Hamburg. In Hamburg besucht fast die Hälfte der unter Dreijährigen eine Krippe. Laut einer Bertelsmann-Studie ist das im Westen Spitze. Allerdings steht in der Hansestadt erneut so wenig Personal zur Verfügung wie sonst nirgends im Westen.

Bei der Kita-Betreuung der unter Dreijährigen liegt Hamburg beim Personalschlüssel unter den westdeutschen Ländern auf dem letzten, bei der Teilhabequote dafür auf dem ersten Platz. So betreute im vergangenen Jahr rechnerisch ein Erzieher oder eine Erzieherin im Schnitt 4,3 Kinder, wie aus dem Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme der Bertelsmann-Stiftung hervorgeht. In Baden-Württemberg seien es dagegen nur 3,0 Kinder. Auf der anderen Seite hat sich den Angaben zufolge die Zahl der Kinder mit einem Krippen- oder Kindertagespflegeplatz zwischen 2011 und 2020 von 16.036 auf 28.429 erhöht, so dass die Teilhabequote auf knapp 47 Prozent gestiegen sei. In Bremen etwa liege sie bei nur 29 Prozent, im westdeutschen Schnitt bei 31 Prozent.

Im Vergleich zu den ostdeutschen Ländern, wo es seit jeher verhältnismäßig mehr Kita- und Krippenplätze gibt und die durchschnittliche Betreuungsquote bei den unter Dreijährigen 53 Prozent beträgt, liegt Hamburg zwar hinten. Dafür betreut im Osten eine Erzieherin oder ein Erzieher im Schnitt aber gleich 5,5 Kinder. Bei den Drei- bis Sechsjährigen seien es sogar 11, während es in Hamburg 7,9 und in ganz Westdeutschland 8,1 Kinder seien.

Obwohl Fachleute Hamburg eine deutliche Verbesserung konstatieren, erfüllt die Hansestadt - wie alle anderen Länder - weiterhin nicht deren Anforderungen. So sollte eine Fachkraft in Krippen nicht mehr als 3 Kinder und in Kindergärten nicht mehr als 7,5 Kinder betreuen, um frühkindliche Bildungschancen zu gewährleisten, die über reine Betreuung hinausgehen. Oder anderes ausgedrückt: Am 1. März 2020 stand in Hamburg für mehr als 71 Prozent der Kinder in amtlich erfassten Kita-Gruppen nicht genügend Personal zur Verfügung.

Die rot-grüne Koalition zeigte sich dennoch zufrieden. "Bei der personellen Ausstattung kommt Hamburg voran", sagte der SPD-Familienexperte Uwe Lohmann. Die Studie zeige, dass Hamburg die personelle Ausstattung besonders im Krippenbereich stark ausgebaut habe. "Neben Brandenburg hat Hamburg den Betreuungsschlüssel in den Krippen bundesweit am stärksten verbessert." Ähnlich äußerte sich die familienpolitische Sprecherin der Grünen-Bürgerschaftsfraktion, Britta Herrmann: "Hamburg hat die personelle Ausstattung in Krippen und Kitas in den vergangenen Jahren deutlich verbessert und wird dies mit bereits vereinbarten Schritten auch weiterhin tun."

Die CDU-Fraktion forderte die Sozialbehörde auf, jetzt mit größter Dringlichkeit nicht nur den Personalschlüssel zu verbessern, sondern auch die Ausbildung sowie die Arbeitsbedingungen. "Rot-Grün darf nicht nachlassen, die Bedingungen im frühkindlichen Bildungs- und Teilhalbebereich für Kinder und Kita-Personal nachhaltig zu verbessern", sagte die CDU-Familienexpertin Silke Seif. Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) äußerte sich auf Nachfrage zunächst nicht zu der Studie.

Der Landeselternausschuss Kinderbetreuung (LEA) klagte, Hamburg habe es wieder nicht geschafft, die Rote Laterne bei der Krippenbetreuung im Westen abzugeben. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass die Realität in den Kitas anders aussehe als die rechnerischen Werte. Oft fehle eigentlich vorhandenes Personal wegen Krankheiten, Urlaub, Fort- oder Weiterbildungen. Und wenn es anwesend sei, stehe es den Kindern nicht immer unmittelbar zur Verfügung, weil es etwa Elterngespräche führen oder Dokumentationen erstellen müsse.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die Gewerkschaft Verdi. "Die Beschäftigten in der frühkindlichen Bildung wollen eine gute Arbeit leisten und für die Kinder und Eltern da sein. Doch es fehlt so viel Personal, dass dies häufig schlichtweg nicht möglich ist", sagte Gewerkschaftssekretär Michael Stock. So hätten im Kita-Personalcheck 41 Prozent der in Hamburg befragten Beschäftigten angegeben, dass sie zeitweise für mehr als 17 Kinder am Tag gleichzeitig verantwortlich seien. Fast 28 Prozent waren demnach teils sogar für mehr als 21 Kinder zuständig. Fast 41 Prozent aller Befragten geben an, dass sie zu wenig Zeit hätten, um auf Bedürfnisse der Kinder einzugehen.

Nach Überzeugung der Bertelsmann-Forscher kann Hamburg das Problem lösen. Dem "Fachkräfte-Radar für Kita und Grundschule" zufolge werden bis 2030 bei den bestehenden Ausbildungskapazitäten der Hansestadt rund 10.000 Erzieherinnen und Erzieher in den Beruf eintreten, womit nur noch weniger als 2000 Fachkräfte für eine kindgerechte Personalausstattung fehlen würden. Sollte das jedoch nicht gelingen, empfehlen die Experten, bis 2030 zunächst die Teilhabequoten zumindest auf das ostdeutsche Niveau zu heben. Außerdem sollten die Personalschlüssel dem Westniveau angeglichen werden. "Dafür ist es allerdings dringend erforderlich, dass Fachkräfte nicht entlassen und freiwerdende Stellen wieder besetzt werden", sagte die Bertelsmann-Bildungsexpertin Kathrin Bock-Famulla.

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