Hamburg/Berlin. Wenn es in einem Strafverfahren zur Verhandlung kommt, soll künftig eine Videokamera aufzeichnen, was die Prozessbeteiligten sagen und tun. Bundesjustizminister Buschmann findet das zeitgemäß. Die Generalstaatsanwälte und der Richterbund halten nichts von der Idee.

Die deutschen Richter und Generalstaatsanwälte sind gegen die vom Bundesjustizministerium geplante Video-Dokumentation von Strafprozessen. Ein im November vergangenen Jahres in Berlin vorgelegter Referentenentwurf sei einhellig abgelehnt worden, erklärte Hamburgs Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich am Freitag. In einer gemeinsamen Stellungnahme der deutschen Chefankläger heißt es, der Entwurf greife verfassungswidrig in Grundrechte ein und löse keine Probleme, sondern schaffe neue.

Länder und Verbände haben noch bis zum 17. Februar Gelegenheit zur Stellungnahme. „Selbstverständlich werden sämtliche Stellungnahmen sorgfältig geprüft und ausgewertet, damit diese bei der Erarbeitung des Regierungsentwurfs berücksichtigt werden können“, teilte ein Sprecher auf Anfrage mit.

Der Referentenentwurf „für ein Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung“ sieht vor, die Hauptverhandlung künftig in Bild und Ton aufzuzeichnen und die Tonaufzeichnung mittels Transkriptionssoftware in ein Textdokument umzuwandeln.

Der Entwurf gehe „von falschen Voraussetzungen aus“, werde „zur Unzeit vorgelegt“, kranke „an erheblichen, nicht nur empirischen Mängeln“ und lasse grundlegende verfassungs- und europarechtliche Fragestellungen unbeachtet, so die Generalstaatsanwältinnen und -anwälte in ihrer Stellungnahme. Videoaufnahmen würden nach Ansicht von Experten für die Erinnerung der Verfahrensbeteiligten keine weiteren Erkenntnisse bringen als Tonaufnahmen. Eine Transkription der Tonaufzeichnung mittels Software sei weder technisch hinreichend umsetzbar, noch löse sie das Problem von Meinungsverschiedenheiten über das Geschehene.

„Ein nachvollziehbarer Anlass dafür, den deutschen Strafprozess zu revolutionieren und dabei etliche Verfahrensgrundsätze und Schutzmechanismen über Bord zu werfen, besteht aus Sicht der Staatsanwaltschaften nicht“, sagte Fröhlich. Auch wäre eine digitale Dokumentation der Hauptverhandlung kostenträchtig sowie personal- und organisationsaufwendig. „Die abweisende Stellungnahme meiner Kolleginnen und Kollegen ist deshalb nur allzu verständlich.“

Der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn, sagte, der Entwurf werfe „gravierende rechtliche und praktische Probleme auf, für die er keine überzeugenden Lösungen findet“. Würden die Pläne so umgesetzt, käme ein gewaltiger Mehraufwand auf die Gerichte zu. Strafprozesse, die schon heute im Schnitt so lange wie noch nie dauern, würden durch aufwendige Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten noch weiter in die Länge gezogen. Gegen eine Videoaufzeichnung der Verhandlung bestünden erhebliche Bedenken, auch weil Zeugen nach aller Erfahrung nicht mehr frei sprächen, sobald sie vor einer Kamera sitzen. Auch das Risiko einer Enttarnung von Zeugen, die zum Beispiel in Spionage- oder Terrorismusverfahren wirksam zu schützen seien, wäre bei Videobildern deutlich größer. „Mit dem Gesetzentwurf strebt das Bundesjustizministerium die wohl einschneidendste Veränderung des Strafverfahrens seit Jahrzehnten an“, bilanzierte Rebehn.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte bei der Veröffentlichung des Entwurfs im November gesagt, eine digitale Dokumentation der Hauptverhandlung an Landgerichten und Oberlandesgerichten sei überfällig. Er versprach: „So werden wir die hohe Qualität des Strafverfahrens noch weiter verbessern.“ Dies sei „neben dem technologischen Schritt auch ein Zugewinn für den Rechtsstaat“. Aus seinem Ministerium hieß es, in anderen Ländern seien mit der Videoaufzeichnung bereits positive Erfahrungen gesammelt worden.