Kiel. Schulterschluss im Kieler Landtag: Trotz einiger “Bauchschmerzen“ trägt eine klare Parlamentsmehrheit die neuen harten Einschnitte in der Corona-Krise mit. Ministerpräsident Günther nennt die Lage dramatisch - derweil hält das hohe Tempo der Corona-Verbreitung an.

Schleswig-Holsteins Landtag unterstützt mit großer Mehrheit insgesamt die von Bund und Ländern beschlossenen Verschärfungen im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Dies machte am Donnerstag trotz Kritik in Einzelpunkten die Debatte über eine Regierungserklärung von Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) deutlich. Nur die AfD setzte sich komplett ab. Kritik besonders an der Schließung der Gaststätten im November kam auch von der FDP. Der Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) Schleswig-Holstein warf der Landesregierung Wortbruch vor.

"Die Situation ist dramatisch", sagte Günther in einer kurzen Regierungserklärung. Es gehe darum, die Wirtschaft am Laufen und Schulen wie Kitas offen zu halten. "Wir stehen zu unserer staatspolitischen Verantwortung", sagte Günther. Dies gelte für alle Koalitionspartner. Günther dankte ausdrücklich den Oppositionsfraktionen von SPD und SSW für deren Mitwirken.

Bund und Länder hatten am Vortag beschlossen, Kontakte drastisch zu beschränken und Einrichtungen wie Gaststätten, Kinos und Theater im November zu schließen. Veranstaltungen werden gestrichen und Zuschauer in der Bundesliga erneut verboten. Offen bleiben sollen Schulen, Kindergärten, der Groß- und Einzelhandel und Friseurläden.

Die schnelle Ausbreitung des Coronavirus in Schleswig-Holstein hält an: Innerhalb eines Tages wurden 280 Corona-Neuinfektionen gemeldet - so viele wie noch nie, wie die Regierung am Mittwochabend im Internet mitteilte. Die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus stieg um 3 auf 170. Im Krankenhaus werden derzeit 76 Covid-19-Patienten behandelt, am Montag waren es noch 58.

Auch der Inzidenzwert - die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen - kletterte mit 46,0 im Norden auf einen neuen Höchststand. Bundesweit betrug er 99,0, teilte das Robert Koch-Institut am Donnerstag mit.

Dänemark weitet seine Reisebeschränkungen nun auch auf Schleswig-Holstein aus. Das ging am Donnerstag aus dem wöchentlich aktualisierten Reisemaßgaben des dänischen Außenministeriums hervor. Die Maßnahme bedeutet, dass den Dänen ab Samstag auch von nicht notwendigen Reisen nach Schleswig-Holstein abgeraten wird. Einwohner Schleswig-Holsteins können weiter nach Dänemark einreisen, müssen dafür aber einen triftigen Grund oder einen negativen Corona-Test vorweisen, der nicht älter als 72 Stunden sein darf. Da die Arbeit als Einreisegrund gilt, werden Grenzpendler weiter ins Land gelassen. Grund für Reisebeschränkungen sind die in Schleswig-Holstein gestiegenen Corona-Neuinfektions-Zahlen.

Günther rief die Schleswig-Holsteiner auf, im November die Zumutungen infolge der verschärften Maßnahmen zu ertragen und die Regeln einzuhalten. Je mehr dies täten, desto größer sei die Chance, die Maßnahmen in einem Monat zurücknehmen zu können. Im November 2020 sei der Lieblingsenkel derjenige, der nicht zu Besuch kommt. "Halten Sie sich bei Kontakten zu anderen Menschen zurück!", sagte Günther. "Das ist im Moment das Gebot der Stunde." Völlig falsch wäre es, zu Hause groß zu feiern, wenn das in Gaststätten nicht möglich sei.

Der Hotel- und Gaststättenverband hielt wegen der angekündigten Schließungen von Hotels und Restaurants Günther vor, innerhalb eines Tages eine Kehrtwende vollzogen zu haben. Die Betriebe hätten in den zurückliegenden Monaten viel Geld in Sicherheits- und Hygieneauflagen investiert, sagte Dehoga-Hauptgeschäftsführer Stefan Scholtis am Donnerstag. Deshalb sei die erneute Schließung völlig unverständlich.

Günther rechtfertigte unter Hinweis auf steigende Infektionszahlen und die Notwendigkeit bundesweit einheitlicher Regeln sein Ja zur Schließung der Gaststätten, die er eigentlich verhindern wollte. Er bescheinigte den Gastronomen eine hervorragende Arbeit im Sinne des Gesundheitsschutzes. Aber wenn 15 andere Länder Hotels und Gaststätten schließen, könne es nicht richtig sein, dies hier nicht zu tun. Er verstehe aber die Enttäuschung.

SPD-Fraktionschef Stegner begrüßte die bundesweite Einigung auf Kontaktbeschränkungen: "Wir wollen auch, dass es keine privaten Feten gibt und auch die privaten Kontakte reduziert werden." Das erfordere die Mitwirkung der Bürger. "Was wir nämlich nicht wollen und keinesfalls dulden dürfen, ist eine grundwertewidrige polizeiliche Überwachung und Kontrolle in Privaträumen. Und wir wollen auch nicht den Einsatz "besonders wachsamer Nachbarn"."

Auch die Grünen unterstützten die Beschlüsse, sagte Fraktionschefin Eka von Kalben. Wichtig sei es, die Maßnahmen zu erklären. Es gebe keine, die alle akzeptierten. Man müsse sich auch mit Zweifeln auseinandersetzen. FDP-Fraktionschef Christopher Vogt sagte, "einen solchen Lockdown wollten wir unbedingt verhindern." Aus seiner Sicht hätte es einen regionalisierten Stufenplan geben können, unter Verschonung der hiesigen Hotels und Gaststätten.

Die Infektionszahlen gäben es nicht her, das ganze Land in Haftung zu nehmen, sagte der AfD-Politiker Jörg Nobis. Ganze Wirtschaftszweige würden zerstört. Statt pauschaler landesweiter Maßnahmen sollte es zielgerichtete lokale geben.

Die neuen Corona-Regeln für Schleswig-Holstein, in die auch bereits vor den Bund-Länder-Beschlüssen beschlossene Maßnahmen der Landesregierung einfließen, sollen in einer Landesverordnung festgelegt werden. Diese werde voraussichtlich am Sonntag veröffentlicht und am Montag in Kraft treten, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums am Donnerstag.

Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack unterstützt Bundesminister Horst Seehofer (CSU) in der Absicht, die Bundespolizei verstärkt Reiserückkehrer aus Corona-Risikogebieten im Grenzland kontrollieren zu lassen. "Damit soll das Infektionsgeschehen auch für diese Personengruppe besser nachverfolgt werden können", sagte die CDU-Politikerin am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. Der Begriff Schleierfahndung - dieser kommt eigentlich bei der Kriminalitätsbekämpfung zum Tragen - sei in diesem Zusammenhang allerdings mehr als unglücklich gewählt worden. Eine erneute Schließung der Bundesgrenze sollte unter allen Umständen vermieden werden, sagte die Ministerin.