Hamburg. Es ist eine kleine Sensation: Ärzte am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) haben in einem Selbstversuch herausgefunden, dass ein Medikament für Menschen mit chronischen Lebererkrankungen als Nebenwirkung vor einer schweren Corona-Infektion schützen kann. Das rezeptpflichtige Medikament eignet sich theoretisch auch für gesunde Menschen zur Vorbeugung einer Corona-Infektion.
„Das ist ein hervorragend verträgliches und altbewährtes Medikament, von dem wir die begründete Hoffnung haben, dass es Schutz vor einer Corona-Infektion bieten kann“, sagt Professor Ansgar W. Lohse. Der Klinikdirektor der 1. Medizinischen Klinik am UKE ist einer der renommiertesten Leberspezialisten Europas und als solcher Koordinator des Europäischen Referenznetzwerks für seltene Lebererkrankungen, ERN RARE-LIVER.
UKE-Mediziner: Medikament könnte vor Corona schützen
Professor Lohse und fünf Kollegen und Kolleginnen hatten bereits im Sommer vorigen Jahres in einem Selbstversuch das Medikament getestet. Ergebnis: Nach Einnahme des Wirkstoffes Ursodeoxycholsäure, kurz UDCA, ist die Anzahl der Rezeptoren in der Nasenschleimhaut bereits innerhalb weniger Stunden rapide heruntergegangen. Diese Rezeptoren sind gewissermaßen die Eingangstür für das Virus. Je weniger Rezeptoren, desto weniger Viren dringen ein.
Die jetzt in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlichten Forschungsergebnisse aus Cambridge zeigen, dass UDCA also in der Lage ist, die Tür zu verschließen, durch die Sars-CoV-2 in die menschlichen Zellen eindringt. Diese Tür, der Rezeptor auf der Zelloberfläche, ist Experten als ACE2 bekannt.
UKE-Ärzte haben Medikament an sich selbst getestet
Der Selbstversuch der Hamburger Ärzte hat die Studie unter der Leitung von Dr. Fotios Sampaziotis vom Wellcome-MRC Cambridge Stem Cell Institute an der Universität Cambridge bestätigt, wonach UDCA oder „Urso“, wie Mediziner den Wirkstoff umgangssprachlich nennen, zur Vorbeugung von Covid-19 eingesetzt werden kann.
Das Prinzip: UDCA kann eine Covid-19-Infektion verhindern, indem es das Virus daran hindert, überhaupt in den menschlichen Körper einzudringen. „UDCA ist ein seit Jahrzehnten bekanntes Medikament mit geringen Nebenwirkungen, das vor allem bei chronischen Lebererkrankungen eingesetzt wird“, so Prof. Lohse.
Hatten die Mediziner ursprünglich befürchtet, dass gerade diese Patienten vulnerabel sind und unbedingt vor einer Corona-Infektion bewahrt werden müssen, ist das Gegenteil der Fall: Netzwerkkoordinator Lohse erklärt: „Die Studie zeigte deutlich, dass unsere Patienten mit immunologischen Lebererkrankungen, anders als erwartet, kein erhöhtes Krankheitsrisiko haben, und wir sogar auffällig wenig Infektionen insbesondere bei Erkrankungen gefunden haben, bei denen UDCA eingesetzt wird.“
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In seinem Büro auf dem Gelände des UKE präsentiert Professor Lohse verschiedene Fotos auf seinem Computer: Auf den Bildern sind menschliche Gallengangszellen zu sehen, die mit Corona infiziert sind, alles ist rot. Das Rote sind die Rezeptoren. Nach der Einnahme von UDCA dagegen ist das Rote, also die Rezeptoren (ACE2), nahezu verschwunden.
Ursodeoxycholsäure schützt vor Covid-19, indem es die Viruslast im Körper drastisch verringert. In einem weiteren Experiment an noch funktionierenden menschlichen Lungen außerhalb des Körpers, ging die Viruslast in den Lungen innerhalb von 24 Stunden drastisch herunter.
UDCA verhindert die Aufnahme von Sars-CoV-2 nicht zu 100 Prozent, aber bis zu 90 Prozent. Sowohl in Zellkultur als auch in tierexperimentellen Untersuchungen an Hamstern in England konnte nun deutlich gezeigt werden, dass die Blockade des ACE2-Rezeptors eine Infektion unterdrücken kann
Medikament ist verschreibungspflichtig
Da UDCA nicht mehr unter Patentschutz steht, kann es kostengünstig hergestellt werden. „Damit wäre dieses Medikament wahrscheinlich eine wichtige Waffe im Kampf gegen Covid-19 sowie gegen zukünftige Coronaviren“, so Lohse. Das Medikament ist verschreibungspflichtig.
Eine weitere gute Nachricht: „Urso“ ist auch gegen Corona-Mutationen wirksam. Denn: „Egal, wie das Virus mutiert, es muss durch diese Eingangspforte dringen“, so Prof. Lohse. UDCA aber versperrt ja genau diesen Eingang. Denn dieses Medikament zielt auf die Wirtszellen ab und nicht auf das Virus. „So sollte es vor allen Varianten des Virus sowie vor anderen Coronaviren, die möglicherweise auftauchen, schützen“, so Lohse.
Corona Hamburg: Kontrollierte wissenschaftliche Studie steht noch aus
Zusammen mit dem Tragen einer Maske biete die vorbeugende Wirkung von UDCA einen Schutz in Risikosituationen, so Lohse. Bedeutet theoretisch auch für gesunde Menschen: Wenn es zur 80. Geburtstagsfeier der Mutter gehen soll, hilft die Einnahme von UDCA dabei, sich vor einer Infektion zu schützen.
Lohse selbst hat bereits Tabletten vor internationalen Kongressen eingenommen. Mögliche Nebenwirkung bei falscher Dosierung oder zu geringer Nahrungsaufnahme könne Durchfall sein.
Für eine fundiertere wissenschaftliche Herangehensweise wäre nun eine kontrollierte Studie mit mindestens 2000 Probanden nötig, so Prof. Lohse. Das kostet Millionen Euro. Noch hat sich niemand für diese Kostenübernahme gefunden.
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