Hamburg. Wer keinen Partner hat und alleine lebt, den trifft das Kontaktverbot besonders hart. Viele Singles fühlen sich nicht nur alleine, sondern einsam. Doch auch in einer Beziehung kann es in dieser Extremsituation mehr Streit geben als sonst. Kein Wunder, dass der Hamburger Single-Coach und Paartherapeut Eric Hegmann gerade besonders viel zu tun hat. Der Experte, der auch mit der Partneragentur Parship zusammenarbeitet, bietet derzeit Beratung via Skype sowie individuell abrufbare OnlineKurse über die von ihm gegründete Modern Love School an. Im Interview erklärt Hegmann, was Singles in Zeiten von Corona tun können, wie sich das Flirtverhalten ändert, welche Datingregeln jetzt gelten und was er Paaren rät.
Hamburger Abendblatt: Herr Hegmann, steigt bei Singles in einer Situation wie dieser die Sehnsucht nach einem Partner?
Eric Hegmann: Ganz gewiss. Denn was macht eine Beziehung aus? Dass man Antworten erhält auf die Fragen: Bin ich wichtig für dich? Nimmst du mich wahr? Kann ich mich an dich mit meinen Sorgen wenden? Diese Fragen sind in Krisen immer präsent. Menschen sind als soziale Wesen auf Bindung und Kontakt angewiesen, und in der Isolation erleben viele Singles dies sicher als sehr schmerzhaft. In einer repräsentativen Studie von Parship zeigten sich Singles besorgt. Etwa jeder dritte Single befürchtet, dass durch diese Maßnahmen sehr einsame Wochen auf ihn zukommen werden. Vor allem die junge Generation hat Angst vor dem Alleinsein. Und insbesondere im Norden des Landes ist die Furcht vor Einsamkeit groß: Jeder zweite Norddeutsche blickt ängstlich auf die nächsten Wochen.
Melden sich mehr Menschen bei Datingportalen an, um zumindest online flirten zu können?
Hegmann: Es lässt sich zumindest bei Parship oder ElitePartner beobachten, dass die Kommunikation und Aktivität deutlich zugenommen haben. Jetzt ist die Zeit, wieder mehr zu telefonieren, häufiger Videogespräche zu führen und ausführlich zu chatten.
Verändert sich der Kontakt auf den Dating-portalen, sind die Nachrichten ausführlicher, werden mehr Bilder oder Videos geschickt?
Hegmann: Mein Eindruck ist, dass die Gespräche tiefgründiger werden. Smalltalk hilft nicht gegen Einsamkeit. Singles sprechen früher in der Kennenlernphase über ihre Gefühle, weil sie ihre Sorgen und Ängste thematisieren. Das schafft sofort eine stärkere Verbindung. Auch habe ich den Eindruck, dass weniger gechattet wird mit vielen Kontakten, sondern mehr telefoniert wird mit weniger Kontakten.
Gibt es für eine solche Ausnahmesituation wie jetzt bestimmte Datingregeln?
Hegmann: Es gilt, was schon immer für den Umgang galt. Kontakte sollten Verbindlichkeit zeigen und verlässlich sein. Also zum ausgemachten Zeitpunkt erreichbar sein und so weiter. Vor allem aber: An die Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes müssen sich Singles ebenso wie an die Regeln der Bundesregierung unbedingt halten und sich auch nicht hinreißen lassen, aus einem Moment der Einsamkeit heraus Vorsichtsmaßnahmen außer Acht zu lassen. Einem Kontakt, der drängt, sollte man nicht nachgeben, ebenso wenig sollte man selbst jemanden drängen.
Das strenge Kontaktverbot gilt erst wenige Wochen – wie lang kann ein Mensch, der alleine lebt, so etwas aushalten?
Hegmann: Das wird sich zeigen. Aber wir werden die Folgen dieser Erfahrung noch lange spüren in unserem Umgang miteinander. Ich kann Singles nur empfehlen, ihre sozialen Kontakte zu nutzen und zu vertiefen, allerdings scheinen die meisten dies auch zu tun und das teilweise sehr kreativ. Viel Inspiration geben hier auch Paare in Fernbeziehungen. Da geht man gemeinsam in ein Online-Konzert, indem man währenddessen FaceTime nutzt. Oder mit Freunden gleichzeitig kocht. Statt ein Abend mit den Freundinnen in der Bar gibt es jetzt einen Online-Hangout. Gerade solche Rituale beizubehalten und neu zu erfinden, erscheint mir sehr wichtig.

Sie unterstützen ja nicht nur Singles, sondern beraten außerdem Paare: Haben Sie auch hier gerade deutlich mehr zu tun?
Hegmann: Ja. Paartherapie ist zwar im Moment nur per Skype möglich, aber die Anfragen häufen sich. Die Paare, die bereits eine starke und sichere Bindung hatten, werden voraussichtlich aus dieser Krise sogar gestärkt hervorgehen. Das Überwinden von Krisen schafft gemeinsame Werte, auf die man später zusammen zurückblicken kann.
Welche sind derzeit die häufigsten Streitthemen in Beziehungen?
Hegmann: Der Partner nervt, der Partner hängt nur am Telefon mit anderen oder ist nur an der Spielekonsole, die Beschulung der Kinder überfordert. Wenn man tiefer blickt, geht es fast immer um die Frage: Ist mein Partner für mich emotional erreichbar oder schließt er mich aus? Denn alleingelassen zu sein jetzt mit seinen Sorgen, das ist besonders schmerzhaft, wenn der Partner neben einem sitzt. Tatsächlich wünschen sich ja fast alle Paare mehr Nähe und mehr Zeit miteinander, wenn man sie fragt. Jetzt jedoch auf engem Raum werden unterschiedliche Bedürfnisse, die ja ganz normal sind, rasch zum Konflikt.
Der in der jetzigen Zeit noch schneller zum großen Streit führt?
Hegmann: Auf Angriff kennen Menschen drei spontane Reaktionen: Gegenangriff, Starre und Flucht. Da Flucht nicht möglich ist und Starre dazu führt, dass der Partner erst recht fordert und näherrückt, dass Konflikte nun rasch eskalieren. Letztlich ist der Stress ein Zeichen von Hilflosigkeit, weniger von neuen Problemen, die plötzlich aufgekommen wären. Die Toleranzschwelle ist niedriger, der Leidensdruck größer, und die Angst von außen kommt nun noch dazu, und das ist eine explosive Mischung, denn Angst lässt eben niemanden vernünftig und besonnen handeln.
Was raten Sie Paaren, wie sie durch diese Zeit kommen können?
Hegmann: Genau diese Hilflosigkeit benennen und teilen, um zu verstehen, warum der Partner möglicherweise aggressiv reagiert und um einen Konflikt deeskalieren zu können. Die Angst, die heute jeden umtreibt, die sollten Paare nun teilen und nicht mit sich alleine ausmachen.
Und was, wenn der Partner mich nervt, weil ich gerade nicht genug Zeit für mich alleine haben kann?
Hegmann: Dann müssen Sie mit Ihrem Partner Ihre Freiräume verhandeln. Dabei sollten Sie ihm aber weiterhin genug Sicherheit geben, dass Sie für ihn erreichbar sind, denn sonst leidet er unter Angst vor Verlust der Bindung zu Ihnen, was mit Sicherheit zu Konflikten führen wird.
Was glauben Sie, haben wir im kommenden Frühjahr deutlich mehr getrennte und geschiedene Paare oder viele Corona-Babys?
Hegmann: Jeder Vierte fürchtet laut der eingangs genannten Umfrage eine Trennung, bei den 19- bis 29-Jährigen sogar jeder Dritte. Doch mehr als jeder Zweite in einer Beziehung Lebende sieht in dieser Ausnahmesituation keine Herausforderung für die eigene Partnerschaft. Ich hoffe also das Beste, ich bin Optimist.
Informationen zum Coronavirus:
- Die Stadt Hamburg informiert die Bürger auch online über das Coronavirus. Zusätzlich gibt es eine Hotline: 040 42828-4000
- Das Robert-Koch-Institut beantwortet häufig gestellte Fragen zu SARS-CoV-2
- Auch das Bundesgesundheitsministerium hat eine eigene Informationsseite zum Virus eingerichtet
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