Itzehoe. Seit rund 14 Monaten läuft der Stutthof-Prozess gegen eine 97 Jahre alte Frau. Sie schweigt beharrlich zum Vorwurf der Beihilfe zum tausendfachen Mord. Die Nebenklagevertreter hoffen, dass sich die frühere KZ-Sekretärin doch noch äußert.

In den ersten Plädoyers von Nebenklagevertretern im Stutthof-Prozess ist Bedauern über das beharrliche Schweigen der Angeklagten deutlich geworden. Mehrere Anwälte forderten die 97 Jahre alte ehemalige Sekretärin im KZ Stutthof am Dienstag vor dem Landgericht Itzehoe auf, die Möglichkeit des letzten Wortes zu nutzen und sich zu erklären. „Wir alle haben ein Recht darauf, von Ihnen Antworten auf unsere Fragen zu bekommen“, sagte Rechtsanwalt Ernst Freiherr von Münchhausen. Die Opfer hätten niemals Ruhe gefunden, die Täter hätten nach Kriegsende dagegen weitergemacht, als wäre niemals etwas gewesen.

Nebenklagevertreter Markus Horstmann sagte, es bedürfe keiner flammenden Rede mehr. Die Zeugenaussagen seien eindrucksvoll und besondere Momente gewesen. Er habe aber keine Hoffnung, dass sich die Angeklagte Irmgard F. der Verantwortung stelle, dass das Verfahren Eindruck auf sie mache. „Ich hätte mir gewünscht, durch diesen Prozess mehr von Ihnen zu erfahren“, sprach Horstmann die 97-Jährige direkt an. Sie habe das KZ mit am Laufen gehalten, das wäre ohne eine Identifikation in der Sache nicht möglich gewesen.

Auch der Nebenklagevertreter Sascha Bloemer fragte Irmgard F. direkt, ob es nicht an der Zeit sei, ihren Teil zur Aufarbeitung beizutragen. „Nutzen sie die wahrscheinlich letzte Chance.“

In der Sache schlossen sich die Nebenklagevertreter weitgehend Staatsanwältin Maxi Wantzen an, die in ihrem Plädoyer in der Vorwoche eine Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung gefordert hatte. Sie sei überzeugt, dass die Angeklagte sich im Alter von 18 und 19 Jahren der Beihilfe zum heimtückischen und grausamen Mord in mehr als 10.000 Fällen schuldig gemacht habe.

Die Angeklagte soll von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Kommandantur des Konzentrationslagers bei Danzig gearbeitet haben. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft besteht nach den Zeugenaussagen und der Darstellung eines historischen Sachverständigen kein Zweifel, dass Irmgard F. die Abläufe im KZ gekannt und von den Morden gewusst habe.

Rechtsanwältin Christine Siegrot kritisierte die aus ihrer Sicht mangelhafte Aufarbeitung von NS-Verbrechen durch die deutsche Justiz. Auch dieses Verfahren komme allzu spät, sagte die Nebenklagevertreterin. „Dass die Angeklagte nicht schon in den 50er Jahren vor Gericht stand, hat etwas mit der Kontinuität der Justiz zu tun.“

Siegrot äußerte sich überzeugt von der Schuld der 97-Jährigen. Sie habe in der „Schaltzentrale einer Mordmaschine“ gesessen. Sie habe sich auch 1945 nicht abgewendet und einige Jahre später in ihrem Haus sogar Besuch des früheren Lagerkommandanten empfangen. Wenn die späten Prozesse einen Sinn haben sollen, dann, dass die Wahrheit ans Licht komme und nicht vergessen werde, sagte Siegrot.

Der Prozess wird am 5. Dezember mit weiteren Schlussvorträgen der Nebenklagevertreter fortgesetzt.