Kiel. Schlechte Essensversorgung, miese hygienische Zustände, fehlender Opferschutz - in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe geht es nicht immer fein zu. Die Ombudsfrau des Landes geht ständig solchen Fällen nach. Sie sieht Handlungsbedarf.

Die Ombudsfrau in der Kinder- und Jugendhilfe unterstützt in Schleswig-Holstein Jahr für Jahr hunderte Mädchen und Jungen. In den vergangenen beiden Jahren habe sie insgesamt 577 Hilfesuchende beraten, teilte die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten, Samiah El Samadoni, am Donnerstag in Kiel mit. "Wir erleben nach wie vor einen sehr hohen Beratungs- und Vermittlungsbedarf insbesondere bei den Hilfen zur Erziehung in stationären Maßnahmen und auch bei ambulanter Hilfe."

Laut El Samadoni werden im Norden 6500 bis 7000 Mädchen und Jungen in insgesamt 1200 Einrichtungen betreut. Etwa die Hälfte komme aus Schleswig-Holstein, die anderen aus anderen Bundesländern.

Die Beschwerdestelle hat von ihrem Start im Jahr 2016 bis Ende 2021 1608 Petitionen bearbeitet. 2020/21 ging es in 322 Fällen um Hilfen zur Erziehung, 225 Mal um die Unterbringung in Heimen oder Wohngruppen. Ein Schwerpunkt (360 Fälle) waren Konflikte mit Jugendämtern. Häufig trete aus Sicht der Betroffenen keine Stelle als vertrauensvoller Ansprechpartner auf, schreibt El Samadoni in ihrem Tätigkeitsbericht für 2020/21.

Bei 27 Beschwerden, die 22 Einrichtungen betrafen, wurde die Einrichtungsaufsicht eingeschaltet. Hier ging es zum Beispiel um das Verhalten von Erziehern und Betreuern: Kinder und Jugendliche seien angeschrien worden, in Einzelfällen auch geschlagen, getreten oder fixiert. Weitere Kritikpunkte seien mangelnde medizinische Versorgung, Vernachlässigung, schlechte Versorgung mit Essen, hygienische Zustände, Möblierung, Handynutzung und Sanktionen. Ein Erzieher sei beschuldigt worden, Geld eines Kindes unterschlagen zu haben. Das jüngste Kind, das sich eigenständig gemeldet hat, sei sieben Jahre alt gewesen.

Viele Einrichtungen seien richtig gut: Dort könnten sich die Kinder und Jugendlichen wie zu Hause fühlen, sagte El Samadoni. Es gebe aber auch das Gegenteil. Eine generelle Einschätzung sei aus Ressourcengründen schwierig: El Samadoni hat für diesen Bereich drei Mitarbeiter.

Sie schilderte besonders prägnante Einzelfälle: So habe ein Zwölfjähriger nach einem sexuellen Übergriff durch einen jüngeren Mitbewohner nicht mehr in seiner Wohngruppe übernachten wollen, die Einrichtung aber zunächst darauf bestanden. Es seien auch keine Maßnahmen ergriffen worden, dem Jungen die Übernachtungen mit psychologischer oder pädagogischer Unterstützung zu erleichtern. Nach Intervention der Beschwerdestelle sei es gelungen, den Jungen in einem anderen Einrichtungsteil des Trägers unterzubringen.

In einem anderen Fall sagten zwei 16-Jährige, sie müssten hungern. Der Betreuer habe sich geweigert, Mittagessen für sie zu kochen. Sie hätten selbst einkaufen oder Lieferdienste bestellen müssen, dafür hätten sie ihr ganzes Taschengeld verbraucht. Schließlich sei ihnen auch die Nutzung der Küche untersagt worden. Auf Intervention der Beschwerdestelle und des Landesjugendamtes sei das Problem gelöst worden.

El Samadoni hob einen aus ihrer Sicht großen Missstand hervor: Eklatante Probleme resultierten daraus, dass es im Norden - anders als in 13 anderen Bundesländern - keine Schulpflicht für Kinder und Jugendliche aus anderen Bundesländern gibt, die in Schleswig-Holstein in der Kinder- und Jugendhilfe untergebracht sind. "Das ist dringend zu ändern." Anderenfalls drohten der Verlust sozialer Kontakte und das Fehlen von Schulabschlüssen. Niemand wisse, wie viele Kinder aus anderen Ländern hier tatsächlich öffentliche Schulen besuchen. Ersatzunterricht in Heimen sei mit dem Besuch dieser Schulen nicht zu vergleichen.

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