Gesundheit Hamburg

UKE-Forscher entwickeln Tricks gegen Nägelkauen und Co

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Schädliche Verhaltensweisen wie das Nägelkauen sind in der Bevölkerung weit verbreitet (Symbolbild).

Schädliche Verhaltensweisen wie das Nägelkauen sind in der Bevölkerung weit verbreitet (Symbolbild).

Foto: IMAGO / Steinach

Mediziner der Hamburger Uniklinik haben ein Konzept entwickelt, wie man sich gegen Nägelkauen oder Haut knibbeln selbst helfen kann.

Hamburg. 
  • Nägelkauen ist mehr als eine "schlechte Angewohnheit"
  • UKE-Mediziner entwickeln das Konzept „Tricks gegen Ticks“
  • Ihre Studien-Ergebnisse haben die Forscher in den Fachmagazinen "Cognitive Therapy and Research" und "Journal of Dermatology" veröffentlicht

An den Nägeln kauen, einzelne Haare ausreißen, an der Haut knibbeln oder auf Wangen oder Lippen beißen – mit solchen Ticks reagieren viele Menschen, wenn sie unter Stress geraten oder gelangweilt sind. Bei den meisten sind das nur gelegentliche „Ausrutscher“, doch bei einigen sind solche Verhaltensweisen so stark ausgeprägt, dass Mediziner von einer Störung sprechen.

Um Betroffenen zu helfen, sich diese schädlichen Ticks abzugewöhnen, haben Wissenschafter vom Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) einen neuartigen Selbsthilfeansatz entwickelt. Mit ihrem Konzept „Tricks gegen Ticks“ konnte das Forschungsteam aus der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des UKE bei Betroffenen die Symptome der sogenannten körperbezogenen Impulskontrollstörungen teilweise deutlich lindern. Ihre Ergebnisse haben die Forscher in den Fachmagazinen "Cognitive Therapy and Research" und "Journal of Dermatology" veröffentlicht.

Nägelkauen und Co: Störung wird oft als Willensschwäche abgetan

„Störungen wie Nägelkauen werden von vielen belächelt oder aber als Willensschwäche abgetan. Die Betroffenen leiden oft stark, viele verheimlichen ihre Störung“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Steffen Moritz, der das Konzept gemeinsam mit seiner Doktorandin Stella Schmotz entwickelt hat.

Doch nicht jede schlechte Angewohnheit ist eine behandlungsbedürftige Störung. Bis zu 90 Prozent der Bevölkerung zeigen einzelne Symptome, insbesondere das gelegentliche Nägelkauen. Die Übergänge zu einer behandlungsbedürftigen Störung seien fließend, so Moritz. Sie entwickelt sich bei etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Sie sei dadurch gekennzeichnet, dass die Betroffenen sichtbare Schäden an Haut, Haaren oder Nägeln haben und stark unter ihrem Verhalten leiden und zum Beispiel eine Depression entwickeln, sagte Moritz.

Nägelkauen ist mehr als eine "schlechte Angewohnheit"

Das Nägelkauen ist am meisten verbreitet. 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung sollen laut Studien im Laufe ihres Lebens wenigstens einmal davon betroffen sein. Auch dabei sind die Übergänge zu einer Störung fließend. Viele schämen sich für diese "schlechte Angewohnheit" und suchen keine medizinische Hilfe. Das Nägelkauen kann bewusst, aber auch automatisch ablaufen und zu chronischen Schäden führen, wie zum Beispiel Entzündungen des Nagelbetts oder Nagelwuchsstörungen.

Haareausreißen – bis zu komplett kahlen Stellen

Ein eher seltenes Phänomen ist das Ausreißen von Haaren. Davon sind etwa ein bis drei Prozent der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens betroffen. Menschen, die an einer sogenannten Trichotillomanie leiden, reißen sich immer wieder ihre Haare aus und können damit nicht aufhören, obwohl sie unter diesem Verhalten und dessen Folgen leiden. Am häufigsten werden Haare an der Kopfhaut, Augenbrauen und Wimpern ausgerissen. Das kann so weit gehen, dass es in behaarten Bereichen zu komplett kahlen Stellen kommt.

Knibbeln, bis es blutet

Auch das Pulen an der Haut, das Knibbeln, ist im Vergleich zum Nägelkauen eher selten, und betrifft etwa zwei bis 5,4 Prozent der Bevölkerung. Die Betroffenen ziehen, quetschen, drücken, reiben und kratzen vermehrt über einen längeren Zeitraum an verschiedenen Körperstellen oder ziehen kleine Hautstücke ab, meist mit den Fingernägeln, den Zähnen oder Instrumenten. Langfristig können dadurch viele kleinere, aber auch größere Narben sowie Infektionen und Hautverletzungen entstehen.

Lippenbeißen kann schmerzhafte Wunden auslösen

Etwa ein Drittel der Bevölkerung beißt gelegentlich an den Lippen, den Wangen und der Mundschleimhaut. Bei etwa drei Prozent entwickelt sich daraus eine Störung. Das Beißen auf den Lippen kann Rötungen, schmerzhafte Wunden und Risse in der Mundschleimhaut oder an der Lippe verursachen. Das Beißen auf die Wangen kann zu Geschwüren, Wunden und Infektionen im Mund führen sowie zu einer Keratose (Verhornung der obersten Hautschicht).

Selbsthilfetechniken: Schädliche Ticks durch gesundes Verhalten ersetzen

Das Konzept „Tricks gegen Ticks“ bündelt drei Selbsthilfetechniken, die einzeln oder kombiniert angewendet werden können. Dabei geht es im Prinzip immer darum, neue Verhaltensweisen zu erlernen, die die schädlichen Ticks ersetzen sollen.

Selbsthilfetechnik Reaktionsumkehr
Selbsthilfetechnik Reaktionsumkehr

Bei der ersten Technik, der sogenannten Reaktionsumkehr wird die schädliche Bewegung durch eine starre Bewegung ersetzt. Zum Beispiel kann man sich auf die Hände setzen oder die Hände zum Gebet falten.

Eine andere Technik ist die sogenannte Entkopplung, bei der das bisherige Verhaltensmuster durch ein neues überschrieben und somit langfristig verlernt werden soll. Dabei übt der Betroffene neue Bewegungsmuster ein, zum Beispiel beim Nägelkauen. Wenn also die Hand fast automatisch zum Mund geht, wird die Bewegung kurz vor den Lippen abgebremst und greift ans Ohrläppchen. Damit diese Ersatzbewegung sozusagen in Fleisch und Blut übergeht, muss sie mehrmals täglich immer wieder geübt werden.

Selbsthilfetechnik Entkopplung
Selbsthilfetechnik Entkopplung

Eine weitere Technik besteht darin, diesen Vorgang nur in Gedanken nachzuspielen. Dazu sollte man sich mehrmals am Tag ein bisschen Zeit nehmen, sich ein ruhiges Plätzchen suchen und sich in Gedanken den Vorgang des Nägelkauens vorstellen. Kurz bevor in Gedanken die Hand den Mund erreicht, wird dann die Hand kraftvoll gestreckt und die Finger werden gespreizt.

Selbsthilfetechnik Entkopplung-in-sensu
Selbsthilfetechnik Entkopplung-in-sensu

Alle einstudierten Ersatzmuster sollten letztendlich möglichst unauffällig sein, empfehlen die Forscher, damit sie auch im Alltag einsetzbar sind und nicht bei den Mitmenschen für Irritationen sorgen. Weitere Tipps und Anregungen dazu gibt es auf der Webseite "Tricks gegen Ticks".

Mit diesen Tipps kann man sich selbst austricksen

Über diese speziellen Selbsthilfetechniken hinaus haben die Wissenschaftler weitere Tipps für Betroffene:

  • Die Hände möglichst viel beschäftigen, um sich abzulenken (z.B. mit „Zappelspielzeug“, Knete, Schleim, Stricken oder Zeichnen).
  • Sich über die Störung durch Bücher oder im Internet informieren.
  • Nägelkauen: Pflaster oder Sportklebeband um die Hände bzw. die Finger wickeln, Handschuhe tragen, die Hände stark eincremen, die Nägel lackieren oder Nagellackaufkleber auftragen.
  • Kopfhaare ausreißen/-zupfen: Eine Mütze, ein Haarband oder einen Zopf (oder wenn möglich eine Flechtfrisur) tragen.
  • Lippen-Wangen-Beißen: Eine durchsichtige Kauschiene tragen.
  • Augenbrauen/Wimpern zupfen: (Sonnen-)Brille, falsche Wimpern oder Mascara tragen, Wimpern mit Vaseline einreiben und die Augenbrauen bzw. die Wimpern nicht im Spiegel anschauen, da der Drang steigen könnte, diese auszuzupfen (dies kann auch für die Kopfbehaarung gelten).
  • Körperbehaarung ausreißen/zupfen und/oder das Pulen an der Haut: Ganzkörperanzug tragen, bestimmte Stellen mit Vaseline einreiben sowie die Nägel möglichst kurz schneiden, sodass das Skin Picking erschwert wird.

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