Corona-Krise

Lebensmut und Optimismus nach Hamburg zurückbringen

| Lesedauer: 12 Minuten
Für Gastronomin Yvonne Tschebull ist das Glas trotz Krise auf jeden Fall halb voll.

Für Gastronomin Yvonne Tschebull ist das Glas trotz Krise auf jeden Fall halb voll.

Foto: JetztErstRecht

Mit Unterstützung vieler Prominenter will die Initiative JetztErstRecht.Hamburg eine positive Stimmung in der Hansestadt verbreiten.

Hamburg. Auf nüchternen Magen kann man die Zahlen kaum vertragen. Mehr als eine Million Euro haben Alexander und Yvonne Tschebull im Zuge der Corona-Krise verloren. Die letzten Gäste vor der Schließung ihrer beiden Restaurants ­Rive und Tschebull waren zwei Brautpaare, die alleine ohne Gäste feiern mussten. Yvonne Tschebull hatte aus der erlaubten Entfernung noch Reis gestreut und dann die Stühle hochgestellt. Feierabend. Am 20. März war das, seitdem tickte die Minus-Uhr, jede Woche mehr als 100.000 Euro futsch. „Beängstigend“ sei die Stimmung in der komplett leeren Innenstadt gewesen, sie und ihr Mann wollten gar nicht mehr in ihr österreichisches Restaurant an der Mönckebergstraße gehen, um nach dem Rechten zu sehen, so sehr hat sie die Geister-Stimmung runtergezogen.

Doch jetzt sitzt Yvonne Tschebull an der Bar des Tschebull im Levantehaus und lacht. Geöffnet! Endlich darf die Gastronomin ihren Gästen wieder ein Stück Normalität zum Kalbsschnitzel servieren: „Es muss jetzt wieder vorwärts gehen. Wir wollen den Kopf aus dem Sand erheben und ein positives Lebensgefühl in dieser Stadt verbreiten.“

Hamburger Einrichtungen in der Corona-Krise unterstützen

Mit dieser Einstellung war die 51-Jährige genau die richtige Kandidatin für eine Social Media Kampagne, die in dieser Woche startet und aufzeigen möchte, was Hamburg so lebenswert macht. Im Grunde handelt es sich um ein Plädoyer für eine Zukunft ohne Sorgen. Kein kleines Ziel in Corona-Zeiten. Die Initiative JetztErstRecht.Hamburg will die Bewohner der Hansestadt motivieren, gezielt wieder rauszugehen und damit lokale Einzelhändler, Gastronomen, Künstler, Kultur- und Freizeiteinrichtungen sowie Sportstätten zu unterstützen.

Mit dabei sind viele bekannte Hamburger, unter anderen Kiezlegende Kalle Schwensen, Boxweltmeister im Weltergewicht Sebastian Formella, David Wohlgemuth, der Headcoach des Baseball-Teams Hamburg Stealers, und Marisa Benvenuto mit Ex-Bro‘Sis-Sänger Shaham sowie die Hamburger Influencergrößen Nele Wüstenberg und Philip Dumstrei. Die Videos mit den Prominenten stehen auf Social Media in den Startlöchern, um viral zu gehen. Jede Woche soll ein neuer Clip via Facebook, Insta­gram und Co. veröffentlicht werden.

Sängerin Julia Böttcher-Andresen schrieb Mutmacher-Hymne

Für die musikalische Kampagnenbegleitung sorgt die Hamburger Band Seemannstochter. In nur zwei Wochen schrieb Sängerin Julia Böttcher-Andresen eine Art Mutmacher-Hymne. „Alles auf Anfang, alles auf Neu, jetzt erst recht Hamburg, wir bleiben dir treu! Gemeinsam nach vorne, mit neuem Mut, gegen den Wind, nach Ebbe kommt Flut.“ So heißt es in dem Song. „Normalerweise braucht es Monate, bis ich ein Lied fertig produziert habe, aber besondere Zeiten erfordern besondere Flexibilität“, sagt die 39-Jährige, die in den letzten Wochen viel zu tun hatte. Sie gab fast 20 Konzerte vor Pflegeheimen in ganz Norddeutschland. „Die alten Menschen haben so wenig Zuspruch, die dürfen gar nichts mehr, und wenn sie dann ein bisschen zu meiner Musik singen oder tanzen, dann ist das etwas fürs Herz“, findet Julia Böttcher-Andresen.

Für die Auftritte nimmt sie kein Geld, im Gegenteil, es könnte sie sogar mehr als 1000 Euro kosten, wenn sie Pech hat. Als sie ein Konzert von ihrem Balkon aus gab, um Spenden für die Aktion „Save our Sounds“ des Hamburger Clubkombinats zu ersingen, versammelten sich auf der Straße zu viele Zuhörer. Die Polizei verhängte ein Bußgeld, der Widerspruch läuft. „Überraschend“ findet die Musikerin die hohe Strafsumme, immerhin sei es doch um Solidarität gegangen. Und so nebenbei kann die Hamburgerin die Strafe auch gar nicht begleichen, denn mit Shows in Clubs wird sie auf absehbare Zeit nichts verdienen, und auch die Kreuzfahrtschiffe, auf denen die Seemannstochter häufig auftritt, liegen wahrscheinlich noch länger im Hafen.

Prominente unterstützen die Initiative ohne jede Gage

Das klingt ein wenig deprimierend, aber genau wie Yvonne Tschebull hat Julia Böttcher-Andresen sich für den Optimismus entschieden. „Die Kampagne zielt darauf ab, sich nicht hängen zu lassen, wir wollen neue Kraft schaffen und den Zusammenhalt stärken“, sagt die Musikerin, die übrigens tatsächlich eine Seemannstochter ist. Ihr Vater fuhr 50 Jahre lang zur See. „Ich wuchs auf einem Containerschiff auf, dadurch ergeben sich bestimmte Sehnsüchte“, sagt Böttcher-Andresen, die sich zu Hause fühlt, sobald sie Schiffsteer und Diesel riecht.

Boxweltmeister Sebastian Formella fühlt sich normalerweise in seinem Gym wie daheim, doch sein Zuhause hat seit Wochen geschlossen. Nun trainiert der 32-Jährige auf Parkplätzen. Denn immer nur Gewichte heben auf der Dachterrasse in Heimfeld, das reicht nicht aus, wenn man einen Titel verteidigen will. Wer sich nur um seine Kraft kümmert, der verliert das Distanzgefühl. „Ich würde so gerne wieder in den Ring steigen“, sagt der Hamburger, der genau wie alle anderen Prominenten die Initiative Jetzt­ErstRecht.Hamburg ohne jede Gage unterstützt.

Formella ist in Kurzarbeit

Dabei sieht es auch beim ihm nicht rosig aus: Keine Kämpfe = keine Einnahmen. Formella würde alles auf sich nehmen, um wieder boxen zu dürfen. Genau wie die Fußballer könnten sich er und sein nächster Gegner zwei Wochen in Quarantäne begeben, um dann gegeneinander anzutreten. Für November haben er und sein Team jetzt schon mal auf gut Glück eine Halle reserviert. „Den Hexenkessel, die Spannung, die Stimmung – all das sehne ich herbei.“

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Die letzten Wochen waren für den Sportler hart, weil er am liebsten ständig unter Leuten ist. Er sei so ein „hyperaktiver Junge“, der gerade nicht nur in seinem Sport die Füße still halten muss, sondern auch bei der Arbeit. Formella arbeitet als Containerbrückenfahrer am Hafen. Er und seine Kollegen sind in Kurzarbeit, in der letzten Woche durfte er nur einen Tag lang arbeiten. Zu wenig. Es kommen halt keine Schiffe an im Hafen. „Dennoch bin ich mir sicher, dass bald alles wieder aufwärts geht.“

Geburtstagsständchen hinter dem Mundschutz

Eine Gastronomin, eine Sängerin, ein Boxer – wer hat diese Leute eigentlich zusammengewürfelt, um für einen Neustart nach dem Lockdown zu werben? Hinter der Initiative steht eine gemeinnützige Organisation, die von den drei Agenturen finest blogger, NinetyoneMedia und Xperients ohne öffentliche finanzielle Unterstützung ins Leben gerufen wurde. Initiatorin Franziska Ebertowski von finest blogger entwickelte gemeinsam mit ihrem Mann die Idee für das Projekt: „Wir wollten einen Startschuss geben für alle, die Hamburg lieben. So animieren wir unsere Hamburger, ihre geliebte Stadt wieder zu erleben, nach vorne zu schauen und positiv in die Zukunft zu gehen. Mit distanzierter Nähe, aber viel Willenskraft und Mut.“

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Nun ist es nicht so, dass sich Ebertowski gerade langweilt und sich deshalb für ein Charity-Ding erwärmte. Die Corona-Zeit ist für die Agenturinhaberin und Mutter von vier Kindern „ziemlich hart“, wie sie zugibt. Sie nimmt die größeren Kinder (9 und 12) morgens mit in die Agentur, ab mittags sind dann alle wieder mit den kleinen Zwillingen (4) zu Hause im Homeoffice. „Man braucht starke Nerven und eine große Portion Geduld, um in solch einer Krise einen kühlen Kopf zu behalten,“ sagt Franziska Ebertowski. Sie verdient null Cent für ihre Arbeit an der Mutmacher-Initiative, doch für alle Hamburger, die die Kampagne befürworten und Flagge zeigen wollen, gibt es immerhin einen Jetzt­Erst­Recht.Hamburg-Hoodie für 49,90 Euro. Vielleicht kommen so die Ausgaben für die Drehs wieder rein; ein Teil der Einnahmen wird an gemeinnützige Organisationen gespendet.

Die Wirtschaft muss wieder zum Laufen kommen

Ebertowski kann sich vorstellen, dass Hamburg vielleicht nie wieder so wird, wie es mal war. Muss es ihrer Ansicht aber auch gar nicht. „Nur die Hamburger Wirtschaft muss wieder zum Laufen kommen,“ sagt die Agenturchefin. Eine „alte Normalität“ sei nicht nötig, lediglich eine „gesunde Normalität“.

Normal war das Leben von Jenny und Marco Wick in den letzten zwei Jahren eher selten. Die beiden Barmbeker sind die bekanntesten deutschen TikToker. Zwei Millionen Follower. Wenn diese medialen Hochkaräter bei einer Social Media Kampagne mitmachen, dann kann sie nur ein Hit werden. Das Ehepaar dreht sonst viele Musikvideos draußen und gemeinsam mit anderen Musikern, doch in den letzten Wochen posteten sie fast nur noch Filmchen aus ihrer Wohnung. „Mit so viel Reichweite hat man eine Vorbildfunktion,“ sagt Marco Wick, und dieser Vorbildfunktion gelte es gerade in Coronazeiten gerecht zu werden. „Wir können nicht einfach draußen rumrennen, da gehen halt mal ein paar Aufträge verloren“, sagt seine Frau.

Die 30-Jährige tanzte schon mit 14 als Cheerleaderin, der zwei Jahre ältere Marco reiste als Profitänzer durch Europa – doch vor dem großen Erfolg hat er eine Krise erlebt. 2009 konnte er als Auszubildender nicht übernommen werden, niemand stellte mehr Elektroniker wie ihn ein. 400 Bewerbungen schrieb Marco Wick, bis er endlich einen Job bekam. „Es gibt Tiefs im Leben, ja, aber danach geht’s wieder aufwärts“, sagt der TikToker. „Wir haben Glück, in einem Staat zu leben, in dem man unterstützt wird.“

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Die Senkung der Mehrwertsteuer sei ein Anfang, erklärt Yvonne Tschebull, und auch die 25.000 Euro seitens der Stadt Hamburg hätten gutgetan. Ansonsten hilft auf Dauer nur: reichlich Kundschaft. Damit die Gäste sich sicher fühlen, unternimmt die Restaurantbesitzerin nahezu alles, um die perfekten Hygienebedingungen herzustellen. Das Salz wird für jeden Gast einzeln abgefüllt, Brot kommt nicht mehr im Korb, sondern in der abwaschbaren Porzellanschale an den Tisch, der Gast hängt seinen Mantel selbst auf und behält die Flasche Wein bei sich. Ein Drittel der Plätze wurde gestrichen, um für größere Abstände zu sorgen.

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Eine brennende Torte wird hereingetragen. Fast wie auf dem Traumschiff, herrlich, ein Gefühl von heiler Welt. Ein Gast feiert seinen Geburtstag im Restaurant. Darf man jetzt mitsingen? Oder landen dann zu viele Aerosole in der Luft? Die Mitarbeiter des Tschebull stimmen vorsichtig „Happy Birthday“ hinter ihrem Mundschutz an. Das ist komisch, aber alternativlos. „Denn eins ist mal klar“, sagt Yvonne Tschebull und spricht für ihre Branche. „Wenn wir das jetzt vergeigen, dann war‘s das!“

Webseite der Initiative www.jetzterstrecht.hamburg

Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde

  • Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
  • Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
  • Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
  • Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
  • Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden

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