Hamburg. Streit um Abriss und Neubau gibt es in Hamburg zu Genüge. Was neben Kosten, Ästhetik und Pragmatik eine immer wichtigere Rolle spielt: Klimaschutz. Denn die Bauindustrie ist ein riesiger „Klimasünder“. In Deutschland stammen laut einer Studie des Umweltbundesamtes 40 Prozent der Treibhausgase aus dem Baubereich.
„In den Baustoffen stecken Energie und CO2-Emissionen, die bei der Herstellung und dem Transport der Materialien, etwa Stahl und Beton, freigesetzt werden“, erklärt Wolfgang Willkomm, Professor für Architektur an der HafenCity Universität. Und diese Emissionen sind nicht gerade gering. Allein die Zementindustrie ist für acht Prozent der globalen Treibhausgase verantwortlich.
Wenn es darum geht, ob ein bestehendes Gebäude saniert oder abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden soll, würden Klimafragen meist nicht hinreichend beachtet, so Willkomm. Wer eine Baugenehmigung beantrage, müsse zwar die Betriebsenergie eines Gebäudes berücksichtigen – nicht aber den Energieaufwand der Herstellung der Materialien. „Das sieht eine Baugenehmigung bisher nicht vor.“
Der Hamburger Denkmalverein fordert, dass sich dies ändert. Es brauche eine Ökobilanz, die den CO2-Ausstoß von Abriss und Neubau berücksichtigt. „Vorbildhaft ist hier die Schweiz, die schon vor Jahren Instrumente zur Erfassung der gesamten Lebenszyklen von Gebäuden entwickelt hat“, so Kristina Sassenscheidt, Geschäftsführerin des Denkmalvereins.
Stadtenwicklung: Abriss der City-Hochhäuser war klimapolitisch ein Fehler
Eine solche Bilanz hat es bei der Planung der umstrittenen U5, deren Bauvorbereitungen Anfang des Monats starteten, nicht gegeben. Eine private Studie von Experten schätzt, dass sich die neue U-Bahnlinie erst nach mindestens 100 Jahren aus Sicht des Klimaschutzes rechnet. Auch Wolfgang Willkomm sieht das Vorhaben kritisch. „Das ist ein riesiger Ressourcenverbrauch. Gerade der Tunnel- und Gleisbau benötigen enorm viel Energie“. Viel klimafreundlicher sei die Anbindung durch Straßenbahnen. Umstritten war ebenso der Abriss der City-Hof-Hochhäuser.
„Ich gehöre zu den großen Kritikern dieses Abrisses“, bekennt sich Willkomm. „Die Gebäude hätten prima umgebaut und verschönert werden können. Es gab gute Entwürfe, die Zwischenräume der Häuser lebendig zu gestalten“. Außerdem kritisiert der Professor das verbaute Material: Es wurden Klinker verwendet. „Auch die umfangreichen Backsteinfassaden vor der ohnehin sehr energieintensiv hergestellten Betonkonstruktion tragen durch den Ziegelbrand erheblich zu den klimaschädlichen CO2-Emissionen bei.“ Doch Willkomm ist auch optimistisch: „Ich bin mir sicher, dass Klimaschutz bald bei Neubaugenehmigungen eine Rolle spielen muss – wegen des hohen Drucks, den die Zivilgesellschaft auf die Politik ausübt“.
Holzbau als nachhaltigere Alternative iat gerade groß im Kommen
Nur Druck, das reicht Kristina Sassenscheidt nicht aus: „Wenn wir Ressourcen und CO2 einsparen wollen, brauchen wir dringend finanzielle Anreize und gesetzliche Vorgaben, die den Erhalt des Bestandes attraktiver machen“. Wie kann klimafreundliches Bauen also aussehen? „Primär ist das ein Verzicht aufs Bauen“, ist sich Willkomm sicher. „Wir sollten nur neu bauen, wenn es unumgänglich ist. Und wenn wir bauen, dann mit weniger Beton“. Der Holzbau als nachhaltigere Alternative sei gerade groß im Kommen.
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Vorbild sei Wien, wo bereits ganze Bereiche in Neubaugebieten für höhergeschossigen Holzbau reserviert würden. „Trotzdem werden wir den Beton nicht komplett abschaffen können. Wir werden nur viel mehr auf Recyclingbeton und Hybridbauten, die nur zum Teil aus Holz bestehen, setzen müssen“, so Willkomm.
Intelligente Planung verhindert Neubaubedarf
Wichtig sei außerdem eine Anpassbarkeit an sich ändernde Bedarfe. „Man muss Gebäude seltener ersetzen, wenn sie vorausschauend geplant wurden“, sagt Willkomm. „Im Wohnungsbau heißt das zum Beispiel, eine große Wohnung, in der eine Familie wohnt, in zwei kleinere Wohnungen aufteilen zu können, wenn die Kinder ausgezogen sind“.
Ein positives Beispiel für eine Umnutzung von Bestand ist ein leerstehendes Parkhaus an der Neuen Gröningerstraße. „Es wurde von einer Baugruppe übernommen, die plant, das Parkhaus zu einem Wohnprojekt umzubauen“, erzählt Willkomm. Wann sollte ein Abriss also überhaupt noch erlaubt sein? „Bei einem sehr baufälligen Gebäude, das nicht mehr nutzbar ist, bin ich für einen Abriss“, so Willkomm.
Etwa gebe es Baulücken in St. Pauli, wo nach dem Krieg einstöckige Bauten zwischen sechsstöckigen Gebäuden platziert wurden. „Dann ist es auch richtig, diese eingeschossigen, provisorischen Gebäude abzureißen und wieder mit Bauten in gleicher Höhe wie die Nachbarn zu ersetzen anstatt irgendwo anders ein neues Grundstück aufzumachen, möglicherweise sogar auf Kosten des Naturraumes.“ Das sei angesichts der Wohnungsnot auch eine Frage der Sozialplanung.
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