Hamburg (dpa/lno). Die Glasfassade des Konzerthauses hat eine Fläche von rund 16.000 Quadratmetern - und die wird dreimal im Jahr von professionellen Industriekletterern gereinigt.

Mehr als 110 Meter lange Seile baumeln entlang der Hamburger Elbphilharmonie im Wind. Der 25 Jahre alte Marlon Dirchs steht in einem wind- und wasserfesten Ganzkörperanzug und mit einem Klettergurt um die Hüften an der Hafenkante und schaut zum Dach der „Elphi“.

Nur wenige Minuten später hängen er und seine Kollegen an diesen Seilen und lassen sich daran von einem sogenannten Seilmofa bis zur Spitze des berühmten Konzerthauses ziehen. Erst dort beginnt für den durchtrainierten Dirchs und seine Kollegen die eigentliche Arbeit. Er ist einer der Fensterputzer, die dem Wahrzeichen Hamburgs dreimal im Jahr zu neuem Glanz verhelfen.

Etwa zwei Wochen braucht das rund zehn- bis elfköpfige Team dafür. Wenn beim Hochfahren am Seil dabei auch die Flächen auf Schäden an Glas oder Gummidichtungen kontrolliert werden, kann es auch drei Wochen dauern. Reihe für Reihe arbeiten sich die drahtigen Fensterputzer dabei um die Elbphilharmonie herum.

Immer in Zweier-Teams nebeneinander und von oben nach unten. Insgesamt müssen 16.000 Quadratmeter Glasscheiben geputzt werden. 40 Minuten bis eine Stunde dauert eine Reihe in etwa. 150 Reihen sind es insgesamt. Höhenangst sollten die eigens dafür geschulten Industriekletterer dafür nicht haben. Bis zur Spitze ist das Konzerthaus 110 Meter hoch.

Die Reinigung ist dabei nicht nur aufgrund der schieren Menge an Fenstern und Glasflächen - 1100 sind es insgesamt - enorm anstrengend. Auch das Wetter kann eine Herausforderung sein. „Wenn es windig ist, ist es noch anstrengender. Das zerrt immer ganz schön an einem“, sagt Industriekletterer Marlon Dirchs dazu.

Dafür haben die Fensterputzer immer einen Doppelsaugnapf mit Verbindungssteg am Klettergurt hängen. Damit können sie sich mit dem Fuß einhängen, um nicht die ganze Zeit durch den Wind noch zusätzlich hin- und her geschaukelt zu werden.

Denn allein das Fensterputzen bringt schon Bewegung in die Körper. Mit viel Kraft zieht Dirchs den Waschbesen, aus dem kontinuierlich Wasser läuft, erst an den Seiten des Fensters nach oben und unten. Und dann mit Schwung und Bogenbewegungen von links nach rechts. Einen Abzieher oder ein Poliertuch braucht Dirchs nicht.

Das Team arbeitet dabei nicht mit Putzmittel, sondern mit Reinwasser. Das ist normales Leitungswasser, dem jedoch auf dem Dach der Elbphilharmonie durch das sogenannte Osmoseverfahren Kalk, Salze und Mineralien entzogen werden. Denn daran bleiben in der Regel Rußpartikel und Staub aus der Luft hängen und das macht das Fenster dreckig. Sind die nicht im Wasser, erleichtert das zum einen die Reinigung und zum anderen bleiben die Glasflächen länger sauber.

Dem Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks liegen keine Zahlen darüber vor, wie viele Industriekletterer für die Außenreinigung an hohen Gebäuden in Deutschland unterwegs sind. „Fest steht, dass die Reinigung in schwindelerregenden Höhen mittels Klettertechnik eine spezifische Tätigkeit ist, die nicht durch die Gesellenausbildung vermittelt wird, sondern einer Zusatzqualifikation bedarf“, sagt ein Verbandssprecher dazu.

Die Reinigung der Elbphilharmonie oder anderer Highlight-Bauwerke sei jedoch für beschäftigungsstarke Handwerksbranche mit fast 700 000 Beschäftigten „immer wieder eine beeindruckende und authentische Werbung, die unterstreicht, wie vielfältig und faszinierend eine Tätigkeit im Gebäudereiniger-Handwerk sein kann“.

Dreimal im Jahr rückt das Fensterputz-Team der Elbphilharmonie aus - im Frühjahr, im Sommer und im Herbst. Der Putzeinsatz kostet jedes Mal mehrere Zehntausend Euro. Wie viel genau will das für das Gebäudemanagement zuständige Unternehmen jedoch nicht verraten - auch aus Wettbewerbsgründen. In dem 2016 fertiggestellten Konzerthaus mit der markanten Dachwelle sind auch Privatwohnungen und ein Hotel untergebracht.

Dirchs, der als freiberuflicher Industriekletterer auch mal auf Windrädern und zur Putzrisssanierung an Fassaden unterwegs ist, mag den „Elphi“-Job. „Ich genieße auch immer den Blick in den Hafen.“ Dabei schaut er gern in die Richtung, in der er selbst auch wohnt. Seit 2019 ist er mit im Elbphilharmonie-Putzteam. „Angst habe ich nicht. Das wäre ein Fehler im System. Aber Respekt sollte man haben.“ Man müsse gleichzeitig sich und seiner Ausrüstung sehr vertrauen, wenn man „da oben hängt“. Am liebsten mag er die Sommertörns, so der 25-Jährige. „Im Schneetreiben ist die Arbeit nicht so schön.“