Hamburg

Albertinen Haus: Vier Jahrzehnte im Dienst alter Menschen

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Peter Wenig
Besuch im Albertinen Haus: Der damalige Sozialsenator Ortwin Runde (r.), später  Erster Bürgermeister, mit Professor Pastor Walter Füllbrandt (l.) und Prof. Hans Peter Meier-Baumgartner.

Besuch im Albertinen Haus: Der damalige Sozialsenator Ortwin Runde (r.), später Erster Bürgermeister, mit Professor Pastor Walter Füllbrandt (l.) und Prof. Hans Peter Meier-Baumgartner.

Foto: ARCHIV / Archiv

1980 eröffnete das Albertinen Haus. Damals steckte die Geriatrie in den Kinderschuhen. Jetzt plant die Diakonie einen Neubau.

Hamburg. Als Hans Peter Meier-Baumgartner 1952 das erste Mal die Hansestadt besucht, sieht er noch viele Ruinen. Sieben Jahre ist er alt, die Eltern machen mit ihm eine Stippvisite an der Elbe nach einem Nordsee-Urlaub. Knapp drei Jahrzehnte später kehrt der Schweizer nach Hamburg zurück.

Er arbeitet zu der Zeit bereits in Bern als stellvertretender Chefarzt, gilt als einer der Hoffnungsträger der Schweizer Medizin. Doch die Chance, in Hamburg etwas Neues aufzubauen, reizt ihn zu sehr. Und so wird Prof. Meier-Baumgartner 1980 Chefarzt des Albertinen Hauses für das Zentrum für Geriatrie und Gerontologie.

Albertinen Haus: eines der renommiertesten Häusern für Altersmedizin

Längst zählt die Einrichtung zu den renommiertesten Häusern für Altersmedizin in Deutschland. Der Arzt muss in seiner Amtszeit – 2005 wurde er mit einem Festakt verabschiedet – viel richtig gemacht haben. Doch als ihn das Abendblatt in der Schweiz telefonisch erreicht, spricht der inzwischen 75-jährige Mediziner zunächst über den Mann, der ihn damals eingestellt hat: „Ohne das Engagement von Walter Füllbrandt hätte es dieses Haus nicht gegeben.“

Der habilitierte Theologe und Vorstandsvorsitzende des Albertinen Diakoniewerks hatte sich in den Kopf gesetzt, ein Zen­trum für die medizinische Versorgung alter Menschen aufzubauen. Und dabei auch über die Grenzen Deutschlands nach einem Arzt gesucht, der eine solche Einrichtung entwickeln kann.

Schließlich war vor vier Jahrzehnten dieses Projekt in Deutschland fast revolutionär. Anders als in den Nachbarstaaten gab es kaum spezialisierte Altersmedizin, erst 1970 wurde der erste deutsche Lehrstuhl in Erlangen eingerichtet. Nur zögernd setzte sich die Erkenntnis durch, dass alte Menschen ganzheitlich therapiert werden müssen, weil sie häufig an mehreren Krankheiten leiden.

„Ich habe die Altersmedizin quasi mit der Muttermilch aufgesogen“, sagt Meier-Baumgartner. Seine Eltern führten in der Nähe von Zürich ein kleines Pflegeheim. Und wenn der Arzt die Visite machte, ging der kleine Hans Peter einfach mit.

Albertinen Haus richtet 2002 Stiftungsprofessur ein

Diese Faszination ließ ihn nicht mehr los. „Mein Ziel war immer, dass alte Menschen so lange wie möglich eigenständig leben können“, sagt Meier-Baumgartner. Mit Stolz berichtet er, wie 1985 das Londoner Ehepaar Berta und Karel Bobath, Pioniere der nach ihnen benannten Therapie, mehrere Wochen Ärzte, Krankenpfleger und Physiotherapeuten im Albertinen Haus unterrichtete. Die Bobath-Therapie, weltweit anerkannt als Behandlung von Patienten mit Verletzungen des zentralen Nervensystems, bildet seitdem die therapeutische Grundlage der Klinik.

Ein weiterer Meilenstein für das Albertinen Haus bedeutet 2002 die Einrichtung einer Stiftungsprofessur für Geriatrie und Gerontologie. Die Aufgabe übernimmt Prof. Wolfgang von Renteln-Kruse als neuer Chefarzt. Zwei Jahre später eröffnet das Max Herz-Haus, wieder ein bundesweites Modellprojekt für Demenzkranke. Mit Beratungsstelle, Tagespflege, Wohngemeinschaft mit stationärer Pflege, einer Wohngruppe und Wohnungen für Angehörige.

Seit Februar 2019 verantwortet nun Prof. Ulrich Thiem als Chefarzt das Albertinen Haus. Wer den Mediziner kennenlernt, spürt schnell, wie sehr er für seine Aufgabe brennt. Besonders intensiv beschäftigt sich Thiem mit der Mobilität im Alter: „Stellen Sie sich für einen kurzen Moment vor, wie anders der heutige Tag für Sie verlaufen wäre, wenn Sie zum Beispiel auf einen Rollator angewiesen wären oder Schwierigkeiten hätten, eine Treppenetage hinauf- oder hinabzusteigen.“ Viele Ältere, klagt Thiem, würden nur wegen fehlender Mobilität ihre sozialen Kontakte einschränken. Deshalb arbeitet er intensiv daran, dass seine Patienten wieder mobil werden – möglichst ohne Hilfsmittel.

Darum hat das Albertinen Haus mit Partnern das Modellprojekt „Paul“ entwickelt – die Abkürzung steht für „Persönlicher Assistent für unterstütztes Leben“. 1000 ältere Menschen, die auf Sicht Unterstützung im Alltag benötigen, erhielten einen einfach zu bedienenden Tablet-PC, um E-Mails zu schreiben, Lebensmittel zu bestellen oder über Videoplattformen zu telefonieren, etwa mit ihrem Arzt. Mit dem Projekt will das Netzwerk Senioren das Leben in den eigenen vier Wänden erleichtern – auch dann, wenn sie irgendwann pflegebedürftig werden sollten.

Ein viergeschossiger Neubau für 33,6 Millionen Euro

Thiems zweiter Schwerpunkt gehört der Medikation älterer Menschen. „Oft konkurrieren die Therapieziele. Mit bestimmten Medikamenten können Sie das Schlaganfallrisiko senken. Gleichzeitig können diese Medikamente aber die Wirkung anderer Wirkstoffe verändern, zum Beispiel verstärken, was zu unerwünschten Wirkungen beim Patienten führen kann“, sagt der Geriater. Bei Mehrfacherkrankungen mit Medikamenten so zu behandeln, dass der Betroffene einen klaren Nutzen von der Therapie hat, ihm aber kein Schaden zugefügt wird, sei eine echte Herausforderung.

Die größte persönliche Herausforderung seiner noch jungen Amtszeit steht Thiem jetzt bevor: Nach vier Jahrzehnten wird das Albertinen Haus 2023 umziehen. Für 52,5 Millionen Euro entsteht auf dem Gelände des Albertinen Krankenhauses an der Süntelstraße ein Neubau für das Zentrum für Altersmedizin. Der Senat zahlt 33,6 Millionen Euro, darin enthalten sind Mittel aus dem Krankenhausstrukturfonds in Höhe von 5,78 Millionen Euro. Die Immanuel Albertinen Diakonie beteiligt sich mit 18,9 Millionen Euro.

„40 Jahre nach Eröffnung des Albertinen Hauses wollen wir mit dem Neubau des Zentrums für Altersmedizin erneut Maßstäbe für die interdisziplinäre Versorgung hochaltriger Menschen setzen“, sagt Matthias Scheller, Vorsitzender der Konzerngeschäftsführung der Immanuel Albertinen Diakonie. Der viergeschossige Neubau mit 117 Betten und 35 teilstationären Behandlungsplätzen wird direkt an das Hauptgebäude des Albertinen Krankenhauses andocken. „Unsere Patienten werden von dieser Zusammenlegung profitieren“, sagt Thiem. Die Geriatrie könne noch enger mit den übrigen Fachabteilungen des Krankenhauses kooperieren.

Ein Blick in die demografische Zukunft der Hansestadt zeigt, dass die Altersmedizin in den kommenden Jahren immer mehr an Bedeutung gewinnen wird: Bereits 2030 wird jeder Dritte über 60 Jahre alt sein.

Geria­trie hat immer noch ein Imagepro­blem

Umso erstaunlicher, dass die Geria­trie nach wie vor ein latentes Imagepro­blem in der Branche hat. Vor 40 Jahren war das noch gravierender, Meier-Baumgartner spricht rückblickend vom „Hinterhof der Medizin“. Leiter anderer Kliniken hätten sich mitunter gewundert, warum sich ein junger Mediziner mit einem so guten Examen ausgerechnet für die Geriatrie entscheidet.

Inzwischen ist die Zahl der Lehrstühle gewachsen, dennoch gibt es nur in drei Bundesländern (Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt) den Facharzt für Innere Medizin und Geriatrie. Thiem macht das Problem gern an einem Beispiel deutlich: „Ein Akutmediziner und ein Geriater stehen gemeinsam am Bett eines hochbetagten Patienten. Der Ge­riater prüft, ob die Batterie des Hörgeräts noch intakt ist. Da können Sie sagen, oh, wie niedlich, der kümmert sich sogar um ein solches Detail. Oder Sie können sagen, dieser Arzt weiß, dass ein Delir, also der Zustand der Verwirrtheit, sich verstärken kann, wenn der Patient nur sehr schwer hört.“

Baumgartner wie Thiem haben jedenfalls nie bereut, dass sie sich für die Altersmedizin entschieden haben. Bewegt erinnert sich Baumgartner an Patienten, die im Albertinen Haus nach schweren Schlaganfällen so gut therapiert wurden, dass sie wieder eigenständig leben konnten. Thiem sagt, dass er bei hochbetagten Menschen immer wieder eines erlebe: große Dankbarkeit.

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