Jährlich 300 Millionen Karten

Diese Eintrittskarten aus Eidelstedt sind weltweit gefragt

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Jens Meyer-Odewald
Geschäftsführer Dirk Lehmann steht zwischen Beckerbillett-Druckmaschinen aus den 50er-Jahren.

Geschäftsführer Dirk Lehmann steht zwischen Beckerbillett-Druckmaschinen aus den 50er-Jahren.

Foto: Roland Magunia/Funke Foto Services

Das Hamburger Traditionsunternehmen produziert Tickets aller Art. Unter anderem den echten Klassiker: das gute alte Rollenbillett.

Hamburg. Diese kleinen Papier-schnipsel schrieben Hamburger Geschichte. Die einen heften sie an die Pinnwand oder an die Magnettafel, an-dere platzieren sie auf dem Schreibtisch oder stecken sie in die Brieftasche. In der Regel sind Eintrittskarten Versprechen für etwas Schönes. Bedruckte Tickets bescheren Vorfreude oder wirken als Erinnerungsstücke an besondere Ereignisse. Man kann die Papierkarten aufbewahren – und später in Gedanken zurückkehren.

Mit Überlegungen wie diesen stehen wir in einem der Produktionsräume der Firma Beckerbillett an der Fangdieckstraße in Eidelstedt. Dunkelgrüne Maschinen rattern rhythmisch. Seit Jahrzehnten verrichten sie ihren Dienst. Präzise, zuverlässig. Nach wie vor tagtäglich. Das traditionsreiche Familienunternehmen, dessen Wurzeln auf das Jahr 1892 zurückgehen, druckt pro Jahr rund 300 Millionen Eintrittskarten: moderne Thermotickets, aber auch die guten, alten Abreißbilletts von der Rolle. Viele kennen sie von früher. Dieser Klassiker ist quasi die Mutter aller Eintrittskarten.

Karten aus Hamburg immer noch gefragt

Schwimmbäder, Tierparks oder Zirkusveranstalter nutzen die farbigen Abschnitte damals wie heute. Als Biermarken sind sie bei Festen in Gebrauch. Und in jedem deutschen Kino lagern ein paar große Rollen. Für den Fall, dass die modernen, computergesteuerten Ticketsysteme versagen.

Auf die Karten von damals ist Verlass. Ohne Schnickschnack helfen sie Veranstaltern, den Einlass unkompliziert zu regeln und bei Geschäftsschluss Klarheit in der Kasse zu haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es los. Die britische Besatzungsmacht erteilte lokalen Lichtspielhäusern die Erlaubnis, Kinofilme zu zeigen. In dieser Ära des Aufbruchs gründete der Hamburger Unternehmer Adolf H. Andresen gemeinsam mit einem Partner aus Berlin die Firma Beckerbillett – als Abteilung der 55 Jahre zuvor gestarteten Druckerei Hugo Becker mit Sitz in der Friedensallee. Im März 1948 traf die erste Maschine zur Herstellung von Rollenbilletts in Hamburg-Ottensen ein. Auf dem Wasserweg. Das Geschäft rollte an – im wahrsten Sinn des Wortes.

3000 Kunden bei Hamburger Unternehmen registriert

„Die Maschinen schnurren wie am Schnürchen“, sagt Geschäftsführer Dirk Lehmann neben einem Nachfolgegerät des ursprünglichen Modells. Die robuste, praktisch unverwüstliche Maschine wurde vor einem halben Jahrhundert in Darmstadt gebaut. Auf hellgrünen Rollen wird just der Auftrag einer Sommerrodelbahn erledigt.

Insgesamt sind bei „BB“ 3000 Kunden registriert. Bestellungen für die Eintrittskarten der Neuzeit treffen sogar aus Singapur, Dubai und Chile ein. Nicht viele Fachfirmen sind in der Lage, fortlaufend nummerierte und mit individuellen Sicherheitsmerkmalen ausgestattete Thermotickets wunschgemäß herzustellen. Mit 55 Mitarbeitern erwirtschaften die Geschäftsführer Ole James Abel und Dirk Lehmann einen Jahresumsatz von sieben Millionen Euro. Lehmanns Urgroßvater Adolf Andresen war 1906 in die Firma eingestiegen.

Modernsten Tickets der Welt

Längst kann das hanseatische Unternehmen mit bald 130-jähriger Geschichte nicht von Rollenbilletts allein existieren. Es macht sich bezahlt, dass der unverändert aktive Seniorchef Reimer Andresen beizeiten die Weichen für Neuerungen stellte. Auf drei Druckmaschinen werden in der Rollenoffset-Rotation die modernsten Tickets der Welt bis zu achtfarbig gedruckt. Jeder dieser Hightech-Apparate kostet in der Anschaffung etwa eine Million Euro. Kaum einer weiß, dass er bei Besuchen in Fußballstadien, Arenen, Museen oder Großkinos wahrscheinlich Produkte aus der Fangdieckstraße in der Hand hält. Neben der Druckerei basiert der Umsatz von Beckerbillett auf zwei weiteren Geschäftsfeldern.

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Das Unternehmen ist zudem Softwarehaus und Anbieter leistungsstarker Kassensysteme. Wenn am Eingang von Sportstadien und Kulturstätten auf Mausklick Tickets aus einem Thermodrucker flutschen, steckt vielfach der Betrieb an der Grenze zwischen Eidelstedt und Lurup dahinter. Dagegen greift der Hamburger Fußballverband zum Beispiel bei Kreisligakicks von jeher auf Rollenkarten zurück. Das war nicht anders, als beim HSV 1963 die Bundesliga angepfiffen wurde. Fast jede von der Rolle abreißbare Eintrittskarte hierzulande stammt aus der Traditionsfirma.

Das Lager begeistertdas Kind im Manne

Damit Verwechslungen oder Tricksereien verhindert werden, gibt es farbige Rollen, die mit unterschiedlichen Mustern bedruckt werden. So kann der Kunde zwischen gut 200 Varianten wählen. Das Papier wird in 200 Kilogramm schweren Rollen geliefert und auf Breite geschnitten. Das Lager begeistert das Kind im Manne. Viele Rollenbilletts zeichnen sich durch Bonbonfarben aus. Der Unterschied macht den Ton.

Im Vorübergehen zeigt Dirk Lehmann Computerkassen der Neuzeit. Der Diplomkaufmann, ein gebürtiger Hamburger, ist seit 32 Jahren im Einsatz. „Die modernen Kassensysteme sichern unser wirtschaftliches Überleben“, sagt Lehmann. Während der Pandemie brach der Ticketumsatz um 80 Prozent ein. Es gab ja kaum noch Veranstaltungen. Die neue Eintrittstechnik, die auch bei Hagenbeck, im Michel oder in den Hamburger Museen genutzt wird, machte diese Verluste mehr als wett. Was waren das noch für Zeiten, als man auf dem Dom, in der Staatsoper oder am Eingang des Thalia-Theater bunte Billetts erhielt. Wer weiß, wie viele solcher Erinnerungsstücke in Alben oder Schatzkästchen aufbewahrt werden? Beim Anblick leben unvergessliche Stunden wieder auf.

Hamburger Galerist ließ Rollen bedrucken

Aus heutiger Sicht kuriose Boxen, aus denen je nach Kartenkategorie mit Streifen bedruckte Tickets gezogen werden konnten, sind im Souterrain des Verwaltungsgebäudes untergebracht. Die urigen Apparate haben Museumsreife. Das Hingucken bereitet dem Betrachter wohlige Gänsehaut. Ein ähnliches Gefühl muss der Hamburger Galerist Christian Pfaff gespürt haben, als ihm eine ungewöhnliche Idee kam. Er nutzte die alte Technik, um kleine Rollen mit Schlagworten der Neuzeit bedrucken zu lassen. Als originelle Mitbringsel sind sie in Geschenkläden zu erwerben. Auf den Abreißpapieren stehen Schlagworte der Neuzeit: „Glück“, „Kuss“, „Idee“ – oder „kein Sex“. Aufschriften wie diese wären früher undenkbar gewesen.

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