Kiel. In 16 Fällen klagt die Kieler Staatsanwaltschaft einen früheren Polizeigewerkschafter an. Der Beamte soll Informationen an einen Journalisten weitergegeben haben. Der Anwalt des Polizisten kritisiert die Staatsanwaltschaft.

Die Kieler Staatsanwaltschaft hat eine zweite Anklage wegen des Verdachts des Geheimnisverrats gegen einen früheren hochrangigen Polizeigewerkschafter erhoben. Ihm werde vorgeworfen, in sechs weiteren Fällen als Polizist, als Gewerkschafter und als Hauptpersonalrat Informationen an einen Journalisten und andere Personen weitergegeben zu haben, teilte die Ermittlungsbehörde am Dienstag mit. Bereits im September hatte die Staatsanwaltschaft gegen Thomas Nommensen eine erste Anklage wegen zehn Verstößen erhoben.

In der zweiten, 130 Seiten langen Anklageschrift führt die Staatsanwaltschaft drei Fälle auf, in denen der Beschuldigte Informationen, die er als Polizist erlangt habe, durchgestochen haben soll. Dabei habe es sich um ein Foto und Details zu einem Polizeieinsatz an Weihnachten 2018 im Lübecker Gefängnis, Daten zu Straftaten in Boostedt für den Zeitraum Dezember 2018 bis Februar 2019 aus dem polizeilichen Bearbeitungssystem und um Infos zu einem von der Polizei als gefährlich eingestuften Gefangenen gehandelt, dessen Entlassung bevorstand.

Zur Anklage gebracht sind auch zwei Fälle, in denen der Beamte Informationen, die ihm als Mitglied des Hauptpersonalrats der Polizei zugänglich waren, weitergegeben haben soll. Dabei sei es um eine von der Polizei für Anti-Terror-Einsätze angeschaffte Mitteldistanz-Waffe und dabei aufgetretene Probleme sowie um drei als Verschlusssache eingestufte Kapitel des sogenannten Buß-Berichts an mehrere Personen gegangen. Beim sechsten Fall sei es um Daten zum Gesundheitszustand eines Gewerkschaftsmitglieds gegangen, das sich hilfesuchend an die Deutsche Polizeigewerkschaft gewandt hatte.

Der Beamte ist seit 2019 vorläufig vom Dienst suspendiert. "Es gibt viele weitere Fälle, die einen Anfangsverdacht begründen", sagte Oberstaatsanwalt Henning Hadeler der Deutschen Presse-Agentur. Etwa 40 seien Gegenstand eines gesonderten Ermittlungsverfahrens. "Die Vielzahl der Weitergabe von Informationen überrascht. Das kannten wir so nicht in diesem Ausmaß und der Kontinuität."

Nommensens Anwalt Michael Gubitz sagte: "Die aggressive Pressearbeit der Staatsanwaltschaft in diesem Fall entspricht nicht der jahrelangen Übung und zeigt, mit welcher besonderen Energie die Verfolgung des Herrn Nommensen betrieben wird". Es habe kein tragfähiger Anfangsverdacht für Durchsuchungen gegeben. In beiden Anklageschriften fehle der Vorwurf, auf die sich die Durchsuchungen seinerzeit im Wesentlichen gestützt hätten. Den Ermittlern warf er vor, "von Anfang an nach Zufallsfunden gesucht" zu haben.

"Das Ausforschen von Handy und Computer des Herrn Nommensen über den angeblichen Anfangsverdacht hinaus verbot sich auch deshalb, weil er engagierter Polizeigewerkschafter und auch journalistisch tätig war", sagte Gubitz. "Die wiederholten öffentlichen Verbreitungen zahlreicher Details aus dem Ermittlungsverfahren gegen unseren Mandanten stellen Straftaten des Geheimnisverrats dar, verwirklichen also den Tatbestand, der auch unserem Mandanten vorgeworfen wird." Warum diese Taten die Staatsanwaltschaft offenbar sehr viel weniger interessierten, "lässt Raum für Spekulationen".

Oberstaatsanwalt Hadeler wies die Vorwürfe des Anwalts zurück. Gegenstände des Durchsuchungsgrundes seien bereits Teil der ersten Anklage gewesen. "Insofern ist das falsch", sagte er. Zudem habe die Staatsanwaltschaft von sich aus in allen Fällen, in denen der Verdacht der Weitergabe von Informationen aus dem Verfahren bestand, Ermittlungsverfahren aufgenommen und nicht erst auf Anzeigen von Dritten gewartet.

Das zuständige Landgericht Lübeck hat noch nicht über eine Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden.

Bei einer Durchsuchung im August 2019 hatte die Staatsanwaltschaft auch das Mobiltelefon des Beamten sichergestellt. Darauf stellten die Ermittler umfangreiche Kommunikationsdaten sicher, unter anderem WhatsApp-Protokolle und E-Mail-Verkehr. Die Auswertung der Chats durch die Staatsanwaltschaft spielte auch beim Aus von Hans-Joachim Grote als Innenminister eine entscheidende Rolle. Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hatte den Parteifreund Ende April entlassen, weil er sich von ihm falsch über dessen Kommunikation mit dem Polizisten und dem Journalisten informiert fühlte.