Hamburg. Es ist der Augenblick höchster Konzentration, jener Moment, den selbst altgediente Goldschmiede als magisch empfinden können: Wenn während der Arbeit an der Werkbank aus zwei Teilen Einheit entsteht. Es ist die Krönung handwerklicher Schaffenskraft, das Resultat einer Kette von Gesprächen, Überlegungen und Fingerfertigkeiten. Dass dabei hin und wieder der „Gottesfinger“ zum Einsatz kommt, hat seit Jahrhunderten Tradition. Dieses unscheinbare Metallstäbchen hilft Verbindungen zu schaffen – so und so.
Viola Bergmann und Judith Lotter begutachten an diesem Vormittag die Vollendung eines Meisterstücks. In der Goldschmiede Bergmann am Pilatuspool in der Hamburger Innenstadt sind ein moderner Verkaufsraum und das Atelier nebenan mit Werkzeugen wie Zieheisen, Zange und Hammer eine Einheit. Zudem besprechen die beiden Vorstandsfrauen der Gold- und Silberschmiede-Innung die weitere Strategie für einen Festakt mit Seltenheitswert: Die Vereinigung von aktuell 24 Berufskollegen ist eine der ältesten Innungen überhaupt.
Konkrete Angaben mit Gründungsjahren der Innungen kann die Handwerkskammer nicht machen. Da die für den 5. September angesetzte Zeremonie im Rathaus coronabedingt ausfallen muss, sollen Wirtschaftssenator und andere Ehrengäste für den März kommenden Jahres eingeladen werden. „Die Geschichte unseres Berufsstandes ist grandios“, sagt Judith Lotter.
Meister durften Schreibzeug für Rat der Stadt herstellen
Das beweist auch ein nachgedrucktes Goldschmiede-Lehrbuch von 1125. Einstmals waren die ältesten Metallhandwerke in Zünften organisiert. „Wer mit wertvollsten Materialien arbeitete und über entsprechendes Vertrauen verfügte, genoss von jeher hohes Ansehen“, weiß sie. Urkunden aus der Zeit der Hamburger Innungsgründung anno 1370 werden im Staatsarchiv verwahrt. Besonders begnadete Meister wurden beauftragt, edles „Schreibzeug“ und „Teemaschinen“ für den Rat der Hansestadt herzustellen.
Judith Lotter betreibt an der Lange Straße auf St. Pauli, direkt am Pinnasberg, ein eigenes Atelier. Seit 20 Jahren ist sie selbstständig. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Thomas Becker, dem Obermeister, engagieren sich die beiden Frauen an der Spitze der Innung für ihren Berufsstand, für Öffentlichkeitsarbeit und Ausbildung.
Ein Ritual mit uralten Regularien
Die „Freisprechung“ der Auszubildenden in der Handwerkskammer nach dreieinhalb Jahren Lehre ist ein Ritual mit uralten Regularien. Ein Trunk aus einem Becher gehört ebenso dazu wie ein symbolischer Schlag mit dem Ringstock durch den amtierenden Obermeister. Zur Feier des Tages pflegt der Innungschef eine mit hamburgischen Symbolen reich verzierte Halskette zu tragen. Sie demonstriert Unabhängigkeit und Selbstverwaltung der Institution. Das auf der Rückseite eingravierte Datum 1. April 1865 verweist auf die Einführung der Gewerbefreiheit in Hamburg.
„Die Goldschmiedekunst liegt im Trend“, sagt Viola Bergmann bei einem Glas Mineralwasser im Geschäft, das sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Michael führt. In ihrer Familie zählt dieser Erwerb zum guten Ton: Was Urgroßvater Conrad und Großvater Otto vor mehr als einem Jahrhundert an den Großen Bleichen begründeten, setzte Vater Hans-Konrad Bergmann, früher der Innungs-Obermeister, an den Colonnaden fort.
Menschen legen Wert auf Unikate
Seit bald drei Jahrzehnten ist Viola Bergmann am Pilatuspool im Geschäft. Ihre Erfahrung: „Die Menschen legen zunehmend Wert auf Unikate.“ Wer Unverwechselbares schätzt, Kreativgeist und Gefühle symbolisch in Gold oder Silber fassen möchte, lasse sich diesen individuellen Schmuck etwas kosten.
Mit einem Eisenstempel stanzt sie ein winziges Hamburg-Tor – beispielsweise in die Innenseite eines Rings. Auch Siegelringe seien wieder modern. Bei Bedarf kreiert Frau Bergmann zu diesem Zweck neue Familienwappen.
Die meisten Juweliere in Eppendorf? Ein Gerücht
Damit hatte in der Vergangenheit bereits der heilige Eligius zu tun. Der Schutzpatron mancher Zünfte, darunter die der Gold- und Silberschmiede, war seiner Zeit Bischof nördlich von Paris. Als Schatz- und Münzmeister der Merowingerkönige Chlothar II. und Dagobert I. erwarb er sich im siebten Jahrhundert einen formidablen Ruf. In Hamburg verfügte dieser Stand gleichfalls über einen hochwertigen Leumund.
Mit verblüffender Akkuratesse blieben Fakten einer glänzenden Vergangenheit bewahrt – in staatlichen Archiven, aber auch in Dokumentenmappen und einer Chronik der Innung. Meisterstücke, Deckelbecher, Sanduhren, Terrinen mit Kugelfüßen aus Silber oder Gold, sind detailliert aufgelistet. Zwischen 1370 und 1387 sind sämtliche Kämmereirechnungen erhalten. Anno 1250, also noch 120 Jahre vor Gründung der Innung, wurde ein „Meister Gottfried“ als erster „Aurifaber“ (lateinisch für Goldschmied) ins Städtebuch eingetragen.
Lesen Sie auch:
- Neustart für Juwelier Heinecke am Eppendorfer Weg
- Wie aus dem Gold aus der Elbe Ringe und Ketten werden
- Ein Goldschmied mit unauslöschbarer Energie
Faszinierend ist zudem eine Urkunde aus dem Jahr 1303. Aus dem Lehrvertrag des Goldschmieds Butecke mit seinem Lehrling Hinrik geht hervor, dass der junge Mann dem Chef elf Mark auszuhändigen hatte. Bei erfolgreichem Abschluss der Ausbildung nach sechs Jahren war dieser stattliche Betrag zurückzuzahlen.
Handelte es sich einst um eine männliche Berufsdomäne, ist heutzutage rund die Hälfte der Goldschmiede weiblich. Derzeit gibt es in Hamburg etwa 50 Goldschmiedeateliers und Juweliere. Dass sich das Gros davon in Eppendorf befindet, soll ein Gerücht sein.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Hamburg