Arzt im Impfzentrum

Warum ein Mediziner in Hamburg wie Udo Lindenberg lebt

| Lesedauer: 5 Minuten
Geneviève Wood
Mustafa Ali aus Bonn wohnt im Scandic Hotel an der Laeiszhalle.

Mustafa Ali aus Bonn wohnt im Scandic Hotel an der Laeiszhalle.

Foto: Michael Rauhe

Mustafa Ali verabreicht täglich Corona-Schutzimpfungen. Der ehemalige Flüchtling lebt auf eigene Kosten im Hotel.

Hamburg. Es ähnelt einem Rockstarleben, das Mustafa Ali führt. Keine Wohnung, dafür ein Leben im Hotel. Der 31 Jahre alte Mediziner aus Bonn arbeitet seit Januar im Impfzentrum in den Messehallen und spritzt den Hamburgern das ersehnte Corona-Vakzin in die Oberarme. Zu Hause ist der gebürtige Afghane derzeit im Scandic Hotel.

„Ein bisschen ist mein Leben ja wie das von Udo Lindenberg“, sagt Mustafa Ali und lacht. Dass der Panikrocker seit Jahrzehnten seinen Wohnsitz im Hotel Atlantic hat, das hat Dr. Ali erst in Hamburg mitbekommen. Und es fühlt sich gut an, genau wie Lindenberg in einem Hotelzimmer zu residieren. Auch Musik macht der Arzt nach Feierabend. Er hat sein Keyboard dabei und spielt regelmäßig zur Entspannung.

Die Mutter finanziert dem Arzt das Hotel

Okay, so nobel wie Lindenberg residiert er nicht, aber doch kommt auch Ali in den Genuss eines Zimmerservice, das Frühstück steht morgens im Restaurant für ihn bereit, und er muss sich nicht um Wohnungsputz und dreckige Wäsche kümmern. Es ist ein Luxus, aber ein bezahlbarer, den seine Mutter finanziert.

Seine Mutter hatte in Afghanistan als Medizinerin und Hebamme gearbeitet. Sie ist stolz auf ihren mittleren Sohn. „Solange ich im Hotel wohne, hat sie weniger Sorge, dass ich nicht nach Bonn zurückkomme.“

Seit Mitte Januar arbeitet Dr. Mustafa Ali im Impfzentrum

Am wichtigsten aber ist für Dr. Mustafa, wie ihn seine Mutter gern nennt, dass er Gesellschaft hat. „In einer Wohnung wäre ich nach Feierabend sehr allein, ich kenne ja nur meine Kollegen aus dem Impfzentrum. Hier kennen mich die Hotelangestellten schon, und wir können uns austauschen“, sagt er.

Seit Mitte Januar arbeitet Mustafa Ali, der Anfang 2000 mit seiner Familie aus Afghanistan vor den Taliban nach Deutschland geflohen ist, als Arzt im Impfzentrum. Er klärt die Impflinge auf, füllt gemeinsam mit ihnen die Anamnese-Bögen aus, bevor es die Spritze gibt. Bis zu 5000 Menschen bekommen täglich das Vakzin.

Im Impfzentrum arbeiten Ärzte aus Hamburg und Umgebung, kaum jemand kommt aus entfernteren Städten wie Mustafa Ali. Rund 60 Ärztinnen und Ärzte wurden wie Ali über die Vermittlungsfirma Doctari in Vollzeit angestellt. Dazukommen 1000 niedergelassene Ärzte über den Betreiber des Impfzentrums, die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg (KVH).

Wie ein einziges Dankeschön Alis Leben veränderte

In Bonn hatte er gerade sein Staatsexamen abgelegt, und weil er nicht gleich in den Krankenhausbetrieb einsteigen wollte, um seinen Facharzt in Anästhesie zu machen, entschied sich Mustafa Ali, beim Impfen zu helfen. „Deutschland hat mir und meiner Familie vieles ermöglicht, jetzt möchte ich meinen Teil zurückgeben“, sagt er. „Ich freue mich, in diesen turbulenten Zeiten meine Mitbürger zu unterstützen.“

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Er hatte vorgehabt, sich in Flüchtlingscamps auf der griechischen Insel Lesbos ehrenamtlich zu engagieren, aber wegen der Pandemie war das nicht möglich. Also Hamburg statt Lesbos. Und Hamburg statt Ludwigsburg. Dort hätte er auch als Impfarzt arbeiten können, aber Mustafa Ali wollte etwas Neues kennenlernen.

Die Arbeit im Impfzentrum macht ihm so viel Spaß, dass er an seinen freien Tagen nicht zur Ruhe kommt und seiner Kollegin wie an diesem Morgen Textnachrichten schickt und fragt, wie es läuft. Als Teamleiter hat er mehr Verantwortung bekommen. „Ich schreibe Dir jetzt nicht mehr zurück. Du hast frei!“, antwortet die Kollegin sinngemäß. Ali schätzt das gute Arbeitsklima in den Messehallen, die flachen Hierarchien und dass es keine Rolle spielt, ob er frisch von der Uni kommt oder jahrelange Berufserfahrung hat.

Mustafa Ali ist leidenschaftlicher Mediziner

Er ist leidenschaftlicher Mediziner, ein Workaholic, wie er selbst sagt. Dabei hat er zuvor zwei andere Studiengänge abgeschlossen. Er war als Eventmanager tätig, und das mit großem Engagement, bis zur schweren Erkrankung seines Vaters. Ali verbrachte jede freie Minute am Krankenhausbett, um seinem Vater beizustehen. Ein Dankeschön brachte die große Wende in seinem Leben. „Wie mein Vater einer Ärztin ,danke schön‘ sagte, das saß tief. Solch ein Dankeschön, das wollte ich auch einmal zu hören bekommen.“

Also studierte er in Bonn Medizin. Nun bekommt er in Hamburg täglich ein Dankeschön zu hören. „Die Menschen sind so dankbar, das macht mich sehr glücklich.“

Schon bald könnte Schluss sein mit dem luxuriösen Hotelleben. Erst wird Mustafa Ali seine Vespa von Bonn nach Hamburg holen, um die Stadt jenseits von Alster und Planten un Blomen zu erkunden. Dann wird er sich nach der Zeit im Impfzentrum eine Assistenzarztstelle und eine Wohnung suchen. Und das in Hamburg. „Ich dachte, keine Stadt kann jemals Bonn ersetzen.“ Bis er Hamburg kennen- und lieben gelernt hat.

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