Rostock. Die wieder zahlreicheren Kormorane entlang der Ostsee sind für viele Fischer ein rotes Tuch. Die Vögel dezimieren den Fischbestand, etwa vom Dorsch - so die Annahme. In der Wissenschaft gibt es Zweifel. Eine Untersuchung soll nun Fakten liefern.

Forscher wollen mit einer großangelegten Untersuchung die Auswirkungen der wieder zahlreicheren Kormorane auf die Dorsch-Population in der westlichen Ostsee untersuchen. Dazu sollen Ausscheidungen der Vögel in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Dänemark untersucht werden, sagte der Fischereiexperte Christopher Zimmermann der Deutschen Presse-Agentur.

Besonders Fischer hätten Kormorane im Verdacht, durch das Fressen junger Dorsche maßgeblich für den Rückgang des Bestandes zu sorgen. Sie forderten deshalb, gegen die Vögel vorzugehen. Zimmermann, Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei in Rostock, zeigte sich hingegen weniger überzeugt.

Nachdem die Vögel vor allem wegen Umweltverschmutzung fast ausgestorben gewesen seien, habe sich ihr Bestand zwar so weit erholt, dass ihr Schutzstatus nach Zimmermanns persönlicher Einschätzung nicht mehr gerechtfertigt ist. „Aber sie jetzt zu dezimieren in irgendeiner Form, ohne zu wissen, welchen Einfluss sie überhaupt haben, in Abwesenheit von Daten, macht aus unserer Sicht überhaupt keinen Sinn.“

Die vom Land Schleswig-Holstein finanzierte Untersuchung soll noch im Sommer starten. Koordiniert werde das Projekt vom Institut für Binnenfischerei in Potsdam-Sacrow. Das Thünen-Institut übernehme etwa die Bestandsmodellierung oder Altersbestimmung der Fische. Auch deutsche und dänische Ornithologen seien beteiligt. Anhand von unverdaulichen Fischresten in den Ausscheidungen soll bestimmt werden, was die Tiere gefressen haben. Zudem soll versucht werden, eine automatisierte Methode mittels Genanalyse zu entwickeln.

Der Dorsch galt neben dem Hering der westlichen Ostsee traditionell als einer der Brotfische der deutschen Ostseefischer und war wichtig für deren Auskommen. Mittlerweile ist sein Bestand so stark dezimiert, dass er nicht mehr gezielt gefangen werden darf.

Daten zeigen laut Zimmermann zwar, dass es immer wieder Jahre mit mehr Nachwuchs gebe - so etwa auch im vergangenen Jahr. Bis zum Heranwachsen auf eine Größe, die für die Fischerei relevant sei, fehle dann aber wieder ein Großteil. Somit könnte die größte Sterblichkeit im Alter zwischen einem und drei Jahren auftreten.

„Unsere Hypothese ist, dass es an den Umweltbedingungen, also vor allen Dingen an zu starker Erwärmung der Oberflächenschicht und zu wenig Sauerstoff in der Tiefe liegt und dass diese Phasen immer länger werden.“ Derartige Bedingungen seien sehr anstrengend für die Tiere, die dann extrem viel Energie benötigten. Fehle es an entsprechender Nahrung, verendeten die Tiere.

In der abgelaufenen Woche hat der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES) seine Empfehlungen für die EU-Kommission zur Festlegung von Fangmengen in der Ostsee veröffentlicht. Beim Hering und Dorsch der westlichen Ostsee empfehle man weiterhin eine Schließung der Fischerei, sagte Zimmermann, der ICES-Mitglied ist. Die Politik war dem bis auf kleine Ausnahmen beim Hering und Beifangmengen für Dorsch zuletzt gefolgt. Das erwartet Zimmermann auch für die Entscheidungen für 2024, die die zuständigen EU-Minister im kommenden Oktober treffen.

Beim Hering gibt es laut Zimmermann Grund zur Hoffnung. 2022 sei im Greifswalder Bodden, der als Herings-Kinderstube gilt, der drittstärkste Nachwuchsjahrgang der letzten 19 Jahre festgestellt worden. „Ob der dann wirklich durchkommt, müssen wir sehen.“ Somit gebe es noch keine Entwarnung. „Aber es geht in die richtige Richtung.“ Zimmermann hofft, dass man für Hering der westlichen Ostsee möglicherweise schon für das Jahr 2025 von einer Nullfangempfehlung abweichen könne. „Und dann werden die Quoten ganz langsam wieder steigen.“