Kiel. Digital-Premiere im Norden: Die Grünen haben erstmals virtuell auf einem Parteitag ihre Positionen festgezurrt. Der Vorsitzende Habeck betont einen Führungsanspruch der Partei für Deutschland. In einem Punkt setzt sie sich vom Jamaika-Koalitionsvertrag ab.

Sie reden aus dem Wohnzimmer, der Küche oder dem Wintergarten: Die Grünen in Schleswig-Holstein haben technisch erfolgreich ihren ersten digitalen Landesparteitag am Wochenende gemeistert. Nach holprigem Auftakt funktionierten die Internet-Debatten, gesteuert vom dreiköpfigen maskierten Präsidium in der Kieler Zentrale. Nur die typische Parteitagsatmosphäre mit lebhaften Diskussionen fehlte zwangsläufig.

Der Bundesvorsitzende Robert Habeck schaltete sich am Sonntag zu. Aus seiner Sicht steuern die Grünen eine neue Dimension an: "Wir kämpfen erstmals im nächsten Jahr tatsächlich um den Führungsanspruch in der Republik", sagte er im Blick auf die Bundestagswahl 2021. Dies werde die anderen Parteien herausfordern. "Sie werden auf uns mit ziemlicher Härte eindreschen oder uns vor scheinbare Widersprüche stellen." Die Grünen hätten einen konzeptionellen Führungsanspruch aufgebaut und wollten diesen in einen machtpolitischen übersetzen.

Deutschland brauche eine Politik, die Probleme nicht weiter verschleppe oder nur repariere, sondern sie systemisch löse, sagte Habeck. Dabei müssten die Grünen bereit sein, Probleme zu lösen, die andere geschaffen hätten. Dies sei anstrengend, aber der Debatte darüber auszuweichen, wäre fatal. Als Beispiele nannte Habeck den Abriss der Atomkraftwerke und die Suche nach einem atomaren Endlager.

Landespolitische Brisanz hat ein Parteitagsbeschluss: Die Grünen lehnten das im Koalitionsvertrag mit CDU und FDP verankerte Terminal für verflüssigtes Erdgas (LNG) in Brunsbüttel ab. Seit Abschluss des Koalitionsvertrages vor über drei Jahren gebe es wichtige neue Erkenntnisse über klimaschädliche Wirkungen, sagte Landesparteichef Steffen Regis der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag. Dies gelte besonders für freiwerdendes Methan. Die Grünen wollten nun das Gespräch mit den Koalitionspartnern suchen. Der Parteitag forderte auch, das Projekt nicht länger mit Landesmitteln zu unterstützen.

Spitzen-Grüne bekannten sich klar zu den neuen harten Einschnitten in der Corona-Krise. Die Jamaika-Koalition habe da viel gerungen, sagte Finanzministerin Monika Heinold. "In dieser ernsten Lage brauchen wir ein einheitliches Vorgehen aller Länder". Die Corona-Krise sei aber für Jamaika eine Belastungsprobe. "Die FDP wäre fast von Bord gegangen, weil sie die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen, für die wir uns jetzt entschieden haben, nicht gesehen hat".

Hintergrund ist besonders die Schließung der Gaststätten, die das Bündnis aus CDU, Grünen und FDP verhindern wollte. Dann stimmte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) aber zu und ermöglichte so eine bundeseinheitliche Lösung. Auch in den nächsten Wochen stünden schwierige Entscheidungen an, sagte Heinold. Ohne Einschränkungen sei die rasante Ausbreitung des Virus nicht in den Griff zu bekommen.

Auch Regis unterstützte insgesamt die verschärften Maßnahmen, lehnte eine totale Überwachung ihrer Einhaltung aber ab. Die Grünen leisteten dagegen harten Widerstand. Deshalb werde es im Norden auch keine Schleierfahndung im Grenzgebiet geben. Fraktionschefin Eka von Kalben warb dafür, den Teil-Lockdown im November zu unterstützen. "Wir brauchen jetzt in Deutschland diese vier Wochen." Es sei ein schwieriger Spagat zwischen notwendigen Maßnahmen und der Bewahrung der Grundrechte, sagte der Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz.

Der Landtagsabgeordnete Andreas Tietze sagte, die Grünen sollten den Corona-Prozess bei aller Staatstreue kritisch begleiten. Das tat prompt die Ex-Bundestagsabgeordnete Valerie Wilms: Sie beklagte eine Entmachtung der Parlamente. Der Bundestag nicke nur Beschlüsse von Kanzlerin und Ministerpräsidenten ab. "Das hat mit Parlamentarismus nichts mehr zu tun."

Der Parteitag distanzierte sich von Verschwörungstheorien zur Pandemie. Viele Demonstrationen gegen die Schutzmaßnahmen würden missbraucht von Rechtspopulisten, Rechtsextremen, Reichsbürgern, Rassisten und Antisemiten, heißt es in einem mit großer Mehrheit beschlossenen Antrag. Diese Leute hätten keinen Platz in der Partei.

Energieminister Jan Philipp Albrecht stellte am Samstag die jüngste Koalitionsvereinbarung zur Verstärkung des Klimaschutzes vor. Die Lasten aus Klima- und Corona-Krise müssten sozial gerecht verteilt werden, sagte er. Der Parteitag beschloss dazu einen Antrag. Eine Mehrheit fand auch die Forderung, aus Umweltgründen Rauchen an Stränden zu verbieten. Die Verteilung von Aschenbechern und die Ausweisung von Raucherzonen seien nicht so erfolgreich wie gewünscht.