Kiel. Die Corona-Notbremse des Bundes stößt im Norden weiter auf Kritik. Vor allem die pauschalen Ausgangsbeschränkungen lehnt Schleswig-Holstein ab. Verzögern wolle das Land die Pläne angesichts der Lage in anderen Länder aber nicht, sagt Regierungschef Günther.

Mit einem Entschließungsantrag will Schleswig-Holstein auf den letzten Drücker Änderungen an der geplanten Corona-Notbremse des Bundes erreichen. Fraktionsübergreifend kritisch steht der Landtag vor allem den geplanten pauschalen Ausgangsbeschränkungen bei einer Inzidenz über 100 gegenüber. "Aber wir werden nicht den Vermittlungsausschuss anrufen, weil wir keine Verzögerung haben wollen", sagte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) am Dienstag in einer Sondersitzung des Landtags. Das Gesetz solle möglichst schnell in Kraft treten.

Laut Robert Koch-Institut wies Schleswig-Holstein am Dienstag mit 72,4 Infektionen je 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen bundesweit die niedrigste Inzidenz unter den Bundesländern auf. "Wir hätten in Schleswig-Holstein diese Änderung nicht gebraucht", sagte Günther. Vor allem die Ausgangsbeschränkungen bereits ab einer Inzidenz über 100 bereiteten "erhebliche Bauchschmerzen". Clusterausbrüche müssten anders bewertet werden als ein diffuses Infektionsgeschehen.

Das Land sei nicht grundsätzlich gegen Ausgangssperren, sagte Günther. "Ab 100 halten wir sie aber nicht für angemessen." Das mache die Jamaika-Koalition in einem Entschließungsantrag zum Infektionsschutzgesetz deutlich. Günther kündigte zudem eine Protokollerklärung Schleswig-Holsteins an.

Es sei bisweilen der Eindruck entstanden, "als brauchten die Bundesländer beim Corona-Management jetzt dringend die Hilfe des Bundes", sagte Günther. Dies sei nur beim Impfstoff nötig. Es gebe bereits alle Möglichkeiten, gegen die Corona-Pandemie vorzugehen. Manchmal wundere er sich, wie wenig konsequent in anderen Bundesländern gehandelt werde.

"Es ist wichtig, dass Schleswig-Holstein seine Kritik an den Regeln formuliert", sagte Grünen-Fraktionschefin Eka von Kalben. Menschen die Freiheit zu nehmen, ihre Wohnungen zu verlassen, dürfe nur das letzte Mittel sein. FDP-Fraktionschef Christopher Vogt bezeichnete die geplanten Ausgangsbeschränkungen als nicht zustimmungsfähig für die Liberalen. Denn: "Es gibt keinen größeren pauschalen Grundrechtseingriff."

Für Oppositionsführer Ralf Stegner (SPD) muss der Schutz der Gesundheit weiter oberste Priorität haben. Israel zeige, dass die Corona-Zahlen einbrechen, wenn die Hälfte der Menschen eine Erstimpfung erhalten habe. Soweit könne Deutschland Ende Mai sein. "Unsere Verantwortung ist zu verhindern, dass in den sechs Wochen bis dahin die Intensivstationen überlaufen."

Es ginge bei den Änderungen am Infektionsschutzgesetz nicht darum, den Ländern jede Regelungskompetenz zu nehmen. "Wir reden über eine Notbremse für Regionen, in denen der Inzidenzwert mit über 100 so hoch liegt, dass dringend etwas passieren muss." Ausgangsbeschränkungen setzten aber an der falschen Stelle an. "Es muss weiterhin möglich bleiben, am Abend die Enge der eigenen Mietwohnung zu verlassen, um sich die Beine zu vertreten."

Der AfD-Abgeordnete Jörg Nobis sprach von einem "offenen Angriff auf den Föderalismus". Der vorliegende Gesetzentwurf sei verfassungswidrig. Der Bund versuche, die Länder zu entmachten.

Bund und Länder wollen mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes einheitliche Regelungen im Kampf gegen die dritte Corona-Welle festschreiben. Die Notbremse soll am Mittwoch vom Bundestag beschlossen werden und nach einer Befassung der Länderkammer rasch in Kraft treten. Falls die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz - also die Zahl der Neuinfektionen binnen einer Woche pro 100 000 Einwohner - in einer Stadt oder einem Landkreis drei Tage hintereinander über 100 liegt, sollen jeweils die gleichen Regeln gelten.

Geplant sind dann Ausgangsbeschränkungen von 22.00 Uhr bis 5.00 Uhr. Joggen und Spaziergänge sollen bis Mitternacht erlaubt bleiben, allerdings nur alleine. Schulen sollen ab einer Inzidenz von 165 in den Distanzunterricht wechseln müssen. Geschäfte dürfen Kunden bei einer Inzidenz über 100 nur empfangen, wenn diese einen negativen Corona-Test vorlegen und einen Termin gebucht haben. Steigt der Wert über 150, wäre nur noch das Abholen bestellter Waren (Click & Collect) erlaubt. Für Lebensmitteleinzelhandel, Apotheken und Drogerien gelten diese Einschränkungen nach wie vor nicht.

Noch unklar ist, wie Schleswig-Holstein mit den Regelungen der Notbremse zum Schulunterricht umgeht. Die seien eher eine Lockerung zu dem bisherigen Vorgehen Schleswig-Holsteins, sagte Günther. Noch im Laufe der Woche wolle die Koalition darüber entscheiden.

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