Hamburg. Lebensmittelzusätze gibt es seit Jahrtausenden. Doch im Zeitalter der industriell gefertigten Nahrungsmittel sind technische Hilfsmittel, Aromen, Farb-, Füll- und Konservierungsstoffe so stark verbreitet, dass es für sie eigene Messen gibt. „Zusatzstoffe gehören ins Museum, nicht ins Essen“, urteilt Christian Niemeyer. Im Podcast „Schmeckt’s?“ sagt der Leiter des auf dem Großmarkt ansässigen Deutschen Zusatzstoffmuseums aber auch, dass es praktisch unmöglich sei, den Substanzen aus dem Weg zu gehen. „Ich schaue beim Einkaufen auf die Zutatenlisten. Aber nur nach dem Kriterium: Ist das was fürs Museum? Ändert sich da gerade etwas? Ansonsten weiß ich, dass man eh nicht alle Informationen bekommt“, beschreibt Niemeyer sein Kaufverhalten.
Musuem Hamburg: Viele Zusatzstoffe werden nicht benannt
„Grundsätzlich müssen Zusatzstoffe mit E-Nummern nur angegeben werden, wenn sie eine technische Funktion erfüllen. Beispiel Sahne: Wenn ein Hersteller die Sahne mit Carrageen (E407, aus Algen gewonnen) stabilisiert hat und sie zu einem anderen Produkt weiterverarbeitet wird, dann muss etwa der Konditor das Carrageen nicht mehr deklarieren, weil es in seinem Produkt keine Funktion mehr ausübt.“ Ebenfalls ungenannt bleiben sogenannte Trägerstoffe. So könne ein Geschmacksverstärker als Trägerstoff eines Aromas eingesetzt werden – „das Aroma steht in der Zutatenliste, der Geschmacksverstärker nicht“. Es sei nie die Idee gewesen, dass die Zutatenliste alle verwendeten Stoffe aufführe, sagt Niemeyer.
Es gibt verschiedene Gruppen von Zusätzen, geordnet nach ihren Funktionen. Sie müssen auf der Verpackung mit ihrer Hauptfunktion angegeben sein. Niemeyer: „Über den Daumen haben wir 340 zugelassene Zusatzstoffe. Ohne Aromen. Die sind extra geregelt in der Aromenverordnung. Da sind derzeit rund 2500 Stoffe erfasst. Weitere Stoffe zielen auf die Produktion ab, etwa technische Hilfsstoffe oder die große Gruppe der Enzyme (rund 200 Stoffe), die zum Beispiel die Reifung beschleunigen.“ Die Zusatzstoffe tragen E-Nummern. „Produkte, die gehandelt wurden, wurden sehr früh nummeriert, um sie zu definieren“, sagt Niemeyer. „Auch Pullover und so weiter. Als man 1974 in Europa angefangen hat, Zusatzstoffe zuzulassen, hat man sich dieser Nummern bedient. Wenn zum Beispiel Gold eingesetzt werden darf, nutzen wir einfach die bestehende Nummer 175 und setzen das E davor – für Europa.“ Auf der Zutatenliste der Verkaufsverpackung könne die Nummer stehen oder der ausgeschriebene Begriff; beides sei erlaubt.
Neue Zusatzstoffe: "Dadurch ändert sich nichts, es klingt nur besser"
Zusatzstoffe sind bei Verbrauchern nicht sonderlich beliebt. Die E-Nummern seien zu kryptisch und wirken abstoßend, sagt Niemeyer. Gerade bei neuen Rezepturen werde versucht, möglichst wenige zu verwenden: „Es gibt andere Zusätze, die bei den Konsumenten besser ankommen. Ich denke, sie werden in den nächsten zehn, 20 Jahren die klassischen Zusatzstoffe verdrängen. Dadurch ändert sich nichts, es klingt nur besser.“ Der Begriff „natürlich“ komme zum Beispiel gut an. Aber es gibt auch Zusatzstoffe die rein natürlich sind. Alginat als Verdickungsmittel zum Beispiel. Oder modifizierte Stärken.
Manche Zusätze stecken inzwischen in der Verpackung. Mit solchen „aktiven Verpackungen“ werden Substanzen eingebracht, die auf das Lebensmittel übergehen. Niemeyer nennt als Beispiel einen Konservierungsstoff: „Der wirkt auf der Oberfläche und konserviert auf diese Weise das Lebensmittel. Dadurch braucht man weniger Konservierungsmittel, als man normalerweise hineinrühren müsste.“ Ein ähnliches Ziel sei die Frischhaltung: „Äpfel sollte man zu Hause getrennt lagern, denn sie gasen das Reifungshormon Ethylen aus. Jetzt kann man Folien mit Stoffen einsetzen, die das Ethylen aufnehmen. Dadurch bleiben die Äpfel länger frisch.“
Zusatzstoffe: Mögliche Gesundheitsbelastung ist sehr individuell
Zusatzstoffe sind auf ihre Giftigkeit untersucht. Dennoch komme es vor, dass Substanzen zur Gesundheitsvorsorge verboten werden. Niemeyer: „2008 hat man zum Beispiel eine Untersuchung gestartet und zwei Konservierungsstoffe verboten, die hormonähnliche Wirkungen zeigten. Oder einen Farbstoff, der Entzündungsprozesse verstärkt hat. Bei solchen Untersuchungen werde ermittelt, wie viel von dem Stoff ein Mensch im Laufe seines Lebens zu sich nehmen könne, ohne dass er gesundheitliche Probleme bekomme. Das sei ein sehr unscharfes Kriterium, kritisiert Niemeyer: „
Nicht alle Menschen sind gleich. Wir ernähren uns unterschiedlich. Es ist kaum zu sagen, wie sehr einzelne Personen durch Zusatzstoffe belastet werden. Keiner der zugelassenen Stoffe wirkt akut giftig. Aber es gibt Stoffe, etwa in der Gruppe der Süßstoffe, die Einfluss auf die Darmflora nehmen und sie nachteilig verändern. Wenn man empfindlich oder familiär vorbelastet ist, dann sollte man besonders kritisch sein.“
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Meist sei aber nicht ein einzelner Zusatz problematisch, sondern die Kombination von Stoffen. Wer den Substanzen aus dem Weg gehen will, sollte zu frischen Lebensmitteln greifen. Bei den Convenience-Produkten gebe es eine große Bandbreite beim Einsatz von Zusatzstoffen. Tiefkühlprodukte der Firma Frosta kommen ohne Geschmacksverstärker, Aromen, Farbstoffe, Emulgatoren und Stabilisatoren aus. Hauptaktionärin Friederike Ahlers sponsert über die Hamburger Lebensmittelstiftung das Zusatzstoffmuseum. Niemeyer: „Auch Tiefkühlung verändert das Lebensmittel, wenn auch nur sehr wenig. Aber auch dort wird üblicherweise mit Zusatzstoffen gearbeitet.“
Zusatzstoffmuseum in Hamburg will als Informations-Plattform dienen
Das Zusatzstoffmuseum soll eine Plattform sein, auf der sich die Verbraucher informieren, aber auch in den Dialog treten können, „was für Lebensmittel wir haben wollen“. Eines der Produkte, auf die Christian Niemeyer auf jeden Fall verzichten kann, ist alkoholhaltiges Rotweingetränkepulver – Rotwein zum Anrühren für Wanderer, die die Flasche nicht tragen möchten: „Das ist hochverarbeitet, da werden technische Anwendungsmöglichkeiten der Industrie auf scheinbare Alltagsprodukte übertragen. Wir werden all das brauchen, wenn wir eines Tages zum Mars fliegen. Aber im Moment brauchen wir es noch nicht.“
Deutsches Zusatzstoffmuseum, Mi, Fr, Sa und So 11–17 Uhr, Do 14–20 Uhr. Eintritt: Erwachsene 3,50, Kinder 2 Euro. Weitere Informationen unter www.zusatzstoffmuseum.de
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