Hamburg. Die Neubesetzung von Toppositionen in der Justiz kann schnell zu einer politisch heiklen Angelegenheit werden. Nicht immer hatten Justizsenatoren ein glückliches Händchen, wenn es um die Nachfolge von Gerichtspräsidenten oder -direktoren ging. Zwar hat der jeweilige Chef oder die Chefin der Behörde an der Drehbahn ein Vorschlagsrecht, ja eine Vorschlagspflicht für die Richterposten, aber gewählt werden die Kandidaten vom Richterwahlausschuss.
Das ist ein ausgesprochen selbstbewusstes Gremium von 14 Männern und Frauen, von denen die aktuelle Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) eben nur eine ist. Und: Der Richterwahlausschuss kann einen Gegenvorschlag zum Votum der Behördenspitze unterbreiten. Wie schnell man sich dort eine blutige Nase holen kann, hat Gallina in ihrer kurzen Amtszeit schon erfahren. Ihr Vorschlag für den Posten des Direktors des Amtsgerichts Blankenese, Götz Göttsche, fiel Mitte August im Richterwahlausschuss durch. Überraschend hatte der Ausschuss in der Sitzung mit der Stellvertreterin des Amtsgerichts, Anja Fanselow, einen Gegenvorschlag präsentiert.
Patt im ersten Wahlgang
Nach einem Patt im ersten Wahlgang setzte sich Fanselow im zweiten mit neun zu fünf Stimmen klar durch. Sechs Ausschussmitglieder werden von den in der Bürgerschaft vertretenen Parteien nach Proporz entsandt. Der Fanselow-Vorschlag soll ausgerechnet von grüner Seite im Richterwahlausschuss gekommen sein, was die grüne Justizsenatorin nicht gefreut haben dürfte.
Nun steht für Gallina die wichtigste Personalentscheidung der kommenden Jahre im Richterbereich an: Am 31. Oktober geht Erika Andreß, die Präsidentin des Hanseatischen Oberlandesgerichts (OLG), in den Ruhestand. Nachfolger oder Nachfolgerin für Hamburgs obersten Richterposten dringend gesucht. Man kann es auch so ausdrücken: Selten hat eine Senatorin eine so große Chance, durch eine kluge Personalwahl Gesicht und Struktur der dritten Gewalt entscheidend mitzuprägen. Die OLG-Präsidentin ist nicht nur die höchste Repräsentantin der Richterschaft, sondern unter anderem auch die Leiterin des Justizprüfungsamtes und hat so zentralen Einfluss auf die Personalentwicklung.
Eine wichtige Rolle spielt die bisherige Besoldungsstufe
Wie berichtet, gibt es vier Bewerbungen um den Posten, der nach der Besoldungsstufe R 8 bezahlt wird. Bei der Entscheidung für den geeignetsten Kandidaten spielt das sogenannte Statusamt – also die bisherige Besoldungsstufe der Bewerber – eine wichtige Rolle. Dabei gilt der Grundsatz, dass eine Kandidatin oder ein Kandidat umso besser geeignet und qualifiziert ist, je höher er oder sie in der Besoldungshierarchie bereits aufgestiegen ist. Nach dem Motto: Befördert werden nur die jeweils Fähigsten.
Nach diesem Kriterium sind Landgerichts-Präsident Marc Tully und der Präsident des Landessozialgerichts, Wolfgang Siewert, klar im Vorteil. Beide werden in ihren jetzigen Positionen nach R 6 besoldet. Die beiden weiteren Bewerber – OLG-Vizepräsident Guido Christensen und Dörte Liebrecht, Leiterin des Zentralamtes der Justizbehörde – beziehen ein R-4-, bzw. B-4-Gehalt.
Stirnrunzeln in Justizkreisen
Nach Informationen des Abendblatts soll in der Justizbehörde vorübergehend überlegt worden sein, die Liebrecht-Stelle höher zu bewerten und nach B 6 einzugruppieren, um die Chancen der Amtsleiterin zu erhöhen. Bis zu einer behördeninternen Umstrukturierung war die Amtsleitung mit B 6 dotiert. Der Posten musste dann aber Aufgaben abgeben und wurde daher heruntergestuft.
Die angeblichen Überlegungen zur Höherbewertung der Amtsleiterstelle sorgten in Justizkreisen für Stirnrunzeln, weil der öffentliche Eindruck, dass hier etwas für die Bewerbung Liebrechts auf den OLG-Posten passend gemacht werden sollte, kaum zu vermeiden gewesen wäre. Sachlich begründbar wäre eine neue Stellenbewertung ohnehin nur, wenn Aufgaben und Kompetenzen für die Tätigkeit neu hinzukommen würden. Eine solche Umstrukturierung wäre aber in der Kürze der Zeit – die nächste Sitzung des Richterwahlausschusses ist Mitte November – nicht zu leisten.
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Doch die Justizbehörde weist die Existenz entsprechender Gedankenspiele zurück. „Überlegungen zu einer Stellenneubewertung hat es in diesem Zusammenhang nicht gegeben“, sagte Behördensprecherin Marayke Frantzen.
Gegen Dörte Liebrecht als neue OLG-Präsidentin spricht zudem, dass sie nur für einen kurzen Zeitraum Richterin am OLG war. Auch Landessozialgerichts-Präsident Siewert fehlt jahrelange Erfahrung am OLG. So läuft nach derzeitigem Stand alles auf Marc Tully als Nachfolger von Erika Andreß hinaus, der gegenüber OLG-Vize Christensen den Vorteil des höheren Statusamtes hat. Tully steht zwar erst seit zwei Jahren an der Spitze des Landgerichts, aber er hat sich auf dem Posten viel Anerkennung erworben. Zudem war Tully zuvor lange Vorsitzender Richter am OLG.
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