Hamburg. Eine politische Dauer-Diskussion und ein Streitthema der Koalition werden nach der Amoktat in Hamburg wieder angeheizt. Einige Fragen sind weiterhin offen.

Nach der Amoktat in den Räumen der Zeugen Jehovas in Hamburg dauern die Ermittlungen der Polizei weiter an. Bis Samstagabend lagen dem Lagezentrum der Polizei keine neuen Informationen vor, wie es den Verletzten nach der Tat ging. Trauermärsche oder Gedenkveranstaltungen seien für dieses Wochenende bislang ebenfalls nicht bekannt.

Bei der Amoktat am Donnerstag im Hamburger Norden erschoss der 35-jährige Philipp F. sieben Menschen und sich selbst. Zu den Toten zählt die Polizei auch ein ungeborenes Kind. Acht Menschen wurden verletzt, vier von ihnen schwebten in Lebensgefahr. Der Täter hatte mehr als 100 Mal mit einer halbautomatischen Pistole geschossen. Seit dem 12. Dezember sei er im legalen Besitz dieser Waffe gewesen, hatte Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer bei einer Pressekonferenz gesagt. Als Extremist war der Schütze nach Angaben aus Sicherheitskreisen nicht bekannt.

Der 35 Jahre alte Philipp F. war ein ehemaliges Mitglied der Hamburger Gemeinde der Zeugen Jehovas, die er vor eineinhalb Jahren freiwillig, aber offenbar nicht im Guten verlassen hatte, wie Polizei, Staatsanwaltschaft und Innenbehörde am Freitag sagten.

Philipp F. war Sportschütze, hatte eine Waffenbesitzkarte und war erst kürzlich von der Waffenbehörde aufgesucht worden. Die Behörde hatte im Januar einen anonymen Hinweis auf eine mögliche psychische Erkrankung von Philipp F. erhalten. Dieser wurde Anfang Februar von zwei Beamten der Waffenbehörde unangekündigt aufgesucht.

Damals habe es keine relevanten Beanstandungen gegeben, die rechtlichen Möglichkeiten seien ausgeschöpft gewesen, sagte Meyer. Die gesamten Umstände hätten auch keinerlei Anhaltspunkte für die Beamten ergeben, „die auf eine psychische Erkrankung hätten hindeuten können“. An diesem Punkt verschwand Philipp F. dann wieder vom Radar der Behörden, bis zum vergangenen Donnerstag, bis zu der Gewalttat, die Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) später als „das schlimmste Verbrechen in der jüngeren Geschichte unserer Stadt“ bezeichnete.

Auch mehrere Tage nach der Tat stellen sich Fragen. Ist der Täter zu einfach an seine Waffe gekommen oder wurden anonyme Hinweise, der Mann sei psychisch auffällig, nicht ernst genommen? Wäre er womöglich einem Psychiater oder Psychologen aufgefallen? Über eine frühere Drogenauffälligkeit war ersten Erkenntnissen zufolge nichts bekannt. Es gebe keinen entsprechenden Eintrag bezüglich Drogendelikten, sagte ein Sprecher des bayerischen Innenministeriums. Zuvor hatte es Berichte über möglichen Drogenmissbrauch von Philipp F. in der Vergangenheit gegeben. Er stammt aus Memmingen in Bayern und war seit 2015 in Hamburg gemeldet.

Die Amoktat hat die politische Dauer-Diskussion über schärfere Waffengesetze wieder in den Fokus gerückt. Einen Tag nach dem Verbrechen kündigte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) an, den Entwurf zur Änderung des Waffengesetzes noch einmal prüfen zu wollen. Man müsse überlegen, „wie wir mit dieser neuerlich furchtbaren Amoktat in Hamburg nochmal an den Gesetzentwurf gehen, um zu schauen: Gibt es noch Lücken, oder wo war er genau richtig?“, sagte Faeser am Freitagabend den ARD-„Tagesthemen“.

Auch wenn das Thema Waffenrecht bislang nicht auf der Tagesordnung im Innenausschuss des Bundestages steht, dürfte es weiter für Diskussionen sorgen. Zuletzt hatte Faeser mit ihren Plänen für mehr Kontrollen und Vorschriften die Verbände der Jäger und Schützen gegen sich aufgebracht. Diese wiederum erhielten Unterstützung von der FDP.

Der stellvertretende FDP-Parteivorsitzende Wolfgang Kubicki sagte dem Fernsehsender Welt: „Die natürliche Reaktion, zunächst alles verbieten zu wollen, verbietet sich. Das ist eine menschlich nachvollziehbare Reaktion, aber sie hilft im Zweifel nicht weiter.“