Altona. Zwei Schwarze Jugendliche aus Hamburg werfen der Polizei vor, bei einer Kontrolle am vergangenen Sonnabend gegen sie Gewalt angewendet zu haben. Die 15 und 16 Jahre alten Brüder hatten in der vergangenen Woche an einer Kundgebung zum Thema „Rassismus und rassistische Polizeigewalt“ an der Balduintreppe in Altona teilgenommen. Dabei hatte der jüngere eine spontane Rede über Racial Profiling gehalten.
Er trug am Sonnabend nach eigenen Angaben ein T-Shirt mit dem Aufdruck „ACAB“, was für „All colours are beautiful“ (zu Deutsch etwa: „Alle (Haut-)farben sind schön“) stehe. Das Shirt habe er den anwesenden Beamten vor seiner Rede gezeigt. Die Abkürzung wird im englischen Sprachgebrauch auch für den Satz „All cops are bastards“ (etwa: „Alle Polizisten sind Schweine“) verwendet.
Facebook-Video: Jugendliche sprechen von Polizeigewalt
In einem Facebook-Video der „Black Community Coalition Hamburg“ vom Dienstag beschreiben die Jugendlichen auf Englisch die Kontrolle auf der Reeperbahn: Demnach hätten mindestens zehn Beamten die beiden nach der Kundgebung angehalten und sie in einem Halbkreis eingeschlossen. Ein Grund dafür sei ihnen nicht genannt worden.
Er habe sich bereitwillig ausweisen wollen, sagt der 16-Jährige online. Der 15 Jahre alte Bruder habe keine Ausweispapiere. Die Begegnung wollte er auf seinem Smartphone filmen. Die Beamten hätten dies verhindern wollen, fünf seien nähergekommen. „Ich wollte mein Handy nicht abgeben und habe mich die ganze Zeit gewehrt“, sagt der 16-Jährige im Video. Dann habe ein Beamter seinen Kopf gegen eine Wand gestoßen, er sei zu Boden gegangen und habe danach ein Knie im Bauch gespürt.
„Ich konnte nicht aufstehen. Wo sind meine Menschenrechte in dieser Situation?“, sagt der 16-Jährige weiter auf Facebook. Als er sein Telefon zurückhaben wollte, habe er einen Platzverweis wegen aggressiven Verhaltens erhalten. Außerdem habe er im Gespräch um den Corona-bedingten Sicherheitsabstand von 1,5 Metern gebeten, dem seien die Beamten nicht nachgekommen. Die Nacht vom 10. April habe er im Krankenhaus verbracht.
Polizei bestätigt Kontrolle wegen möglicher Beleidigung
Nach Angaben der Hamburger Polizei hat sich die Begegnung am vergangenen Sonnabend um 18.55 Uhr ereignet. Polizeisprecher Holger Vehren bestätigte auf Abendblatt-Anfrage, dass etwa ein Dutzend Beamte beteiligt waren.
Grund für die Kontrolle sei gewesen, dass bei der Kundgebung eine Beamtenbeleidigung stattgefunden habe. Dabei gehe es explizit nicht nur darum, ob ein Verdächtiger ein T-Shirt mit dem Aufdruck „ACAB“ getragen habe, so Polizeisprecher Holger Vehren. Da weitere Untersuchungen zu dem Vorfall aktuell laufen, könne man öffentlich noch keine weiteren Details nennen. Der 15-Jährige wurde von den Beamten als möglicher Tatverdächtiger erkannt und nach der Begegnung mit dem Streifenwagen zur Davidwache am Spielbudenplatz gebracht.
Der Grund für die Kontrolle sei den Brüdern auf der Reeperbahn mitgeteilt worden. Das übliche Vorgehen sei, dass zwei bis drei Beamten den Verdächtigen ansprechen, während andere einen so genannten „Sicherungskreis“ um sie bilden, damit niemand von außen die Amtshandlung stören kann. Die Beamten hätten sich im Rahmen des Möglichen an die Einhaltung der geltenden Corona-Regeln gehalten. Dies beinhalte, soweit es möglich war den Abstand zu halten und vor allem eine Maske zu tragen. Nach Polizeiangaben soll die Begegnung etwa eine Viertelstunde gedauert haben.
Polizeisprecher: Kein unverhältnismäßiges Verhalten der Beamten
Während der Kontrolle sei der 16-Jährige darauf hingewiesen worden, dass er die Begegnung nicht aufnehmen dürfe, da er sonst einen Verstoß gegen die Aufnahme des „nicht-öffentlich gesprochenen Wortes“ begehen würde.
Laut Sprecher Vehren liegt der Polizei Videomaterial vor: „Auf dem Video ist definitiv nichts zu sehen, aus dem man ein nicht verhältnismäßiges Verhalten der Beamten ableiten könnte. Auch die Behauptung, der 16-Jährige habe Verletzungen erlitten, die durch die Kontrolle entstanden sein sollen, sind mit unserem Material nicht in Einklang zu bringen. Es war in keinster Weise erkennbar, dass er verletzt gewesen sein soll.“
Der 16-Jährige sagt auf Facebook, die Polizei habe nicht die komplette Begegnung aufgenommen. Er selbst habe Passanten gebeten, weitere Aufnahmen zu machen. „Der einzige Teil, den die Polizei gefilmt hat, ist, wie ich wütend geworden bin, der "aggressive afrikanische Typ, der sauer wird"“, sagt er auf Facebook. „Nicht, wie sie mich vorher behandelt und geschlagen haben.“
Linken-Politiker stellt Anfrage an Senat
Einer der Passanten, der die Situation zum Teil beobachtet hat, ist der Seebrücke-Aktivist Niklas Pietzcker. Er sagte dem Abendblatt: „Die Polizisten wirkten aggressiv. Ich bin froh, dass ich nicht in der Situation war. Ich kann nicht nachvollziehen, warum gegen ein paar Jugendliche so vorgegangen wird. Die Art und Weise, wie die Beamten gesprochen haben und dort standen, wirkte wie eine Machtdemonstration.“
Linken-Politiker Deniz Celik schrieb am Donnerstag auf Twitter, er habe eine Schriftliche Kleine Anfrage mit 13 Fragen zu dem Vorfall an den Senat gestellt. Bezugnehmend auf einen Bericht in der Tageszeitung "taz" fragt Celik unter anderem, warum der 15-Jährige sich auf der Wache bis auf die Unterwäsche habe entkleiden müssen und warum seine Erziehungsberechtigten nicht über seine Mitnahme informiert worden seien.
Mehrere hundert Menschen bei Kundgebung an der Davidwache
Zu den beiden Fragen konnte Polizeisprecher Vehren am Freitag keine nähere Auskunft geben. Der Jugendliche sei mitgenommen worden, weil er sich nicht ausweisen konnte. Seine Identität habe nicht anders festgestellt werden können. Gegen 19.54 Uhr habe seine Mutter ihn wieder abgeholt.
Am Freitag kamen zwischen 14 und 16 Uhr mehrere hundert Menschen unter dem Titel „Jugendliche gegen Racial Profiling und rassistische Polizeigewalt“ auf dem Spielbudenplatz zusammen, um auf den Vorfall aufmerksam zu machen. Während die Polizei etwas mehr als die angemeldeten 200 Teilnehmer zählte, sprach die Hamburger Linksfraktion auf Twitter von über 400 Demonstrierenden.
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