Kiel. Trotz Corona-Pandemie sind in Schleswig-Holstein nicht mehr Menschen gestorben als sonst. Das geht aus dem Infektions-Halbjahresbericht des Landes hervor. Als Grund nennen Experten einen Nebeneffekt der Pandemie.

Die Corona-Pandemie hat in Schleswig-Holstein bisher nicht zu insgesamt höheren Sterbezahlen geführt. Dies stehe im Gegensatz zur Entwicklung in Deutschland, sagte Helmut Fickenscher, einer der Autoren des am Montag veröffentlichten Infektionsberichts des Landes für das erste Halbjahr 2020. Danach war für Schleswig-Holstein nur für eine Woche Mitte April ein schwacher Effekt nachzuweisen, für Deutschland lag dagegen insgesamt ein wesentlich deutlicherer Effekt auf die Gesamtmortalität drei Wochen lang von Ende März bis 26. April vor.

Die erfolgreichen staatlichen Maßnahmen hätten die Zahlen dann sehr schnell nach unten gedrückt, hieß es. Fickenscher ist Direktor des Instituts für Infektionsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein und Präsident der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten.

Für die glimpfliche Corona-Entwicklung in Schleswig-Holstein nannte der Wissenschaftler vor allem den erfreulichen Nebeneffekt, dass es teils deutlich weniger Fälle von anderen meldepflichtigen Infektionskrankheiten gab. So gingen Durchfallerkrankungen mit dem Norovirus-Gastroenteritis von 1152 auf 615 zurück - das sind nur noch 53 Prozent des Halbjahreswertes 2019. Beim Rotavirus-Gastroenteritis waren es nur noch 141 Fälle statt 947 (Rückgang auf 15 Prozent). Auch die Zahl der Influenza-Fälle sank - von fast 5300 auf gut 4000 oder 77 Prozent.

Trotz 3150 Covid-19-Erkrankungen lag die Gesamtzahl der gemeldeten Infektionserkrankungen im ersten Halbjahr 2020 bei 9600 Erkrankungen, womit sie praktisch genauso hoch war wie im ersten Halbjahr 2019. Die Gefährlichkeit des Coronavirus zeigt sich daran, dass 153 von 176 nachgewiesenen Todesopfern von Infektionskrankheiten in Schleswig-Holstein an Covid-19 starben. Zum Vergleich: Der Influenza erlagen im ersten Halbjahr 2020 laut Bericht 5 Menschen. Nicht überraschend ist laut Fickenscher, dass deutlich mehr Männer (94) als Frauen (58) am neuartigen Coronavirus starben. Dies sei weltweit typisch für diese Krankheit.

Dem Bericht zufolge gab es die ersten Corona-Fälle, die Schleswig-Holsteiner betrafen, außerhalb des Bundeslandes. Als erste infizierte sich am 17. Januar eine Frau auf einer Kreuzfahrt nach Südafrika, es folgten im Februar Italienreisende; andere steckten sich in Nordrhein-Westfalen, Ägypten oder Österreich an. Dies zeige, dass das Coronavirus nicht in der Bevölkerung in Schleswig-Holstein verbreitet war, sondern importiert wurde, sagte Fickenscher.

"Wir haben es selber in der Hand, ob wir eine zweite Infektionswelle bekommen", sagte der Wissenschaftler. Die Menschen sollten beispielsweise prüfen, ob Reisen wirklich notwendig seien. Denn Reisen böten ideale Möglichkeiten zur Verbreitung des Virus. "Kontakte reduzieren, Distanz halten", nannte der Experte als Faustformel neben den Hygieneregeln. Unterdessen teilte das Gesundheitsministerium am Montag in Kiel mit, dass bislang eine Person aus Schleswig-Holstein zu den in Bayern positiv getesteten Reiserückkehrern gehört.

Über eventuelle Konsequenzen zwei Wochen nach dem Schulstart will sich Bildungsministerin Karin Prien (CDU) am Freitag äußern. Am Montag waren nach Angaben des Ministeriums 15 Schulen in den Kreisen und kreisfreien Städten Dithmarschen, Flensburg, Kiel, Lübeck, Pinneberg, Rendsburg-Eckernförde, Schleswig-Flensburg und Stormarn von coronabedingten Einschränkungen im Präsenzunterricht betroffen.

Prien verteidigte erneut, dass in nur 100 von rund 2000 Fällen Lehrkäfte, die Atteste als Risikopersonen vorgelegt hatten, vom Präsenzunterricht befreit wurden. "Mir liegen Gesundheit und Wohlbefinden der Lehrkräfte sehr am Herzen, weil ihre Arbeit entscheidend für den Erfolg von Schule ist, aber auch ich muss mich an Recht und Gesetz halten."

Der betriebsmedizinische Dienst richte sich nach den Empfehlungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und den jeweils aktuellen Bewertungen des Robert Koch-Instituts, erklärte Prien. "Wo es um individuelle Ängste von Lehrkräften geht, können wir diese Lehrerinnen und Lehrer zwar unterstützen, aber nicht anders behandeln als Polizisten oder Krankenschwestern."

In Schleswig-Holstein stieg die Zahl der Corona-Infizierten innerhalb eines Tages um acht. Wie die Landesregierung auf ihren Internetseiten mitteilte, wurden bisher - Stand Sonntagabend - insgesamt 3790 Corona-Fälle im nördlichsten Bundesland registriert. Im Zusammenhang mit dem Coronavirus starben 158 Menschen - diese Zahl hat sich nicht erhöht. Im Krankenhaus werden 19 Corona-Patienten behandelt. Rund 3300 der seit Beginn der Pandemie in Schleswig-Holstein nachweislich mit Sars-CoV-2 Infizierten gelten laut Landesregierung als genesen.