Hamburg. Er ist wieder da. Jörg Dräger, sieben Jahre lang – von 2001 bis 2008 – Hamburgs Wissenschaftssenator, steht gut gelaunt und vital auf dem Kehrwiedersteg auf der Schnittstelle zwischen Speicherstadt und HafenCity.
Dräger, heute im Vorstand der Bertelsmann-Stiftung, beteiligt sich an den Stadtspaziergängen, die der Hamburg Konvent auf Initiative von HWWI-Chef Henning Vöpel und dem früheren Staatsrat Nikolas Hill veranstaltet. Ziel des Formats ist es, wie berichtet, Anregungen für die Zukunftsgestaltung Hamburgs zu sammeln. Dazu erkunden Experten die Stadt und unterbreiten Reformvorschläge. Dräger hat die Entstehung der HafenCity während seiner Zeit als aktiver Politiker engmaschig begleitet. Für ihn ist sie „gelebte Vielfalt in einem besonders schönen Umfeld“, etwas zu selbstverständlich werde dieser Coup manchmal noch genommen.
Auf die HafenCity könne die Stadt stolz sein
Als Beleg zählt Dräger, unterstrichen von entsprechenden Gesten in alle Richtungen, einige Dreiklänge auf: „Wohnen und Büros, Wasser und Land“. Und dann, bezogen auf die Achse in Richtung Speicherstadt, „Altes und Neues“. In Kombination mit der abwechslungsreichen Architektur ergebe sich das Besondere dieses Stadtteils, auf den Hamburg stolz sein könne. Wer das nicht sehen könne, solle sich vergleichbare Neubauprojekte ansehen, fordert Dräger. Der Potsdamer Platz in Berlin mit seinem Büroschwerpunkt sei viel zu aseptisch und abends ausgestorben, die Baumaterialien wirkten in Teilen schon beinahe etwas heruntergekommen. Die Londoner Docklands? „Tagsüber voller Geschäftsleute und einiger Touristen, danach zu tot.“
Dräger verweist auf zwei städtebauliche Leuchttürme auf einer Achse: die Elbphilharmonie im Westen und die HafenCity Universität (HCU) weiter östlich, deren Realisierung in seine Amtszeit fiel. Der Standort der HCU stehe für gelebte Stadtentwicklung – mit einer „Universität am Wasser“. Mit der Eröffnung der U-Bahn-Station sei der Sprung über die Elbe Wirklichkeit geworden – die HCU für die zum Beispiel aus Wilhelmsburg kommenden Studenten innerhalb weniger Stationen erreichbar. Sein Fazit zur HafenCity: Sie sei ein insgesamt gelungenes Stadtentwicklungsprojekt mit abwechslungsreicher Architektur. Einziger Wermutstropfen: „Man hätte noch mehr die Lebenswelt von Kindern berücksichtigen müssen.“
Cluster Technologie immer noch ein Schwachpunkt
Und wie ist der ehemalige Blankeneser, der seit Jahren in Bielefeld lebt, sonst mit der Entwicklung der Stadt zufrieden, in der er acht Jahre lang politische Verantwortung trug? Immer wieder hat Dräger in den vergangenen Jahren eine Stärkung der „drei T“ für Hamburg gefordert – Toleranz, Talent und Technologie. Vor allem bei Talent und Technologie sieht er noch deutlichen Nachbesserungsbedarf. Beim Thema Talent sieht er Hamburg „im Mittelfeld“, während das Cluster Technologie immer noch ein Schwachpunkt sei. Hamburg habe zu lange auf Hafen und Luftfahrt gesetzt und innovative Technologien vernachlässigt, zu lange Veränderungen gescheut. Moderne Technologien müssten „in die Stadt geholt“ werden – und zwar langfristig.
Dräger selbst setzte einen deutlichen Akzent, als er im Jahr 2007 die Einrichtung der Großforschungsanlage XFEL mit einem Investitionsvolumen von rund 1,1 Milliarden Euro am Bahrenfelder Desy-Institut auf den Weg brachte. Solche Grundlagenforschung stärke auch Anwendung und Gründertum. Entsprechend komme die mittlerweile angelaufene Planung für die Science City Bahrenfeld zwar spät, sei aber „genau der richtige Schwerpunkt“.
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Architektur in Zeiten von Corona – das ist nicht so abstrakt, wie es scheinen mag. Die aktuelle Debatte, wie das Homeoffice die Bürowelt verändern wird, fasziniert und inspiriert Dräger. Aus seiner Sicht werden sich Unternehmen künftig eine Menge einfallen lassen müssen, um die klassischen Arbeitsplätze attraktiver zu gestalten. Auch hier gebe es für den Dienstleistungsstandort Hamburg noch einiges zu tun. Statt der obligatorischen Einzel- oder Großraumbüros müsse es Orte zum gemeinsamen Arbeiten und Lernen geben, die dann abhängig von der jeweiligen Tätigkeit aufgesucht werden könnten. Nur auf diese Weise könne man das Herz der Stadt dauerhaft beleben.
Würde es Dräger reizen, in Hamburg über ein politisches Amt mitzugestalten? „Die Zeit im Senat hat mir viel Freude gemacht, und wir haben viel bewegen können“, sagt Jörg Dräger. „Doch nach den Jahren des operativen Arbeitens habe ich mich auch nach intellektueller Aufladung gesehnt.“ Seine neue Aufgabe ermögliche ihm nun eine uneingeschränktere „Freiheit des Denkens“.
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