Olaf Scholz

Authentisch oder macht der Bundeskanzler nur Show?

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Der Kanzler und der Krieg: Für Olaf Scholz ist die Panzerlieferung an die Ukraine Chefsache

Der Kanzler und der Krieg: Für Olaf Scholz ist die Panzerlieferung an die Ukraine Chefsache

Foto: Marcus Brandt / picture alliance/dpa

Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider spricht mit dem ehemaligen Uni-Präsidenten Dieter Lenzen über die (großen) Themen unserer Zeit.

In „Wie jetzt?“ unterhalten sich Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider und der ehemalige Uni-Präsident Dieter Lenzen über Themen, die Wissenschaft und Journalismus gleichermaßen bewegen. Heute geht es um die Frage, warum Olaf Scholz so ist, wie er ist.

Lars Haider: Heute wollen wir über eine Frage sprechen, die in diesen Tagen viele Menschen beschäftigt: Warum ist Olaf Scholz so, wie er ist, und wie ist er so geworden? Seit wann kennen Sie Olaf Scholz?

Dieter Lenzen: Seit 2010.

Das ist lang und reicht auf jeden Fall, zunächst einmal zu sagen, wie Olaf Scholz denn ist.

Ich glaube, die Frage, wie ein Politiker wirklich ist, kann man nicht beantworten. Denn jeder Politiker zieht eine Show ab, das muss er, sonst wird er nicht gewählt. Und es gibt den berühmten Spruch des Kommunikationswissenschaftlers Paul Watzlawick, dass man nicht nicht kommunizieren kann. Beides muss man wissen, bevor man sich damit beschäftigt, wie Olaf Scholz von sich selbst, von den Medien und von den Bürgerinnen und Bürgern wahrgenommen wird, und daraus versucht abzuleiten, wie er sein könnte.

Haben Sie gerade gesagt, dass jeder Politiker eine Show macht? Da würde ich für Olaf Scholz widersprechen. Wenn es zwei Worte gibt, die überhaupt nicht zusammenpassen, dann sind es die Worte Show und Scholz. Nicht umsonst hat er mehrfach gesagt, dass er Bundeskanzler ist und kein Zirkusdirektor oder Schauspieler. Ich kenne keinen Politiker, der so weit entfernt ist von dem Vorwurf, Theater zu spielen.

Auch wenn man keine Show machen möchte, macht man trotzdem eine. Olaf Scholz konzipiert sich als der harte Arbeiter an der Sache, dem alle Showelemente fremd sind. Und das wiederum ist eine großartige Show.

Oder einfach authentisch. Kommen wir zum zweiten Satz, der nicht zu Olaf Scholz passt und den Sie gerade gesagt haben. Wenn es überhaupt jemanden geben kann, der Watzlawicks Theorem widerlegt, dass man nicht nicht kommunizieren kann, dann ist es Olaf Scholz. Er kommuniziert selbst dann nicht, wenn er kommuniziert.

Das ist richtig. Aber das Interessante ist doch das, was er nicht sagt. Damit eröffnet er Spekulationsräume, die wir als Zuhörer füllen mit Annahmen und Halbwissen, das manchmal auch gefährlich sein kann. Das heißt, in unserer Wahrnehmungsfähigkeit gibt es den wahren Scholz nicht.

Vielleicht doch. Ich hatte Olaf Scholz einmal in einem Podcast zu Gast, und er hat damals über sich den einfachen Satz gesagt, dass er so sei , wie er sei, und niemand anders werden wolle als Olaf Scholz.

Auch das ist eine tolle Marketingidee, so zu tun, als sei er einfach derjenige, der er ist. Tatsächlich weiß man kaum etwas über Olaf Scholz. Das, was er etwa im Internet in persönlichen Aussagen über sich preisgibt, ist begrenzt und sagt nicht viel über den Kanzler aus.

Weil er möglichst wenig von seinem Privatleben preisgeben will.

Wobei die Sozialisation eines Menschen nicht unwichtig ist, wenn man der Frage nachgeht, warum er so geworden ist, wie er geworden ist. Insofern würde ich schon gern mehr über die ersten 20 Lebensjahre von Olaf Scholz wissen. Nur zu schreiben, dass er eine „schöne Kindheit“ hatte, reicht mir nicht.

Man weiß viel mehr über Scholz, etwa, dass er in die SPD nicht nur wegen Helmut Schmidt und Willy Brandt eingetreten ist, sondern vor allem, weil ihm das sozialdemokratische Motiv der Gerechtigkeit so wichtig war und es ihn bis heute prägt. Das ist der rote Faden in seinem Leben, in dem er sich ansonsten fast ausschließlich mit Politik beschäftigt hat. Was auch erklärt, warum er vergleichsweise wenige Emotionen zeigt. Die spielen in politischen Fragen in der Regel nur eine Nebenrolle. Also: Welche Eigenschaften prägen sein Bild in der veröffentlichten Meinung?

Wenn ich überlege, welches Adjektiv mir als erstes zu Olaf Scholz einfällt, dann ist es „unauffällig“. Auch das ist geschickt: Denn wer unauffällig ist, läuft eben auch keine Gefahr, unangenehm aufzufallen. Man fragt sich natürlich, warum er so unauffällig sein will, warum er aus sich heraus das Scheinwerferlicht nicht sucht. Ist das Taktik? Oder liegt es daran, dass es nicht seine Sache ist, groß aufzutreten?

Genau das ist es aus meiner Sicht. Ich nenne es Schüchternheit. Olaf Scholz ist nicht dafür gemacht, im Scheinwerferlicht und vor Kameras zu stehen, und er mag es nicht besonders.

Das ist möglich. Aber wenn jemand schüchtern ist, ist er eigentlich immer schüchtern, nicht nur vor Kameras. Wenn es darum geht, etwas durchzusetzen, ist Scholz aber alles andere als schüchtern, da kann er durchaus brachial sein. Sie sprachen eben von seiner Emotionslosigkeit, dazu kann ich nur sagen: Es gibt niemanden, der emotionslos ist. Wer keine Emotionen zeigen will, muss sie unterdrücken. Deshalb finde ich die Beschreibung schwierig.

Olaf Scholz ist kein emotionsloser Mensch, seine Emotionen sind nur nicht sichtbar. Und auch die Feststellung, dass der Kanzler in sich selbst ruhe, muss nicht stimmen. Es kann einfach nur sein, dass er seine Aufregung erfolgreich bekämpft. Das kann sehr kräftezehrend sein.

Er hat zu mir einmal gesagt, dass ihn tatsächlich nichts aus der Ruhe bringen kann und dass er nicht einmal Hobbys brauche, um wie normale Menschen „runterzukommen“. Was keine schlechte Eigenschaft für einen Bundeskanzler ist, gerade in Kriegszeiten nicht.

Erstaunlich ist noch eine vierte Beschreibung, die in verschiedenen Berichten über ihn immer wieder auftaucht. Er sei ein Besserwisser, ist da zu lesen.

Sein Vater hat gesagt, dass er schon in der Schule ein Besserwisser gewesen sei.

Ich weiß, was damit gemeint sein kann. Ich würde es etwas anders beschreiben, weil ich es selbst erlebt habe. Er macht sich aufgrund eines Prozesses, der nicht sichtbar ist, eine Auffassung zu einem bestimmten Thema, und ihn davon abzubringen, ist fast unmöglich. Mir ist das nur einmal geglückt, bei der Science City Bahrenfeld, die er nun wirklich überhaupt nicht wollte. Mit anderen Worten: Besserwisserei ist vielleicht falsch, das Festhalten an einer einmal gefundenen Anschauung beschreibt eine der Kerneigenschaften von Olaf Scholz genauer.

Mir fällt noch eine weitere ein, die gerade von Bürgerinnen und Bürgern oft genannt wird. Sie erkennen an, selbst wenn sie keine Scholz-Anhänger sind, dass der Kanzler hart und diszipliniert arbeitet, sich tief mit den Themen beschäftigt und sich niemals schont.

Ein harter Arbeiter im Kanzleramt ist per se nicht schlecht. Was ihm grundsätzlich hilft, ist, dass er sich von allem, was auf ihn zukommt, von Menschen wie von Themen, immer schon eine Meinung gebildet hat. Aber es fällt ihm, siehe oben, schwer, sich von dieser Meinung zu lösen und auf andere zu hören.

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