Hamburg. Es gibt wieder harte Einschnitte. Wegen massiv steigender Corona-Zahlen hat Hamburgs Bürgermeister Tschentscher die Menschen in einer Regierungserklärung bereits darauf eingeschworen - während die AfD in der Debatte einmal mehr für einen Eklat sorgte.

Hamburgs Bürgerinnen und Bürger müssen vom kommenden Montag an wegen weiterhin massiv steigender Corona-Zahlen harte Einschränkungen hinnehmen. Bei einer Videokonferenz vereinbarten die Ministerpräsidenten der Länder und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch scharfe Beschränkungen des öffentlichen Lebens ähnlich wie im Frühjahr. Restaurants und Kneipen sollen wieder schließen, genauso wie Kosmetikstudios, Massagepraxen, Tattoo- und Fitnessstudios oder Kinos. Veranstaltungen werden gestrichen und Zuschauer in der Bundesliga wieder verboten. Offen bleiben sollen Schulen, Kindergärten, der Groß- und Einzelhandel und Friseurläden.

Die ebenfalls beschlossenen Kontaktbeschränkungen gelten in Hamburg bereits seit Montag: Im privaten Bereich, auf der Straße und in der Gastronomie dürfen sich nur noch maximal zehn Menschen aus zwei Haushalten treffen. Ausnahmen bei der Zahl der Haushalte gibt es nur für sogenannte Patchworkfamilien und für Kinder unter zwölf Jahren.

Tschentscher sagte nach der Videokonferenz mit Blick auf die Entscheidung der Regierungschefs: "Es gibt keine abweichenden Voten. Wir haben alle gemeinsam diese Beschlüsse gefasst." Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) betonte: "Wir werden die heutigen Beschlüsse in Hamburg umsetzen und - mit Unterstützung des Bundes - gleichzeitig denjenigen helfen, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten." Für Freitag sei eine Sondersitzung des Senats zur Umsetzung der Beschlüsse anberaumt.

"Vieles, was uns ausmacht, unser Bedürfnis nach menschlicher Nähe, Austausch, unser Drang nach sportlicher Betätigung und Kultur, Musik, Theater - all das müssen wir wieder für einige Wochen zurückstellen für ein größeres Ganzes: Die Unversehrtheit unser Eltern und Großeltern, geliebter Menschen, der Schwachen und Kranken in unserer Gesellschaft", sagte Fegebank. Das seien große Opfer, aber sie seien nötig.

Tschentscher hatte die Bevölkerung schon am Nachmittag in einer Regierungserklärung auf weitere harte Einschränkungen eingeschworen. Am Mittwoch war die Zahl der registrierten Corona-Neuinfektionen in Hamburg mit 404 auf einen Rekordwert gestiegen. Der Sieben-Tage-Wert kletterte auf 113,2 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner. 149 Covid-19-Patienten liegen inzwischen in Krankenhäusern, 34 von ihnen auf Intensivstationen.

"Wir sind jetzt in der Corona-Pandemie in einer kritischen Phase", betonte Tschentscher. Die zweite Welle treffe Europa mit Wucht. Die Regierungen von Frankreich, Spanien und Tschechien hätten bereits den Notstand ausgerufen. "Auch aus unseren Partnerstädten (...) erreichen uns bestürzende Nachrichten", sagte Tschentscher. In Marseille liege der Sieben-Tage-Wert pro 100 000 Einwohner bei über 500. In Prag bestehe eine generelle Ausgangssperre, auf dem Prager Messegelände werde derzeit ein Feldlazarett errichtet.

"Es gibt keinen Grund mehr, daran zu zweifeln, dass uns auch in Deutschland diese Entwicklung droht, wenn wir nicht alle durch unser persönliches Verhalten mithelfen, genau dieses zu verhindern", sagte Tschentscher. Mehr als zwei Drittel der Städte und Landkreise in Deutschland hätten den kritischen Sieben-Tage-Wert von 50 Infektionen pro 100 000 Einwohner bereits überschritten - als letzte Großstadt auch Hamburg.

"Wer in einem Keller hinter verschlossenen Türen eine Party mit fast 100 Leuten veranstaltet - ohne Maske, ohne Abstand -, der unterläuft die gesamte Corona-Strategie und bringt uns in größte Schwierigkeiten", warnte Tschentscher. Das sei unverantwortlich in dieser kritischen Lage, "und deshalb werden unsere Polizei und Ordnungskräfte die Einhaltung der Corona-Regeln weiter konsequent kontrollieren und durchsetzen".

Mit Ausnahme der AfD teilten im Parlament alle Fraktionen grundsätzlich die Analyse des Bürgermeisters. "Es droht ein neuer, zumindest partieller Lockdown", sagte etwa die Grünen-Fraktionschefin Jennifer Jasberg. Einig waren sich auch alle, dass die Schulen und Kitas geöffnet bleiben sollen. Kritik gab es dabei jedoch von der CDU und den Linken an Schulsenator Ties Rabe (SPD). CDU-Fraktionsvize Anke Frieling warf ihm vor, seiner Verantwortung beim Schutz der Schüler nicht gerecht zu werden. Sie sprach anstelle von CDU-Fraktionschef Dennis Thering, der sich wegen eines Corona-Falls in der Fraktion vorsorglich in Selbstisolation begeben hat.

Die Linken-Fraktionsvorsitzende Cansu Özdemir und die einzige FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein kritisierten zudem, dass einmal mehr Entscheidungen über weitere Einschränkungen unter Umgehung des Parlaments getroffen würden. "Es reicht mit den Alleingängen, mit diesen einsamen Beschlüssen des Senats, von denen alle Hamburger und Hamburgerinnen und auch das Parlament, die Opposition nur über Pressekonferenzen erfahren", sagte Özdemir. Empörung im Parlament löste AfD-Fraktionschef Alexander Wolf aus, als er das Infektionsschutzgesetz wegen der darin aufgeführten Möglichkeiten des Bundesgesundheitsministeriums mit dem Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten verglich.

Hamburger Gastronomen zeigten sich von der Schließung der Gastronomiebetriebe geschockt. "Ich bin tief betroffen von diesem zweiten Lockdown für die Gastronomie. Dafür habe ich kein Verständnis, denn unsere Branche ist nicht schuld daran, dass die Zahl der mit Corona-Infizierten Menschen so stark steigt", sagte Dirk Block dem "Hamburger Abendblatt". Der Unternehmer betreibt sieben "L'Osteria"-Restaurants in Norddeutschland. Zusammen mit führenden Vertreter der Gastrobranche, darunter auch TV-Koch Tim Mälzer, hatte er noch einen "Brandbrief" an Kanzlerin Merkel geschrieben.

Handelskammerpräses Norbert Aust erklärte, die Hamburger Wirtschaft habe großes Verständnis dafür, dass alle vermeidbaren Kontakte reduziert werden müssen, um die Infektionsketten zu unterbrechen. "Die Maßnahmen müssen aber nachvollziehbar und in ihrer Wirksamkeit überprüfbar sein, sonst wird das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger und der gesamten Wirtschaft verspielt."

Handwerkskammerpräsident Hjalmar Stemmann forderte, dass Kosmetik und Fußpflege weiter erlaubt sein müssten. Die Hygienestandards in der Kosmetik- und Fußpflegebranche seien bereits vor der Pandemie extrem hoch gewesen und nun noch einmal strenger. Eine höhere Infektionsgefahr sei nicht auszumachen. "Der Senat möge sich bitte daran erinnern und nicht schon wieder einen Berufsstand ohne Not in vermeidbare Existenzkrisen stürzen."

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) fürchtet, dass nun viele der rund 4000 Betriebe in Hamburg mit ihren mehr als 55 000 Beschäftigten in Gefahr sind. "Es darf keine ganze Branche pauschal geopfert werden", erklärte die Geschäftsführerin der NGG-Region Hamburg-Elmshorn, Silke Kettner.