Kiel. Seit 1700 Jahren leben Juden auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Schleswig-Holsteins Landtag will das jüdische Leben stärken. “Wir müssen aufhören, Jüdinnen und Juden als die anderen zu sehen“, sagt Bildungsministerin Prien.

Der Landtag hat sich am Donnerstag zum Schutz und zur Förderung des jüdischen Lebens in Schleswig-Holstein bekannt. CDU, SPD, Grünen, FDP und SSW hatten sich zuvor auf einen gemeinsamen Text verständigt. Darin heißt es unmissverständlich: "Schleswig-Holstein und das Judentum gehören zusammen."

Vor 1700 Jahren wurde erstmals dokumentiert, dass Juden im Gebiet des heutigen Deutschlands leben. In Schleswig-Holstein war das deutlich später der Fall. Mit Ex-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) gibt es den ersten Landesbeauftragten für das jüdische Leben.

"Wir müssen aufhören, Jüdinnen und Juden als die anderen zu sehen", sagte Bildungsministerin Karin Prien (CDU) im Landtag. Genauso wichtig wie Gedenkstättenfahrten seien Gespräche mit Vertretern der jüdischen Gemeinden. Das Festjahr zu 1700 Jahren jüdischen Lebens in Deutschland werde einen wichtigen Anteil haben, jüdisches Leben präsenter zu machen. Es gebe kein Wir und kein Sie. "Wir sind sie. Und wer uns angreift, wird unsere erbitterte Gegenwehr spüren."

SPD-Fraktionschef Ralf Stegner erinnerte daran, dass auch in Schleswig-Holstein die Geschichte der Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden wechselhaft sei. Der Norden habe zu den Regionen gehört, in denen die NSDAP frühzeitige große Wahlerfolge feiern konnte. "Und Schleswig-Holstein hat zahlreiche Täter der Shoah hervorgebracht." Hier seien manche Täter nach Ende der NS-Zeit länger unbehelligt geblieben als in anderen Bundesländern.

Stegner und andere Abgeordnete nahmen Bezug auf den Antisemitismus auch in Deutschland. Der kirchenpolitische Sprecher der CDU, Tobias von der Heide, verwies darauf, dass sich Juden auch im Norden bedroht fühlten. "Ich finde das beschämend. Ich will, dass man offen auf der Straße eine Kippa tragen kann, ohne dass man sich Sorgen um die eigene Sicherheit machen muss." Es gelte, dem Hass gegen Juden Verständnis, Begegnungen und gemeinsamen Erfahrungen entgegenzustellen.

"Erst wenn das Tragen einer Kippa in der Öffentlichkeit keine antisemitische Gewalttat auslöst - erst wenn Gedenktexte bei Stolpersteinen nicht zerstört werden wie in Lübeck - erst wenn kein antisemitischer Schriftzug bei der Bärenskulptur im Werftpark in Kiel zu finden ist - erst wenn keine antisemitischen Verschwörungsmythen auf einem Flyer in einem Tattoostudio in Flensburg zu finden sind - erst dann können wir davon ausgehen, dass Antisemitismus kein Problem ist", sagte die Grünen-Religionspolitikerin Aminata Toure.

Der FDP-Religionspolitiker Jan-Marcus Rossa bezeichnete ein Bekenntnis dazu als überfällig, dass das Judentum ein Teil der deutschen Identität, der Geschichte und ein unverzichtbarer Teil der deutschen Kultur sei. "Es muss das Ziel einer zivilisierten Gesellschaft sein, dass nicht die Opfer in Angst und Schrecken, sondern die Täter in Furcht leben. In Furcht, dass sie vom Staat für ihren Antisemitismus, ihren Extremismus und vor allem für die verübten Gewalttaten zur Verantwortung gezogen werden."

Der Landtag regte einen Runden Tisch zum Thema jüdisches Leben und gegen Antisemitismus an. Die Landesregierung soll gemeinsam mit jüdischen Gemeinden und Verbänden für Universitäten, Schulen und Kindergärten Angebote der Bildung und Kultur entwickeln, die das Jüdische in seiner Gesamtheit zum Inhalt haben.

© dpa-infocom, dpa:210225-99-593207/3