Hamburg. Es fing vielversprechend an. Als sich die Statt Partei Anfang der 1990er-Jahre anschickte, das politische Hamburg aufzumischen, waren die Voraussetzungen für eine neue politische Kraft gut. Die Wähler hatten genug von Filz und Machtranküne der Hamburger Altparteien, nicht wenige wünschten sich frischen Wind im Rathaus.
Mehr Bürgernähe sollte es geben, mehr Demokratie und die Entzerrung von Politik und Verwaltung. Wer hätte etwas dagegen haben können? Die Wähler waren aufgeschlossen und bescherten den Newcomern bei der Bürgerschaftswahl 1993 immerhin 5,6 Prozent. Doch der Polit-Frühling währte nur kurz. Vor 25 Jahren, im Sommer 1995, spaltete sich die Statt Partei nach einer unerfreulichen Schlammschlacht – eine Krise, von der sie sich nicht mehr erholen sollte.
Am Anfang stand ein politischer Paukenschlag
Begonnen hatte alles mit einem politischen Paukenschlag: In der Hamburger CDU war es über die Aufstellung der Kandidaten für die Bundestags- (1990) und Bürgerschaftswahl (1991) zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen. Eine Gruppe, zu der auch der Verleger Markus Wegner gehörte, warf vor allem dem damaligen Landesvorsitzenden Jürgen Echternach mangelnde Transparenz und Kungelei vor. Nach einer entsprechenden Klage Wegners stellte das Hamburgische Verfassungsgericht im Mai 1993 unter anderem Verstöße gegen das innerparteiliche Demokratiegebot fest. Die Bürgerschaftswahl von 1991 wurde für ungültig erklärt und Neuwahlen angeordnet.
Ende Juni 1993 initiierte Markus Wegner dann die Gründung der Wählerinitiative „Statt Partei – Die Unabhängigen“. Das Ergebnis der Wahl vom 19. September zeigte deutlich, wie verdrossen die Hamburger mittlerweile vom Einerlei des Politbetriebs geworden waren. SPD und CDU kassierten herbe Niederlagen, während Die Grünen (damals noch GAL) ihren Stimmenanteil fast verdoppeln konnten. „Hamburg wählt Protest“, titelte das Abendblatt am Folgetag. Die Statt Partei schaffte zwar den Sprung ins Parlament, aber der Jubel hielt nicht lange an. Schon damals behinderten interne Auseinandersetzungen die Arbeit und beschädigten die Außenwirkung der Bewegung.
Heftige Grabenkämpfe zermürbten Teile der Gruppierung
Bereits bei der ersten Mitgliederversammlung nach der Wahl, noch bevor die Gespräche mit der SPD über eine mögliche Regierungsbeteiligung überhaupt begonnen hatten, zermürbten heftige Grabenkämpfe Teile der Gruppierung, die damals noch keine Partei war. „Statt Partei: Statt Politik nur Quengelei“, ätzte die „taz“. Mit dieser Hypothek trat die Statt Partei schließlich in das Regierungsbündnis mit der ausgebufften SPD ein – statt von einer Koalition war dabei übrigens stets demonstrativ von einer Kooperation die Rede. Zwei parteilose Mitglieder des „rot-grauen“ Senats hatte sie vorgeschlagen: die Senatoren Klaus Hardraht (Justiz), auf den 1995 Wolfgang Hoffmann-Riem folgte, und Erhard Rittershaus (Wirtschaft).
Doch während diese äußerlich reibungslos und nicht ohne Erfolge im Politikbetrieb Tritt fassten, schwelten hinter den Kulissen von Fraktion und Landesverband die personalpolitischen Querelen immer weiter, und schließlich setzte sich eine nicht mehr zu stoppende Abwärtsspirale in Gang. Schon im November 1994 sprachen vier der sieben Abgeordneten bei einer Klausurtagung Fraktionschef Markus Wegner das Misstrauen aus, dem sie Selbstherrlichkeit und mangelnde Diskussionsbereitschaft vorwarfen. Im Juni 1995 traten er und sein Weggefährte Klaus Scheelhaase dann aus der Bürgerschaftsfraktion aus, die dadurch ihren Fraktionsstatus verlor und als „parlamentarische Gruppe“ weitermachte.
Der Gründer:
- Verleger Markus Wegner war nicht nur CDU-Mitglied und Gründer der Statt Partei, sondern versuchte sich nach dem Ausscheiden aus der Bürgerschaft noch einmal in einer Partei, nämlich der von Bernd Lucke gegründeten AfD. Diese verließ er Anfang 2015 nach 20 Monaten jedoch wieder, da er – so schrieb das Abendblatt damals – „diktatorische Merkmale“, „ausgesprochenen Führerkult“ und „ersichtlich antidemokratische Tendenzen“ erkannte. Wegner sprach in diesem Zusammenhang sogar von „innerparteilicher Übernahme neofaschistischer Macht“. Die AfD-Führung begrüßte Wegners Rückzug ausdrücklich.
Statt Partei hob sich in Nuancen von der SPD ab
Die Konflikte mit dem Landesvorstand hielten an, bis Wegner dann im August desselben Jahres endgültig das Handtuch warf: Ende des Monats erklärte er seinen Austritt aus der politischen Bewegung, die er selbst gegründet hatte, und kam damit einem Parteiausschlussverfahren zuvor. In einer auch im Abendblatt abgedruckten Erklärung schrieb Wegner unter anderem: „Die Statt Partei hat bis heute zu keiner eigenständigen Politik gefunden und ist im Unvermögen der Verwirklichung ihrer Reformbestrebungen stecken geblieben. Sie hebt sich, sofern man davon sprechen kann, nur noch in Nuancen von der SPD ab und stützt eine Kooperation mit ihr, ohne auch nur ansatzweise die Ziele ,weniger Staat‘ und ,Mehr Gerechtigkeit‘ durchzusetzen. Das reicht nicht nur mir und unseren Wählern nicht, sondern bietet keine Lösungen für die wirklichen Probleme dieser Stadt.“
Die Wähler interessierten sich eher wenig für die Befindlichkeiten innerhalb der Bewegung, der sie ihre Stimme gegeben hatten, und vieles von dem, was die Dauerkrise ausgelöst hatte und weiter befeuerte, war selbst für Insider kaum noch zu verstehen oder nachvollziehbar. Die Statt Partei, mittlerweile auch landesweit im Rennen, kam nicht mehr auf den grünen Zweig. Schon bei der nächsten Bürgerschaftswahl 1997 flog sie wieder aus dem Parlament, viele ehemalige Mitarbeiter und Wähler waren inzwischen zur Schill-Partei abgewandert.
Bevor sie sich im Jahr 2001 auflöste, hatte sie bei den Wahlen in Hamburg und Berlin nicht mal mehr ein Prozent der Wähler für sich gewinnen können – ein massiver Mitgliederschwund und finanzielle Ebbe waren die Folgen.
Im Jahr 2001 wurde die Partei schließlich aufgelöst
Der Niedergang der Partei ist ausführlich analysiert worden, ganze Bücher gibt es dazu. Wer ihr Scheitern nur dem Egoismus Einzelner und dem Kampf politischer Alphatiere zuschreibt, greift zu kurz. Wahr ist, dass die Statt Partei wohl nicht zuletzt an ihren eigenen Ansprüchen gescheitert ist. Aus ihrer Position heraus in Hamburg eine Verwaltungs- und Parlamentsreform anschieben zu wollen, muss man – milde formuliert – schon als sehr sportlich bezeichnen. Es war ja ehrenwert, dass viele ihrer Mitstreiter auf das verzichten wollten, was sie bei den etablierten Parteien auszumachen meinten – Seilschaften, Kadavergehorsam, Abhängigkeiten zum Beispiel. Es fehlte ihnen aber an Professionalität und dem nötigen Quäntchen Machtkalkül, um letztlich im komplexen Polit-Betrieb dauerhaft bestehen zu können.
Wahr ist auch, dass viele von denjenigen, die – den ursprünglichen Zielen der Bewegung entsprechend – eine ausgeprägte interne Diskussionskultur mit Transparenz für jede und jeden gehegt und gepflegt hatten, nur schwer für den Pragmatismus zu haben waren, der nun eben auch mal zur Politik gehört. „Kleine Parteien ziehen immer viele Weltverbesserer an“, sagt Jürgen Hunke, letzter Landesvorsitzender, heute auf Nachfrage dazu, „besser als der Mensch an sich.“ Als Folge sei die Satzung mit der Zeit immer dicker geworden, alleine die Festlegung einer Tagesordnung habe schließlich so lange gedauert wie eine ganze Sitzung. „So kann kein Mensch arbeiten“, sagt Hunke, „schließlich blieb nur noch die Auflösung.“
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