Hamburg. Es gab Zeiten, da war er Axel Strehlitz regelmäßig am Spielbudenplatz anzutreffen. Im Klubhaus St. Pauli etwa mit der Panik City, der multimedialen Erlebniswelt des lebenden Hamburger Gesamtkunstwerks Udo Lindenberg. Derzeit jedoch ist Strehlitz fast täglich auf dem Spielbudenplatz zu finden, in einem Metall-Häuschen Höhe Operettenhaus oder draußen, gleich neben einem langen, weißen Zelt und einem Container. Hier dreht sich alles um Corona und neuartige Tests.
Noch vor einem Jahr reiste Axel Strehlitz durch Vietnam. Saß im skurrilen Wasserpuppen-Theater der Hauptstadt Hanoi („Sehr schräg“) und stand im Ho-Chi-Minh-Mausoleum in einer Schlange. Wie vorgeschrieben mit Maske und nach vorheriger Temperaturmessung am Eingang. Das Coronavirus war in der sozialistischen Republik damals schon Thema. Was wenig später im Frühjahr 2020 auf Deutschland, Europa und den Rest der Welt zukommen würde, ahnte Strehlitz noch nicht. „Ehrlich gesagt dachte ich: Toll zu sehen, wie man so etwas professionell handhaben kann und dabei alle Bevölkerungsgruppen mit Plakaten und YouTube-Videos einbindet und anspricht. Und damit große Wirkung erzielen kann“, erinnert er sich an den Vietnam-Aufenthalt. Dass Corona zu einer Pandemie auswächst, hätte er sich nicht träumen lassen. Mit seinem Freund kam Strehlitz am 14. März via Kopenhagen im letzten regulären Flugzeug nach Hamburg zurück. Seitdem ist hier Krise, mal mehr, mal weniger. Und auf St. Pauli brennt kaum noch Licht.
Mehr als 40.000 Menschen waren schon im Testzentrum
Vietnam hat in diesem einen Jahr bei rund 100 Millionen Einwohnern und nach mehreren harten Lockdowns bis heute offiziell nur etwa 2500 Corona-Fälle verzeichnet. In Deutschland, insbesondere in Hamburg, steigen die Zahlen seit geraumer Zeit wieder leicht an. Und nicht allein die mögliche dritte Corona-Welle lässt Strehlitz selten ruhen. Seit Dezember bietet er auf dem Spielbudenplatz in einem Container in einem ressourcensparenden und schmerzfreien Verfahren PCR-Tests für knapp 25 Euro an. Andere googeln, er lässt gurgeln. Mehr als 40.000 Menschen haben sich in dem Zentrum auf dem Spielbudenplatz auf derlei Art testen lassen. „In der Spitze waren es 1500 pro Tag, maximal 2000 täglich wären hier möglich“, erläutert Axel Strehlitz neben dem Container.
Wer ist dieser Typ, den das Nachbarschaftsportal „Kiekmo“ schon 2019 mal „Hamburgs wichtigster Mann auf dem Kiez“ nannte?
Man könnte Strehlitz auch als Kiez-Größe 4.0. bezeichnen. Schlank, fast asketisch, lässig in der Kleidung und zurückhaltend im Auftreten, entspricht er so gar nicht dem Klischee vom Big Boss. Dennoch erkennen ihn hinter seiner Maske immer wieder vorbeigehende Bekannte und Mitarbeiter und grüßen. Der 53-Jährige ist das beste Beispiel dafür, wie es aus einem Unternehmer, in diesem Fall einem aus der Entertainment-Branche, in der Corona-Krise ein Dienstleister für Gesundheit̯ geworden ist. Rechnet man die Firma Corona Freepass hinzu, die Strehlitz im Vorjahr mit dem IT-Fachmann Heiko Fuchs gegründet hat, führt und betreibt er inzwischen fast 15 Unternehmen, die meisten auf St. Pauli, dazu noch das Restaurant Das Dorf in St. Georg. Fast alle sind derzeit geschlossen, gut zwei Drittel seiner 100 Beschäftigten in Kurzarbeit, etwa 30 verdienen sich als Helfer im Testzentrum was dazu.
„Wa(h)re Liebe“ mit Lilo Wanders bei Spiegel TV
Schon vor Corona las sich Strehlitz’ Vita ungewöhnlich. Aufgewachsen in Lehrte und Wunstorf, studierte der gebürtige Hannoveraner zunächst vier Semester Jura in Göttingen, zog dann zum weiteren Studium nach Hamburg. Auf St. Pauli besserte er sein BaföG auf, indem er an der Bar des Schmidt Theaters jobbte. Irgendwann fragte Schmidt-Chef Corny Littmann den Studenten, ob er sich vorstellen könne, in seiner damals neuen Bar, der Wunderbar an der Talstraße, mitzuarbeiten. Er konnte – und zwar derart engagiert, dass Littmann ihn alsbald an der Bar beteiligte. Es war der Beginn von Strehlitz’ alles andere als linearer Unternehmer-Karriere.
Bevor Axel Strehlitz auf St. Pauli ‘ne echte, wenn auch lange Zeit nur Insidern bekannte Marke wurde, landete der Beinahe-Jurist auf Vermittlung eines weiblichen Wunderbar-Gastes auf wundersame Weise im Fernseh-Journalismus bei Spiegel TV: erst als Praktikant, dann als Redakteur, schließlich als Redaktionsleiter für „Spiegel TV extra“ oder Formate wie „Wa(h)re Liebe“ (Vox) mit der aus guten alten Schmidt-Zeiten bekannten Lilo Wanders. „Das wollte damals keiner machen“, bemerkt er süffisant. Insgesamt 16 Jahre arbeitete Strehlitz im Fernsehgeschäft, machte sich am Ende mit eigener Film- und Fernsehproduktion selbstständig.
Strehlitz’ „großer Förderer“: Corny Littmann
„Der Schritt zum Unternehmertum hatte für mich etwas mit Gestaltungswillen zu tun.“, sagt er. Schon während seiner TV-Tätigkeit erlaubte sich Strehlitz weitere Beteiligungen an Littmanns Imperium. „Corny war mein großer Förderer“, sagt Strehlitz über den Kiez-Impresario. „Er hat das Talent zu erkennen, was andere Menschen gut können.. Ich finde es klasse, dass Corny der Mann fürs Rampenlicht ist. Ich sehe mich lieber im Hintergrund.“
Als solcher zeigt Strehlitz jedoch in der Corona-Krise für seine Verhältnisse recht viel Gesicht, ob nun mit Maske oder ohne. Es mag auch daran liegen, dass er einer der fünf Betreiber und Geschäftsführer des 2015 für 17 Millionen Euro Baukosten eingeweihten Klubhauses St. Pauli ist, zu denen außer Littmann auch Handelskammer-Präses Norbert Aust gehört. Mit der Panik City, dem Bahnhof St. Pauli, dem Sommersalon, der Alten Liebe et cetera trafen Strehlitz die Schließungen seiner Clubs und Bars besonders hart. Für die Panik City musste er inzwischen einen Folgekredit aufnehmen – wie im Vorjahr nach dem ersten Lockdown über 150.000 Euro bei der Hamburgischen Investitions- und Förderbank IFB. Die Erfahrungswelt des Udo Lindenberg mit Virtual Reality, Musik und Specials hat bisher weder von der Stadt noch vom Bund Fördergeld erhalten. „Meine ganze Arbeit, meine Existenz, mein Lebenswerk ist infrage gestellt“, gewährt Strehlitz Einblicke in sein Seelenleben.
Prof. Schmidt-Chanasit schaut schon mal persönlich vorbei
Schlaflose Nächte hatte er in der Corona-Krise einige, ans Aufgeben aber dachte Strehlitz bisher nie. „Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben“ - die Devise des inzwischen hinlänglich bekannten Professors Jonas Schmidt-Chanasit hat sich Axel Strehlitz zu eigen gemacht. Im vorigen Juli schrieb er dem Virologen eine E-Mail, und zu seiner Überraschung antworte der Mann vom Bernhard-Nocht-Institut auf St. Pauli alsbald. Er brachte Strehlitz und seinen Geschäftspartner Fuchs auf die zuvor in Österreich eingeführten Corona-Schnelltests mit Kochsalzlösung. Zu ihm bestehe bis heute ein loser Kontakt, so Strehlitz. „Wir schreiben und telefonieren häufiger, und er schaut auch schon mal persönlich vorbei“, erzählt der Unternehmer. Lösungen für Lockerungen, für Öffnungen der Gastronomie, Hotellerie, im Tourismus und in der Kultur mit Corona-Tests zu kombinieren, diese Idee treibt Strehlitz schon länger um: „Es gar nicht erst zu probieren, das finde ich schwierig“, sagt er.
Als es von Juli bis Ende Oktober im Vorjahr wieder möglich war, auch in Hamburg bei ausgereiften Abstands- und Hygieneregeln Konzerte und Theatervorstellungen zu besuchen, hat sich Axel Strehlitz einiges angehört und angesehen, „sogar Ballett im Ernst Deutsch Theater“, bemerkt der Unterhaltungs-Unternehmer vom Kiez lächelnd. Bei der Show „Comeback“ von sieben jungen Bühnenprofis im First Stage Theater in Altona-Altstadt, in dem Strehlitz die Gastronomie betreibt, seien ihm bei einer melancholischen Nummer die Tränen gekommen. „Weil mir klar wurde, dass mich ein Gefühl mit anderen Leuten im Saal verbindet.“ Und dass er lange Zeit etwas entbehrt hatte - das unmittelbare Bühnenerlebnis!
„Ich möchte nichts mehr als mein altes Leben zurück.“ Das sagt Strehlitz im Gespräch mehrmals, wirkt dabei aber nicht wie ein Mann von gestern. „Dafür gebe ich die Sache mit dem Gurgeln und Spucken gern wieder ab.“ Mit Corona Freepass bietet er die Tests mittlerweile in Bremen, Berlin, Dresden, Hannover und Stendal an, jeweils mit Kooperationspartnern aus der regionalen Kulturbranche. St. Georg folgt nächste Woche.
Doch Strehlitz geht es auch um seine „Gäste“. Er sagt ebenfalls „Gäste“, wenn es sich um Kunden wie beim Corona-Testzentrum auf dem Spielbudenplatz handelt. In Hamburg lässt er derzeit 1000 Schnelltests mit den PCR-Gurgel-Tests validieren. Mit Corona-Tests sowie einer eigens entwickelten neuen App wollen Strehlitz und IT-Spezialist Fuchs mehr Sicherheit und Nachvollziehbarkeit bieten, dass nicht-infizierte Gäste wieder in Clubs, Bars, Restaurants und Theater gehen können. Aber auch ein sicheres Arbeitsleben solle wieder möglich werden - in der Produktion, mit Präsenzmeetings, bei Film und Fernsehen.
Warum nicht Schnelltests im Sommersalon?
Am besten wäre es, so Strehlitz, wenn Bund und/oder Stadt zweimal die Woche Schnelltests für alle finanzierten und damit Clubs, Konzertveranstalter und Theater beauftragen würden – nicht nur auf St. Pauli „Es liegt doch in deren DNA, dass sie mit dem Umgang und Einlass von Menschen vertraut sind“, meint Strehlitz.. Gleichzeitig könne das für die Einrichtungen eine Art Testlauf bis zu einem späteren normalen Kulturbetrieb sein, mit dem rechnet Strehlitz frühestens nach einer breiten Impfwirkung im Herbst rechnet. Das sei für Unternehmen allemal besser, anstatt wie derzeit mithilfe von Steuerberatern beim Bundeswirtschaftsministerium die „Überbrückungshilfe III“ zu beantragen, darauf lange zu warten und ohne dafür eine Gegenleistung zu leisten.
Als ein möglicher Ort für Schnelltests am Spielbudenplatz eignet sich etwa der Sommersalon mit seiner breiten, schnell zu öffnenden Fensterfront im Erdgeschoss des Klubhauses St. Pauli. Den Schlüssel für den Club hat Axel Strehlitz stets dabei. So wie früher.
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