Bestsellerautor

Robin Alexander: „Merkel hatte große Angst vor Corona“

| Lesedauer: 8 Minuten
Der Autor und Journalist Robin Alexander (46) ist seit 2019 stellvertretender Chefredakteur der „Welt“

Der Autor und Journalist Robin Alexander (46) ist seit 2019 stellvertretender Chefredakteur der „Welt“

Foto: imago images/teutopress

Der Bestsellerautor spricht unter anderem über den Imagewandel von Markus Söder und die große Corona-Angst der Kanzlerin.

Hamburg. Er ist Stammgast in den ­TV-Talkshows, Bestsellerautor und einer der besten, wenn nicht der beste Politikerklärer des Landes: Jetzt hat Robin Alexander ein neues Buch („Machtverfall“) geschrieben. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht er über den Imagewandel von Markus Söder (CSU), die große Corona-Angst von Angela Merkel (CDU) und die Fragen, ob Journalisten die Grünen lieben und Olaf Scholz (SPD) doch noch eine Chance hat, Kanzler zu werden.

Das sagt Robin Alexander über …

… den „Machtverfall“:

„Das Buch zu schreiben war ein bisschen wie Schießen auf bewegliche Ziele. Ich hatte mit dem Verlag abgemacht, dass wir mit der Veröffentlichung so lange warten, bis die Kanzlerkandidaturen feststehen. Meine Bücher entstehen immer so, dass ich Teile fertig mache und die schon mal abliefere, während ich an den nächsten Kapiteln schreibe. Anders wäre es bei „Machtverfall“ auch gar nicht gegangen, weil so viel Unerwartetes passiert ist.“

… Treffen mit Politikern, die sich lesen, als ob er dabei gewesen sei:

„Es gibt Ereignisse, bei denen ich dabei gewesen bin, etwa Merkels Reise zu Donald Trump. Dann gibt es Kolleginnen, die bestimmte Dinge erlebt haben, etwa Uta Keseling, die durch einen Zufall Angela Merkel beim Baden beobachtet hat, eine Stelle, die ich im Buch auch beschreibe.

Und schließlich erfahre ich immer wieder von besonderen Gesprächen, etwa dem von der damaligen CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer und dem damaligen CDU-Vorsitzenden Thüringens, Mike Mohring, auf einer Autobahnraststätte, und versuche, diese zu verifizieren. Frau Merkel spricht für meine Bücher nie mit mir, ich bekomme auf meine höflichen Anfragen immer einen höflichen Brief, dass sich die Kanzlerin an dergleichen Projekten nicht beteiligt.“

… Videokonferenzen von Politikern, bei denen Journalisten mithören:

„Weil die Ministerpräsidentenkonferenzen mit der Kanzlerin über Video abgehalten wurden, war nicht mehr kontrollierbar, wer dabei war. Und weil die Ministerpräsidenten wussten, dass darüber berichtet wurde, wollten sie diese Berichterstattung natürlich in ihrem Sinne prägen. Dadurch wurde das ganze fast wie ein Live-Ticker. Am krassesten war übrigens die Videokonferenz, bei der das CDU-Präsidium abschließend über die Kanzlerkandidatur beraten hat. Daraus konnte man detailliert berichten. Und wenn es möglich ist, sollten es Journalisten tun – denn sie haben mehrere Quellen und handwerkliche Standards.

… Merkels (persönliche) Angst vor Corona:

„Frau Merkel hat Corona superernst genommen, auch, weil sie um jeden Preis vermeiden wollte, sich selbst zu infizieren. Ganz früh in der Pandemie, bei der Münchner Sicherheitskonferenz, hat die deutsche Diplomatie andere Staatschefs gebeten, Angela Merkel beim Aufeinandertreffen nicht die Hand zu geben. Das galt damals noch als übertrieben. Sie hat auch die Luftströme in den Konferenzräumen und in ihrer Limousine ausrechnen lassen. Schließlich hat sie ihren Dienstwagen zeitweise gegen einen VW Bus austauschen lassen, um möglichst großen Abstand zum Fahrer zu haben.“

… Merkel und die Wissenschaft(ler):

„Viele Politiker lassen Mitarbeiter mit Experten, im Fall Corona zum Beispiel mit Virologen, reden und lassen sich die wichtigsten Aussagen berichten. Das macht Merkel anders. Sie ruft die Leute direkt an. Im Verlauf der Pandemie hat sie so einen Kreis von Wissenschaftlern um sich geschart, mit dem sie versucht hat, auch die Ministerpräsidenten zu prägen. Das hatte fast etwas von Pädagogik.“

… Markus Söder und Corona:

„Der fast zehn Jahre dauernde Machtkampf, den Markus Söder mit Horst Seehofer ausgetragen hat, hat Spuren in seinem Image hinterlassen. Er galt als Ehrgeizling, als jemand, der seine Ellenbogen benutzt, usw. Die Leute mochten ihn nicht. Daran wollte er etwas ändern, als er Ministerpräsident geworden ist, aber es gelang nicht. Dann kam Corona, und Söder sah, dass die Karten neu gemischt werden. Er setzte sich radikal an die Seite Merkels, war ihr Corona-Knappe und erfand das „Team Vorsicht“. In diesen zwei Begriffen steckt sein komplettes, neues politisches Programm. Die Nähe, die Söder zur Kanzlerin gesucht hat, hat übrigens beiden genutzt.“

… Annegret Kramp-Karrenbauer und die fehlenden zwei Wochen:

„Frau Kramp-Karrenbauer müsste eigentlich heute die Kanzlerkandidatin der CDU sein. Aber sie scheiterte an eigenen Fehlern, an Parteifreunden, die ihr Beine stellten – und an der Kanzlerin, die ihr nicht half, nachdem sie ihre Nachfolgerin als CDU-Vorsitzende geworden ist. Und dann trat AKK von diesem Amt zwei Wochen vor dem Beginn der Pandemie zurück. Wenn sie CDU-Vorsitzende geblieben wäre, wäre alles für sie ganz anders gelaufen. Sie hat, wenn man es böse sagen will, die Nerven verloren. Was Merkel sicher enttäuscht hat.

Denn für sie ist der Aufstieg zur CDU-Vorsitzenden eine Bewährungsprobe, man wird in eine Löwengrube geworfen und muss sich gegen die Löwen verteidigen. Denn wenn man Kanzlerin werden will, kommen noch ganz andere Herausforderungen, Menschen wie Wladimir Putin und Donald Trump. Das klingt nach Sozialdarwinismus, aber wenn eine weiß, wovon sie spricht, ist das in diesem Fall Angela Merkel.“

… der unterschätzte Armin Laschet:

„Armin Laschet macht sich frei von Stimmungen und Umfragen, was eher untypisch für unsere Zeit ist. Er hat einen Plan, und den zieht er durch, ganz egal, was Leitartikler oder Meinungsforscher schreiben. Das hat ihm zu spektakulären Erfolgen verholfen. Laschet ist jemand, der notorisch unterschätzt wird. Kanzlerkandidat wird niemand, der nicht von morgens bis abends Macht atmet.“

… die Frage, ob Journalisten die Grünen lieben:

„Dass die Grünen in den vergangenen Jahren eine deutlich wohlwollendere Presse hatten als die Sozial- und die Christdemokraten, das kann man nicht leugnen. Ich habe unter anderem ein Buch über den Machtkampf zwischen Söder und Laschet geschrieben, wo ist das Buch, das den Machtkampf zwischen Annalena Baerbock und Robert Habeck beleuchtet? Der journalistische Ehrgeiz, hinter die Kulissen der Grünen zu schauen, könnte noch größer sein.“

… Olaf Scholz, der noch eine Chance hat:

„Das Problem von Olaf Scholz heißt SPD. Trotzdem würde ich seinen Plan, Kanzler zu werden, noch nicht völlig verwerfen. Viele Leute, die sich nicht jeden Tag mit Politik beschäftigen, werden sich für die Wahl erst kurz vor dem Wahltermin interessieren. Viele werden denken: Eigentlich sind wir mit der Merkel doch gut gefahren. Und dann sagt Annalena Baerbock: Ich bin auch eine Frau. Und Armin Laschet: Ich bin auch in der CDU. Und was sagt Olaf Scholz? Er sagt: Ich war ihr Finanzminister und Vizekanzler. Ich habe gezeigt, dass ich das kann. Es ist ja auch nicht ehrenrührig, dass man bei einer Kanzlerkandidatur die Kompetenz in den Vordergrund stellt.“

… seine Erzählstrategie:

„Meine Idee ist, dass man in einer Demokratie wichtige politische Vorgänge auch Leuten erklären können muss, die nicht so viel Zeit hatten, darüber nachzulesen wie man selbst. Ich versuche, die Zusammenhänge so einfach wie möglich zu beschreiben, in kurzen Sätzen, die jeder versteht. Ich möchte Politik für die Menschen erreichbar machen, um ihnen damit bei der Meinungsbildung zu helfen.“

Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Hamburg