Hamburg. In ihrem gemeinsamen Podcast „Wie jetzt?“ unterhalten sich Lars Haider und Dieter Lenzen über Themen, die Wissenschaft und Journalismus gleichermaßen bewegen. Heute geht es um die Frage, wie man am besten mit Kindern über den Krieg redet.
Dieter Lenzen: Wir wollen heute über ein ernstes Thema reden, weil sich viele Eltern, gerade jüngerer Kinder, fragen, wie sie über den Krieg so reden können, dass eine Balance zwischen der Nicht-Verweigerung von Wirklichkeit und der Vermeidung von Angst gefunden wird. Das ist nicht so ganz einfach, weil das sowohl von den Eltern als auch von den Kindern und nicht zuletzt von den pädagogischen Einrichtungen abhängt, also den Schulen oder Kitas. Eltern müssen vom Ende her denken und sich fragen, was sie mit Gesprächen über den Krieg erreichen wollen.
Lars Haider: Zu vermeiden, über den Krieg zu sprechen, ist doch unmöglich. Selbst wenn man zu Hause kein Wort darüber verlieren würde, werden die Kinder in ihren Schulen und Klassen auf Kinder treffen, die mit ihrer Mutter oder den Eltern aus der Ukraine geflohen sind. Man kann den Krieg nicht von den Kindern fernhalten. Und weil das so ist, sollte man es auch gar nicht erst versuchen, oder?
Ich würde immer für das Realitätsprinzip werben, nur in für Kinder geeigneter Form. Vom Ende her zu denken heißt: Was nehmen wir eigentlich an, wie die weitere Entwicklung des Krieges sein wird? Wollen wir die Kinder auf Entbehrungen vorbereiten, wollen wir sie auf einen Krieg vorbereiten, der sich ausweitet, oder gehen wir davon aus, dass all das nicht notwendig ist?
Stand heute sind wir zuversichtlich, dass es keine Eskalation des Krieges geben wird, die Lage ist ja auch so schon schlimm genug.
Viele Menschen denken das, eine große Sicherheit gibt es aber nicht. Wenn Kinder fragen, ob der Krieg auch zu uns kommen kann, ob sie Angst haben müssen, wird es nicht reichen zu sagen, dass schon alles gut gehen wird. Das nehmen einem Kinder auch nicht ab. Vor allem dann nicht, wenn man den Eltern oder Lehrern anmerkt, dass sie selbst Angst haben.
Aber was sagt man einem Kind, wenn es fragt: Was ist eigentlich eine Atombombe?
Wir erleben im öffentlichen Diskurs selbst unter Erwachsenen viel Unfug bei diesem Thema. Alle haben immer Hiroshima vor Augen, aber darum geht es erst mal gar nicht. Es geht um den Einsatz eines anderen Typs von Atomwaffen, das kann man Kindern erklären. Und man muss ihnen gleichzeitig sagen, dass es extrem unwahrscheinlich ist, dass Atombomben zum Einsatz kommen. Man sollte im Gespräch mit Kindern über den Krieg immer nah an der Wahrheit bleiben, ohne Angst zu machen, ruhig aber über die eigenen Ängste sprechen. Entscheidend ist, dass man das Gefühl vermittelt, mit der Familie, Freunden und Nachbarn alles bewältigen zu können, was da noch auf uns zukommen mag. Damit ist schon viel gewonnen.
Mich nervt diese Diskussion, was alles sein könnte, weil es die Menschen, und gerade die Kinder, unnötig beunruhigt. Ist es nicht das Beste, dass man nur über das spricht, was wirklich ist, und nicht über das, was noch kommen könnte?
Was für Kinder wichtig ist, ist etwas, das man als Verhaltenssicherheit der Erwachsenen bezeichnen kann. Um sich gut und sicher zu fühlen, erwarten Kinder von ihren Eltern Sicherheit und Wissen, beides sind wir ihnen schuldig. Das Gleiche gilt für Lehrer und Erzieher.
Würden Sie empfehlen, in jeder Alters- und Klassenstufe über den Krieg zu reden?
Unbedingt. Die Kinder reden sowieso mit ihren Mitschülerinnen und Mitschülern darüber, und deshalb sollte man das offensiv aufgreifen. Aber bitte in einer Form, die nicht übertreibt und nicht anders ist als sonst: Wenn plötzlich eine Schulversammlung einberufen würde, um über den Krieg zu reden, würde das signalisieren, welche Bedeutung man dem Thema zumisst, und zusätzliche Ängste schüren.
Wobei diese Ängste anscheinend weniger werden, je länger der Krieg dauert. Auf jeden Fall ist die Anspannung, die man selbst bei Freunden und in der Familie spürt, nicht mehr so groß, wie sie es Ende Februar noch war.
Unser psychisches System ist zum Glück in der Lage, sich mit schwierigen Situationen arrangieren zu können, indem Routinen ausgebildet werden. Das heißt, dass man sich auch an einen Krieg gewöhnen kann, solange nicht etwas passiert, was bisher nicht passiert ist. Ein Atomwaffeneinsatz in der Ukraine würde wieder so einen Schritt bedeuten. Sind die Bilder immer dieselben, fangen die Menschen langsam an, weniger über den Krieg zu sprechen. Einerseits ist das natürlich ein Selbstschutz, andererseits aber auch eine Abstumpfung, die gefährlich ist. Man darf sich nicht an den Gedanken gewöhnen, dass es einen Krieg mitten in Europa gibt.
Wo informieren sich die Kinder und Jugendlichen eigentlich über den Krieg, wenn sie von sich aus mehr darüber wissen wollen?
Der Bayerische Rundfunk hat dazu Jugendliche zwischen elf und 17 Jahren in einem Abstand von zwei Wochen befragt. Das überraschende Ergebnis ist, dass die Eltern innerhalb dieser Zeit die Informationsquelle Nummer eins geworden sind, was sie vorher gar nicht waren. Vorher war es das Internet, das bei der zweiten Befragung überhaupt keine Rolle mehr spielte. Das ist interessant und belegt aus meiner Sicht, wie wichtig die Verbindung zwischen Eltern und Kindern gerade in diesem Punkt ist.
Immer wenn es darauf ankommt, wendet man sich den Quellen zu, denen man wirklich vertraut. Das haben wir auch während der Pandemie erlebt, als die sogenannten klassischen Medien, insbesondere übrigens die Regionalzeitungen, einen enormen Zulauf erlebt haben.
Die Zuverlässigkeit einer Information spielt in solchen Zeiten eine wichtige Rolle, aber auch das Vertrauensverhältnis. Wir gehen im Alltag viel zu häufig davon aus, dass das Verhältnis von Kindern zu ihren Eltern gar nicht so optimal sei. Das ist immer falsch gewesen, diverse Jugendstudien haben jedes Mal das Gegenteil gezeigt.
Wenn wir vom Ende her denken, wie Sie das vorhin formuliert haben, auf was wollen wir unsere Kindern denn nun vorbereiten?
Ich glaube schon, dass man ein Stück weit antizipieren muss, ohne zu dramatisieren. Das Kind muss das Gefühl haben, alles, was auf es zukommt, bewältigen zu können. Wenn ich aber gar nicht weiß, was auf mich zukommt, kann ich das Gefühl nicht entwickeln und diese Sicherheit. Unsere jungen Generationen haben überhaupt keine traumatischen Erfahrungen, solange sie in Deutschland aufgewachsen sind. In diesem Zusammenhang ist es eine Chance, geflohene Kinder mit in die Diskussionen einzubinden, damit diejenigen, die in der Sicherheit von Frieden und Freiheit aufgewachsen sind, sehen, dass das nicht selbstverständlich ist.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Hamburg