Hamburg. Die Corona-Zahlen in Hamburg sinken langsam. Für Sozialsenatorin Leonhard ist das aber noch lange kein Grund für eine weitgehende Lockerung der Auflagen. Richtig sauer reagiert sie in der Bürgerschaft auf Vorhaltungen, Hamburg würde Impfdosen wegwerfen.

Angesichts der langsam sinkenden Sieben-Tage-Inzidenz in Hamburg hat Sozialsenatorin Melanie Leonhard vor zu schnellen Lockerungen bei den Corona-Auflagen gewarnt. "Wir liegen nach einer wirklich aufkeimenden sehr dynamischen Phase der Pandemie mit galoppierenden Infektionszahlen stadtweit inzwischen wieder rund um den Wert 100", sagte die SPD-Politikerin am Mittwoch in der Hamburgischen Bürgerschaft. Nun sei es sehr wichtig, "dass wir jetzt sehr gut miteinander beraten, diskutieren und auch darüber streiten, wo wollen wir die Schwerpunkte setzen, wenn es um die Frage von Lockerungen geht".

Denn im Februar und März habe man sehr schmerzhaft erlebt, wie ein sicher geglaubter Weg hin zu niedrigeren Infektionszahlen trotz Warnungen verspielt worden sei durch bundesweit voreilig eingeführte Öffnungen. Leonhard sprach von einer anstehenden schwierigen Debatte um die Gleichstellung von Geimpften und Getesteten, weniger wegen der Betroffenen selbst als vielmehr wegen all der anderen Menschen. Impfstoff sei weiterhin knapp. Und insbesondere junge Menschen ohne Chance auf eine schnelle Impfung müssten sich weiter sehr einschränken und seien sehr belastet.

Mit scharfen Worten verwahrte sich Leonhard gegen Vorwürfe, Hamburg werfe Impfstoff weg. "Das Gegenteil ist der Fall." Erst am vergangenen Freitag habe Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in Hamburg betont, dass beim Impfstoff von Biontech/Pfizer pro Fläschchen nur sechs Impfdosen garantiert seien. Die kolportierte siebte Dosis werde in einigen anderen Ländern nur im Einzelfall "unter Verantwortung des aufsichtführenden Arztes" geimpft.

"Ich werde nicht (...) politisch anordnen, dass das immer zu geschehen hat", sagte Leonhard. Die Menschen hätten einen Anspruch darauf, dass jede einzelne Impfdosis den gleichen Wirkungsgrad habe. "Etwas anderes können wir uns in der Pandemie nicht leisten. Also hören Sie auf, diese Scheinrechnung zu machen und hier populistisch zu argumentieren", sagte Leonhard in Richtung des CDU-Fraktionsvorsitzenden Dennis Thering.

Dieser hatte unter Hinweis auf Medienberichte beklagt, dass offensichtlich 43 000 mögliche siebte Impfdosen weggeworfen worden seien. Obwohl es Ärzte in der Stadt gebe, die diese siebte Dosis ausdrücklich impfen wollten, bekämen sie vom Senat keine Rückendeckung. Stattdessen schüre SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf Ängste und betreibe Panikmache. "Die Entnahme der Restdosen ist möglich, und sie ist vor allem ausdrücklich gesetzlich auch erlaubt", betonte Thering. Auch Hamburg könne das machen. "Impfstoff gehört jetzt endlich verimpft und nicht in die Mülltonne."

Kritik an der rot-grünen Corona-Politik kam auch von den Linken, die sich vor allem an der Einschränkung der Versammlungsfreiheit und dem Polizeieinsatz am 1. Mai abarbeiteten. Während die Polizei am Tag der Arbeit gegen linke Demonstranten wegen des Infektionsschutzes hart vorgegangen sei, dürften sich "Querdenker" in deutlich größerer Zahl regelmäßig unbehelligt versammeln, kritisierte der Innenexperte Deniz Celik. "Der Polizeieinsatz am 1. Mai hatte nichts, wirklich gar nichts mit dem Infektionsschutz zu tun." Vielmehr sei es um eine autoritäre Durchsetzung der Versammlungsverbote gegangen.

Auch die einzige FDP-Abgeordnete in der Hamburgischen Bürgerschaft, Anna Treuenfels-Frowein, sparte nicht mit Kritik. Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) habe mit seiner Verweigerung von Öffnungen, von einer Rücknahme der Ausgangssperre oder Rückgabe von Grundrechten an Geimpfte Maß und Mitte verloren. "Mit kleinlicher Akribie treibt er vor allem Kinder aus bildungsfernen Verhältnissen ohne Präsenzunterricht in die Bildungskatastrophe, nimmt den Niedergang ganzer Wirtschaftsbranchen in Kauf und beschädigt die Geltung des Grundgesetzes in Hamburg." Diese provinzielle Politik degradiere Hamburg zum Schlusslicht unter den Bundesländern.

Der AfD-Abgeordnete Krzysztof Walczak vergriff sich nach Ansicht aller anderen Fraktionen deutlich in der Wortwahl. Er sprach von einer Impf-Apartheid mit Privilegien für Geimpfte. Obwohl die Grundrechte für alle gleich gälten, "lassen sich Politiker von Linkspartei bis CDU im Dienste des Infektionsschutzes von dieser dunklen Phase einer Rassentrennung inspirieren und kodifizieren in unserem Recht das Konzept von Menschen zweiter Klasse". Diesem "politischen Sadismus" stelle sich die AfD entgegen.

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