Hamburg. Die Linke fordert ein Ende der Präsenzpflicht an Hamburgs Schulen, um die Kinder und Jugendlichen vor Corona zu schützen. Der Schulsenator sieht dadurch vor allem sozial schwächer gestellte Schüler im Nachteil.

Die Forderung nach einer Aussetzung der Präsenzpflicht an den Hamburger Schulen hat nach Ansicht von Schulsenator Ties Rabe auch mit dem sozialen Status der Eltern zu tun. "Die Debatte wird oft von Kreisen dominiert, die mit Schulschließungen gut umgehen können", sagte der SPD-Politiker dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". "Es ist ein Unterschied, ob ein Oberstufenschüler in einem gut ausgestatteten Jugendzimmer lernt oder ob wir es mit Grundschulkindern oder mit Kindern und Jugendlichen aus sozial nicht so gut gestellten Familien zu tun haben."

Dagegen warf die Schulexpertin der Linksfraktion, Sabine Boeddinghaus, Rabe vor, durch das Festhalten an der Präsenzpflicht für einen "Zwang zur Infektion" zu sorgen. Gerade bei jungen Menschen, die die Linken-Politikerin zur vulnerablen Gruppe zählte, gingen die Inzidenzen durch die Decke, sagte Boeddinghaus und forderte den Senator auf, "sich endlich vom Dogma der Präsenzpflicht zu lösen" und den einzelnen Schulen mehr Gestaltungsspielraum im Umgang mit der Pandemielage einzuräumen.

Rabe betonte, dass 53 Prozent der Kinder in Hamburg einen Migrationshintergrund hätten. In 28 Prozent der Familien werde kein Deutsch gesprochen und mehr als ein Drittel beziehe Hartz IV, sagte er. "Viele haben kein eigenes Kinderzimmer und leben in engen Wohnungen. Das sind alles Rahmenbedingungen, die man mitdenken muss." Diejenigen, die die Debatte zurzeit in Deutschland bestimmten, würden das oft ausblenden, "weil sie nur ihre persönliche Lage sehen".

Es den Schulen anhand der jeweiligen Corona-Situation selbst zu überlassen, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, sei für ihn nicht der richtige Weg, unterstrich der Senator. "Ich finde Bildung so wichtig, dass über die Schließung einer Schule nicht eine Schulleitung allein entscheiden darf, sondern sich die Politik dieser Verantwortung stellen muss."

Zudem liege die derzeitige coronabedingte Krankheitsquote unter den Lehrkräften in Hamburg unterhalb der für die Erkältungssaison üblichen Quote. "In den Erkältungsmonaten liegt die Ausfallquote der Lehrkräfte zwischen acht und elf Prozent, bei den Schülern zwischen fünf und zehn Prozent. Wegen Corona-Infektionen fehlen derzeit dagegen nur zwei Prozent der Schüler und ein Prozent der Lehrkräfte", sagte Rabe.

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