Hamburg. Es geht um viele Millionen Euro an Erstattungen für Steuern, die nie gezahlt wurden, und die Frage, ob der in den “Cum-Ex“-Skandal verwickelten Warburg Bank von der Politik in Hamburg Vorteile gewährt wurden. Knapp neun Stunden wird Bürgermeister Tschentscher befragt.

Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher hat eine Einflussnahme von Olaf Scholz (beide SPD) auf Steuerentscheidungen zu der in den "Cum-Ex"-Skandal verwickelten Warburg Bank ausgeschlossen. Der damalige Bürgermeister und heutige Bundeskanzler "hat über mich keinen Einfluss genommen auf die Steuerentscheidung im Fall Warburg", sagte Tschentscher am Freitag in einer knapp neunstündigen Vernehmung im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft. Es handele sich um Vorwürfe, "die völlig haltlos sind und richtiggestellt werden müssen".

Auch wenn seine Erinnerungen nach fünf Jahren nicht mehr sehr genau seien, sei er jedoch sicher, dass Scholz nicht an ihn herangetreten sei. Denn das wäre so ungewöhnlich gewesen, dass er sich das sicher gemerkt hätte, sagte Tschentscher, der von 2011 bis 2018 Finanzsenator unter Scholz war. Anderslautende Vorwürfe seien "abenteuerliche Geschichten, die nicht stattgefunden haben und für die es deshalb keine Belege gibt".

Der Untersuchungsausschuss will eine mögliche Einflussnahme führender SPD-Politiker auf Steuerentscheidungen bei der Warburg Bank klären. Hintergrund sind Treffen von Scholz mit den Mitinhabern der Bank, Max Warburg und Christian Olearius, in den Jahren 2016 und 2017. Gegen Olearius liefen damals schon Ermittlungen wegen des Verdachts der schweren Steuerhinterziehung.

Nach den ersten Treffen hatte das Finanzamt für Großunternehmen 2016 mit Ablauf der Verjährungsfrist zunächst auf Steuernachforderungen in Höhe von 47 Millionen Euro verzichtet. Weitere 43 Millionen Euro wurden 2017 erst nach Intervention des Bundesfinanzministeriums eingefordert. Scholz hatte die Treffen bei seiner Vernehmung im Untersuchungsausschuss im vergangenen Jahr eingeräumt, aber angegeben, sich an den Inhalt der Gespräche nicht erinnern zu können. Eine Einflussnahme auf das Steuerverfahren schloss er jedoch aus.

Als er Finanzsenator wurde, sei die finanzielle Lage der Stadt schwierig gewesen, sagte Tschentscher. "Nach jahrelanger defizitärer Entwicklung waren die Bedarfe enorm." Ein Anliegen sei es ihm deshalb gewesen, die Steuereinnahmen zu verbessern. Schon das spreche gegen eine politische Einflussnahme im Fall "Warburg", "weil es in einer solchen Lage völlig abwegig ist, auf Steuerforderungen in Millionenhöhe zu verzichten".

Die Entscheidung der Steuerverwaltung, auf die Rückforderung der Steuern zu verzichten, war Tschentscher zufolge aus damaliger Sicht indes nachvollziehbar. Die "Cum-Ex"-Gestaltung sei in diesem "sehr komplizierten" Fall damals nicht einwandfrei nachweisbar gewesen. Er sprach von einem "Dilemma": Auf der einen Seite habe das Risiko einer Amtshaftung bestanden, wenn die Bank zu Unrecht mit einer so hohen Rückforderung in Gefahr gebracht worden wäre. Auf der anderen war es der Verlust eines möglichen Rückforderungsanspruchs durch Verjährung.

Zugleich seien Steuerexperten der Meinung gewesen, dass eine Rückforderung bei erwiesener "Cum-Ex"-Gestaltung auch nach der Verjährung möglich wäre. Deshalb sei ihm 2016 die Entscheidung der Steuerverwaltung, auf die Rückforderung zu verzichten, "nicht nur korrekt, sondern auch als Ausweg aus diesem Dilemma" erschienen.

Der CDU-Obmann im Ausschuss, Richard Seelmaecker, warf Tschentscher vor, sich hinter seinen Beamten zu verstecken. "Tschentschers Aussagen machen deutlich, dass er intensiv und häufig in die Gespräche der Steuerverwaltung eingebunden war." Als Senator hätte er sich dafür einsetzen müssen, dass seine Finanzverwaltung die Rückforderung vor der Verjährung durchsetzt. "Obwohl ihm laut eigenen Angaben die Rechtswidrigkeit der Cum-Ex Geschäfte schon frühzeitig klar war, hat er nicht dafür gesorgt, die Steuerforderung durchzusetzen. Damit hat er seinem Amtseid, immer zum Wohle Hamburgs zu handeln, in eklatanter Weise verletzt."

Für Milan Pein, Obmann der SPD, wurde in der Befragung Tschentschers dagegen deutlich, dass die Steuerverwaltung verantwortungsvoll mit einem sehr komplizierten Sachverhalt umgegangen sei. "Die bisherigen Zeugenbefragungen im PUA machen deutlich, dass es keine Grundlage für eine Spekulation über politische Einflussnahme von Senatsmitgliedern gibt", konstatierte er.

Erst 2020 hatte die Hamburger Steuerverwaltung von Warburg Steuern in dreistelliger Millionenhöhe auch aus anderen Steuerjahren zurückgefordert. Zuvor war die Bank vom Landgericht Bonn in einem Strafverfahren zu "Cum-Ex"-Geschäften zur Zahlung von über 176 Millionen Euro aufgefordert worden. Der Bundesgerichtshof hatte ein Jahr später die Strafbarkeit von "Cum-Ex"-Geschäften und damit auch die Einziehungsentscheidung bestätigt - in der vergangenen Woche dann auch das Bundesverfassungsgericht.

Die Bank hatte nach eigenen Angaben 2020 schon alle von den Steuerbehörden wegen "Cum-Ex" gegen sie geltend gemachten Steuerforderungen beglichen. Sie versucht aber weiter, auf juristischem Wege gegen die Hamburger Steuerbescheide vorzugehen.

Bei "Cum-Ex"-Geschäften verschoben Finanzakteure große Aktienpakete rund um den Dividenden-Stichtag in einem schwer durchschaubaren System und ließen sich dann Steuern erstatten, die nie gezahlt wurden. Dem Staat entstand so ein Milliardenschaden.

Während der Vernehmung Tschentschers im PUA wurde bekannt, dass erneut Strafanzeige gegen ihn gestellt wurde, nach dpa-Informationen vom renommierten Hamburger Strafrechtler Gerhard Strate. Ein Sprecher der Staatsanwealtschaft bestätigte den Eingang einer Anzeige gegen Tschentscher. Strate hatte bereits im Februar Anzeigen gegen Tschentscher und Scholz bei der Hamburger Staatsanwaltschaft gestellt und beiden Beihilfe zur Steuerhinterziehung vorgeworfen. Die Hamburger Staatsanwaltschaft sah allerdings keinen Anfangsverdacht.

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