Hamburg. Für den Islamischen Staat sind die Jesiden im Nordirak Ungläubige. Die Terroristen verfolgen die Minderheit gnadenlos und versklaven die Frauen. Eine Hamburgerin muss sich jetzt wegen Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht verantworten.

In einem Prozess vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg geht es seit Donnerstag um das Leid jesidischer Frauen unter dem Terrorregime des Islamischen Staates (IS). Angeklagt ist eine bereits verurteilte IS-Rückkehrerin aus Syrien. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft der 36-jährigen Omaima A. vor, als Mitglied der Terrororganisation Beihilfe zur Versklavung zweier Jesidinnen geleistet zu haben.

Anfang 2016 soll die Deutsch-Tunesierin in ihrer Wohnung in der Stadt Rakka zweimal eine andere IS-Anhängerin empfangen haben, die die beiden Jesidinnen mitbrachte. Während der Besuche hätten die versklavten Frauen die Wohnung geputzt. Nach Ansicht der Hamburger Generalstaatsanwaltschaft hat sich die in Hamburg geborene Angeklagte damit der Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Tateinheit mit Freiheitsberaubung schuldig gemacht.

Omaima A. war bereits am 2. Oktober 2020 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation im Ausland zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden. Das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts ist seit März rechtskräftig und die Angeklagte verbüßt zurzeit die Strafe.

Im neuen Prozess streben alle Beteiligten eine Verständigung an. Bei einem Geständnis könnte die Angeklagte nach Einschätzung des Gerichts mit einer neuen Gesamtstrafe von bis zu vier Jahren und drei Monaten rechnen. Das wären also maximal neun zusätzliche Monate Haft.

Omaima A. war Anfang 2015 mit drei kleinen Kindern ihrem damaligen Mann nach Syrien gefolgt. Nach dem Tod ihres Mannes im Frühjahr 2015 heiratete sie dessen Freund Denis Cuspert. Der Berliner Gangsterrapper ("Deso Dogg") hatte sich 2014 dem IS angeschlossen und stand in den USA auf der Terrorliste. Medienberichten zufolge wurde er 2018 in Syrien bei einem Luftangriff getötet. Anfang September 2016 war Omaima A. kurz vor der Geburt ihres vierten Kindes über die Türkei nach Deutschland zurückgeflogen.

Bereits im ersten Prozess gegen die Angeklagte war es auch um den Vorwurf der Beihilfe zur Versklavung eines jesidischen Mädchens gegangen. Dazu hatte eine erwachsene Jesidin als Zeugin ausgesagt. Die Aussage der heute 30-Jährigen führte zu der neuen Anklage. Die Zeugin ist jetzt Nebenklägerin.

Vor einem Jahr hatte die Jesidin ihre Leidensgeschichte vor Gericht geschildert. Demnach war ihr Dorf im Nordirak am 3. August 2014 vom IS überfallen worden. Da sich die 1738 Einwohner nicht zum Islam bekennen wollten, wurden die Männer des Dorfes - darunter ihr Vater und ihre Brüder - erschossen. Die Frauen wurden in drei Gruppen eingeteilt - ältere, Mütter mit Kindern und Jüngere - und zunächst in eine Schule gebracht.

Sie selbst wurde nach Rakka verschleppt. Sie sei mehrfach an Kämpfer des IS weiterverkauft und vergewaltigt worden, berichtete die Jesidin. Eines Tages habe die Frau des IS-Kämpfers, bei dem sie leben musste, zu ihr und einer anderen Jesidin gesagt: "Macht euch fertig, wie gehen Freunde besuchen." So habe sie die Angeklagte kennengelernt.

Bei der Sklavenhalterin soll es sich nach Angaben eines Gerichtssprechers um die Deutsche Sarah O. gehandelt haben. Die 23-Jährige war erst am Mittwoch vom Oberlandesgericht Düsseldorf zu einer Jugendstrafe von sechseinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Nach dem noch nicht rechtskräftigen Urteil hielt die ehemalige Gymnasiastin aus Konstanz insgesamt fünf jesidische Frauen und zwei minderjährige jesidische Mädchen als Sklavinnen.

Omaima A. sei nicht wegen derselben Straftat ein zweites Mal angeklagt worden, betonte der Hamburger Gerichtssprecher. Der Bundesgerichtshof habe festgestellt, dass ein Mitglied in einer ausländischen terroristischen Vereinigung mehrere Straftaten begangen haben könnte, die mit der einmaligen Verurteilung wegen Mitgliedschaft strafrechtlich nicht abgegolten seien. Im Fall von Omaima A. wurde die Beihilfe zur Versklavung einer 13-Jährigen bereits abgeurteilt. Im neuen Prozess geht es um die Beihilfe zur Versklavung der Nebenklägerin und einer weiteren erwachsenen Jesidin.

Während der Anklageverlesung am Donnerstag unterhielt sich Omaima A. lächelnd mit ihrem Verteidiger. Sie war im Gerichtssaal mit dunkler Hose, Top und weißem Blazer erschienen. Über ihren langen schwarzen Haaren trug sie ein Basecap.

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