Polizei Hamburg

Aufenthaltsgesetz: Kaum Anklagen in Hamburg bei Verstößen

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Polizeikontrollen finden immer wieder statt: In Hamburg gab es 2022 exakt 9312 Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz.

Polizeikontrollen finden immer wieder statt: In Hamburg gab es 2022 exakt 9312 Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz.

Foto: Jochen Eckel / picture alliance

Staatsanwaltschaft zählt 9312 Verstöße, aber nur elf Anklagen. Bund Deutscher Kriminalbeamter fordert die Politik zum Handeln auf.

Hamburg.  Es ist ein Delikt mit einer der höchsten Aufklärungsquoten. Gleichzeitig wird aber kaum ein Fall zur Anklage gebracht. Nur bei 0,12 Prozent der Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz wurde in Hamburg nach Zahlen der Staatsanwaltschaft im vergangenen Jahr Anklage erhoben. Die ganz überwiegende Zahl der Fälle wird eingestellt. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) spricht von „unfassbar großer Ressourcenverschwendung“. Die Politik sei nun endlich gefordert. Sie müsse dafür sorgen, dass die Sicherheitsbehörden anders mit diesen Taten umgehen können.

9312 Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz

9312 Fälle von Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz, Asylgesetz oder Freizügigkeitsgesetz der EU sind im vergangenen Jahr bei der Staatsanwaltschaft in Hamburg abgearbeitet worden. In lediglich elf Fällen wurde deswegen auch eine Anklage erhoben. In 948 Fällen war der Beschuldigte untergetaucht und nicht mehr auffindbar oder hatte so viel auf dem Kerbholz, dass eine zusätzliche Anklage wegen dieses Deliktes nicht ins Gewicht gefallen wäre. Etwa die Hälfte der Taten wurde aber, in der Masse wegen „Geringfügigkeit“, eingestellt. In 4448 Fällen war das so.

In der Regel handelt es sich um Ausländer, darunter auch Asylbewerber, die in Hamburg angetroffen wurden, sich aber hier gar nicht hätten aufhalten dürfen. Das Gesetz sieht dafür bis zu einem Jahr Haft oder eine Geldstrafe vor.

Viele Verstöße gegen das Gesetz, aber kaum Anklagen

Festgestellt werden solche Verstöße in der Regel von der Polizei bei Überprüfungen, auch im Zusammenhang mit Straftaten oder Razzien. Das erklärt auch die hohe Aufklärungsquote von 99,5 Prozent im vergangenen Jahr bei den polizeilichen Ermittlungen. Bearbeitet werden die Fälle an gleich zwei Dienststellen, am Kriminalkommissariat Region Mitte II und im Landeskriminalamt im Fachkommissariat für Ausländerdelikte.

„Wir setzen hier gleich an zwei Stellen Personal ein, ohne dass etwas dabei herauskommt“, sagt Jan Reinecke, Landesvorsitzender des BDK in Hamburg. Die beiden Bürgerschaftsabgeordneten der CDU, Dennis Gladiator und Richard Seelmaecker, die bereits in der Vergangenheit Kleine Anfragen zu dem Thema gestellt hatten und damit aufdeckten, dass die hohe Diskrepanz zwischen Taten und Anklagen kein vorübergehendes Phänomen, sondern jahrelange Realität ist, werten die Praxis als „Freifahrtschein für Täter und Schlag ins Gesicht für Polizeibeamte“.

Bund Deutscher Kriminalbeamter sieht die Politik in der Pflicht

Nach Ansicht von Reinecke sind Polizei und Justiz nicht in der Lage, den Zustand zu ändern. „Es wird ja absehbar auch so weitergehen, wenn alles so geregelt bleibt, wie es ist“, sagt Reinecke. „Die Polizei ist an Legalitätsprinzip gebunden. Das bedeutet, dass die Beamten, wenn sie von so einer Tat Kenntnis bekommen, auch ein Ermittlungsverfahren einleiten müssen. Ansonsten wäre das Strafvereitelung im Amt.“

Daher sieht Reinecke die Politik als Gesetzgeber in der Pflicht. Gerade von dort würden immer neue Aufgaben für die Polizei in Form von Gesetzen beschlossen. Es fehle laut Reinecke aber gleichzeitig der Wille, an anderer Stelle die Polizei zu entlasten, indem man bisherige Tatbestände entkriminalisiert. „Ich kann mir schon vorstellen, Delikte wie Leistungserschleichung, also Schwarzfahren, zukünftig nicht mehr als Straftatbestand, sondern als Ordnungswidrigkeit einzustufen“, so der BDK-Landesvorsitzende. „Das gilt auch für einen großen Teil der Straftaten, die bislang unter das Aufenthaltsgesetz und das Asylgesetz fallen. Hier könnte man bestehende Gesetze auch enger fassen und Verstöße nach dem Asylgesetz in klar definierten Fällen als Straftat belassen. Beispielsweise, wenn der Verstoß begangen wurde, um in Hamburg eine Straftat wie Drogenhandel oder Taschendiebstahl begehen zu können.“

Wenige Reaktionen aus der Politik

Dann würden nicht nur die Ermittlungsverfahren bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft entfallen. Die Täter müssten auch eine Geldstrafe bezahlen, die, wenn sie nicht beglichen wird, durch Erzwingungshaft abgegolten werden muss.

Aus der Politik kamen nur wenige offizielle Statements zu dem Thema. Anfragen blieben zunächst, auch wegen angeblicher Terminschwierigkeiten, unbeantwortet. Am Abend äußerte sich dann zumindest noch der innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion Hamburg, Sören Schumacher. „Die Staatsanwaltschaft Hamburg geht jedem Verdacht auf eine Straftat nach. Bei Verstößen gegen das Asylaufenthaltsgesetz wird eine Vielzahl der nachgegangenen Fälle aufgrund von Geringfügigkeit oder sonstigen Gründen eingestellt, da es sich um Delikte mit einer vergleichsweise geringen Strafandrohung handelt“, sagte er. Wo das Legalitätsprinzip herrsche, müsse auch das Opportunitätsprinzip mitgedacht werden. Dieses biete der Justiz die notwendige Handlungsfreiheit innerhalb eines rechtlichen Rahmens, in dem die genannten Straftaten fallen. Schumacher: „Die Diskrepanz zwischen Delikt und Verurteilung basiert somit auf der geringfügigen Schwere der Tat und nicht auf einer Überlastung des Polizeiapparats.“

Reinecke vom BDK wundert es nicht, dass viele Politiker sich zu diesem brisanten Thema nicht äußern: „Das Thema einer Herabstufung von Verstößen gegen das Aufenthalts- und Asylgesetz ist vor dem Hintergrund der großen Zahl von Geflüchteten und der damit verbundenen Probleme sowie der Ankündigung einer härteren Gangart bei der Abschiebepraxis sicherlich schwerer vermittelbar.“

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