Klimaneutralität nicht zu schaffen. „Stattdessen erleben wir einen Senat, (...) der die Menschen mit ihren Sorgen allein lässt und Probleme in die Zukunft verschiebt“. Die Organisation GermanZero Hamburg erklärte: „Während sich Tschentscher in der Corona-Pandemie zu Recht das Etikett zum Team „Vorsicht“ zu gehören erworben hat, scheint er beim Klimaschutz in Wirklichkeit mit dem Team „rund-um-sorglos“ oder „wird-schon“ zu liebäugeln.“

Teils unzufrieden zeigte sich auch der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW). Angesichts der schwierigen Lage beim Wohnungsbau sollte alles vermieden werden, was die Schaffung bezahlbaren Wohnraums verteuere, sagte VNW-Direktor Andreas Breitner. Der Industrieverband Hamburg (IVH) mahnte realistische Übergangspfade und pragmatische Genehmigungsverfahren an. Nötig sei etwa ein wettbewerbsfähiger Industriestrompreis, um Produktionsverlagerungen ins Ausland entgegenzuwirken, sagte IVH-Chef Matthias Boxberger. „Hierzu liefert die zweite Fortschreibung des Klimaplans leider keine ausreichenden Antworten.“

Während die Koalitionsfraktionen von SPD und Grünen das Klimapaket lobten, sprachen die Linken in der Hamburgischen Bürgerschaft von der Mogelpackung des Jahres. Die AfD betonte: „Die Drangsalierungen zur Verhinderung einer vermeintlichen Klimakatastrophe gehen weiter.“ Die fraktionslose FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein nannte die Pläne in Zeiten einer veritablen Baukrise und deutlich sinkender Wohnungsbauzahlen verantwortungslos.