Hamburg. Wenn Patrick L. davon erzählt, was ihm widerfahren ist, dann klingt es, als könne er es immer noch nicht glauben. Dabei hat es der Erzieher inzwischen schwarz auf weiß: seine fristlose Kündigung. Zwei Wochen ist das nun her. Seitdem versucht der 28-Jährige herauszufinden, warum er seinen Job los ist. Aber bisher ohne Erfolg. Der Arbeitgeber, die Kita Schilfpark in Bergedorf, die zum Träger „Kinderzimmer“ gehört, hat bisher keine konkreten Gründe genannt, spricht aber von gravierenden Pflichtverletzungen. Nur welche?
Patrick L. sagt, er habe sich nie etwas zuschulden kommen lassen. Abmahnungen oder Ähnliches habe es nie gegeben. Und so ist er sich sicher, dass es nur einen Grund dafür geben kann: nämlich den, dass er einen Tag vor der Kündigung seiner Chefin mitgeteilt hatte, einen Betriebsrat gründen zu wollen. Kann das sein? Dass eine soziale Einrichtung wie eine Kita die Bildung eines Betriebsrates einfach unterbindet? Oder war die zeitliche Nähe der beiden Ereignisse nichts mehr als reiner Zufall?
Betriebsbedingte Kündigung
Für Patrick L. hat es sich so zugetragen: „Nachdem ich rund ein Jahr bei dem Träger gearbeitet hatte, kam Corona, und in dieser Ausnahmesituation fand ich, dass die Kommunikation nicht rundgelaufen ist.“ In dieser Phase habe er erstmals darüber nachgedacht, dass er gerne einen Betriebsrat gründen würde. Dienstag vor zwei Wochen berichtete er seiner Standortleitung von seinen Plänen, diese wiederum habe dann die Regionalleitung informiert, die L. dazu wenige Stunden später anrief. Wie das Telefonat verlaufen sei? „Sie war nicht begeistert. Aber sie vermittelte mir, dass sie mir nicht im Weg stehen würde.“ Weiter habe sie vorgeschlagen, dass sie sich zwei Tage später dazu noch mal von Angesicht zu Angesicht unterhalten könnten.
Ein Treffen, zu dem es nicht mehr kam. Denn am Folgetag wurde L. nach zwei Stunden im Dienst von der Standort- und der Regionalleitung in ein Nebenzimmer gerufen. „Sie haben mir gesagt, dass sie mir betriebsbedingt kündigten müssten. Ich konnte es einfach nicht glauben.“ Schließlich sei er „wie ein Verbrecher nach draußen eskortiert“ worden.
Weiterer Mitarbeiter gekündigt
L. informiert sofort seine Frau, seine Eltern und Freunde. Rund zwei Stunden nach der mündlichen Kündigung überbrachte ein Kurier dann auch die schriftliche zu ihm nach Hause. Von „betriebsbedingt“ ist da keine Rede. Sondern: „Wir sehen uns zu diesem Schritt durch gravierende Pflichtverletzungen Ihrerseits gezwungen.“ Patrick L. ist entsetzt und enttäuscht. „Aber am schlimmsten ist, dass ich einfach nicht weiß, was passiert ist.“ Der Verdacht, dass es zwischen der Ankündigung und der Kündigung einen Zusammenhang gibt, „liegt auf der Hand“, glaubt L.
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Besonders auch, weil er nur wenige Stunden vor der Kündigung eine WhatsApp-Gruppe gegründet habe, in der er seinen Kolleginnen und Kollegen von seinem Vorhaben berichtete. Teile des Chat-Protokolls liegen dem Abendblatt vor. Demnach stieß die Idee bei den Mitarbeitern auf Zustimmung. Weiter hat L. inzwischen erfahren, dass in etwa zur gleichen Zeit einem weiteren Mitarbeiter fristlos gekündigt worden sei. Dieser habe sich ebenfalls für einen Betriebsrat ausgesprochen.
Patrick L. hat eine Anwältin eingeschaltet
Patrick L. hat inzwischen eine Anwältin eingeschaltet, um gegen die Kündigung vorzugehen. Mit dem Fall betraut ist Constanze von der Meden von der Hamburger Kanzlei „Von der Meden & Kretzschmar“. Laut von der Meden ist eine fristlose Kündigung im Arbeitsrecht immer problematisch, denn sie darf ohne Abmahnung nur ausgesprochen werden, wenn ein sehr gravierendes Fehlverhalten des Arbeitnehmers vorliegt.
Beispiele dafür seien, dass der Angestellte Geld stiehlt oder dass er Gewalt anwendet. Bei anderen weniger gravierenden Versäumnissen müsse zunächst abgemahnt werden. Und darf es sein, dass der Angestellte den Grund für die Kündigung nicht erfährt? „Grundsätzlich hat natürlich der Arbeitnehmer einen Anspruch darauf zu wissen, weswegen er gekündigt wird.“ Da aber im vorliegenden Fall kein Betriebsrat vorhanden ist, müsse dieser nicht unter Bekanntgabe eines Kündigungsgrundes angehört werden. „Aber spätestens in der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht muss der Grund benannt werden.“
Offenbar wurde ihm die Verletzung der Maskenpflicht vorgeworfen
Über Ecken ist Patrick L. nach eigenen Angaben inzwischen zu Ohren gekommen, dass ihm die Verletzung der Maskenpflicht vorgeworfen werde, die in der Kita in vielen Bereichen bestehe. Ein Vorwurf, den er von sich weist und der bislang auch nicht offiziell bestätigt worden sei. Grundsätzlich meint von der Meden: „Nach meiner derzeitigen Rechtsauffassung reicht der Vorwurf allein, die Maske nicht getragen zu haben, nicht für eine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung aus.“
Ob etwas an dem Gerücht dran sei, wollte Kinderzimmer auf Abendblatt-Nachfrage nicht beantworten. Über Anwalt Christian Kaiser ließ der Träger mitteilten: „Der Plan, einen Betriebsrat zu gründen, war nicht der Grund für die Kündigung. Es hatte im Vorfeld sehr schwerwiegende Pflichtverletzungen gegeben, die uns zu dem Schritt veranlasst haben. So liegt die Vermutung nahe, dass L. mit der Gründung des Betriebsrats seine Kündigung hat abwenden wollen.“
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Weiter betont er, dass es sich gleich um mehrere Pflichtverletzungen handele, die erst kurz vor dem Ausspruch der Kündigung bekannt geworden seien. Ob es einen Zusammenhang zwischen beiden Kündigungen gebe? „Nein.“ Ob die Kita eine Anzeige gegen Patrick L. erstattet hätte? „Nein, nach meiner Kenntnis wurde keine Anzeige erstattet.“
Ganz grundsätzlich sei die Kita Kinderzimmer auch nicht gegen Betriebsräte. „Aber an diesem Standort hält sie die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht gegeben“, so Anwalt Christian Kaiser weiter.
Hintergrund dieser Aussage ist, dass Kinderzimmer zwar mit 700 Mitarbeitern und 27 Standorten einer der größten Träger Hamburgs ist, aber jeder der Standorte für sich eine einzelne GmbH ist. „Das führt dazu, dass jeder Standort seinen eigenen Betriebsrat gründen müsste, was das Prozedere natürlich erschwert und aufwendig macht“, sagt Ver.di-Mitarbeiterin Anja Keuchel. „Mit mindestens fünf Mitarbeitern, von denen drei wählbar sein müssen, sind die Anforderungen für die Gründung erfüllt.“ Ver.di-Kollege Michael Stock ergänzt: „Ich kann nur sagen, dass eine Aufsplittungsstruktur in einzelne GmbHs bei einem sozialen Träger sehr ungewöhnlich ist.“
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