Kiel. Berechtigte Hoffnungen oder leichtfertige Träumereien? Eine Rückkehr zur Normalität ist in der Corona-Krise noch Zukunftsmusik. Aber die Debatte über Lockerungen läuft auch im Norden - das gefällt nicht allen. Ein Problem unter Nachbarn scheint kurz vor Ostern gelöst.

Mögliche Lockerungen der strengen Vorschriften in der Corona-Krise rücken in Schleswig-Holstein zunehmend in den Fokus. Unterdessen verständigte sich Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) mit Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) kurz vor Ostern über das Vorgehen der Polizei. Aus Hamburg hatte es harsche Kritik an Kontrollen und Zurückweisungen von Fußgängern und Radfahrern direkt an der Stadtgrenze gegeben. "Es mag am Wochenende Einzelfälle gegeben haben", wo Radfahrer und Fußgänger aus Hamburg zurückgewiesen wurden, die versehentlich die Landesgrenze übertreten haben, sagte Günther am Dienstag in einem Online-Talk des "Flensburger Tageblatts". Dies sei nun geklärt. "Das werden wir in der Form nicht generell unterbinden."

Mit einem Facebook-Post stellte sich Günther demonstrativ vor alle Polizisten. Sie machten einen großartigen Job, schrieb er. "Sie setzen die von der Politik erlassenen Regelungen um und bewahren dabei Augenmaß." Günther nahm am Dienstag an der Lagekonferenz der Landespolizei teil. Die Küstenorte und auch die Naherholungsgebiete rund um Hamburg müssten geschützt werden. "Deshalb werden wir auch jetzt an Ostern die Kontrollen so durchführen wie am vergangenen Wochenende - mit nötigem Abstand zu den Landesgrenzen aber bestimmt in der Sache." Radfahrer und Fußgänger seien kein Schwerpunkt, aber besonders Gruppenausflüge würden unterbunden.

Unterdessen stieg die Zahl der in Schleswig-Holstein gemeldeten Infektionen mit dem neuen Coronavirus auf 1735. Das waren bis Montagabend 57 Fälle mehr als nach der Meldung vom Vortag. Die Zahl der Todesfälle erhöhte sich zur letzten offiziellen Meldung von 20 auf 24. Im Land wurden seit Beginn der Krise rund 46 000 Labortests auf das Virus vorgenommen. Dies ergab eine Hochrechnung des Gesundheitsministeriums. Derzeit werden demnach im Land täglich etwa 2300 Labortests auf das Virus Sars-CoV-2 gemacht.

Günther bekundete die Hoffnung auf eine schrittweise Lockerung der Auflagen nach Ostern. "Wir beginnen also demnächst eine Phase, wo wir aller Voraussicht nach gewisse gesellschaftliche Dinge wieder ermöglichen", sagte er der Wochenzeitung "Die Zeit". "Die Schließung etwa von Restaurants und Cafés war auch deshalb nötig, weil der Abstand nicht eingehalten wurde - anfangs war auch nicht das Bewusstsein für die notwendigen Verhaltensregeln vorhanden. Das ist jetzt anders. Da, wo es räumlich möglich ist, den Abstand zu wahren, kann man Regelungen auch wieder lockern."

Am Dienstag nach Ostern wollen die Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Angela Merkel darüber beraten. "In Schleswig-Holstein wird kurz danach schon Abitur geschrieben", sagte Günther. "Wir müssen den Menschen eine klare Perspektive aufzeigen."

Ganz andere Akzente setzte der Vorsitzende der CDU-Landesgruppe im Bundestag, Johann Wadephul. Er verlangte ein sofortiges Ende der Exit-Debatte in Schleswig-Holstein. "Wer vorzeitig den Ausstieg aus den harten Regulierungen fordert, gefährdet Menschenleben und verantwortet am Ende eine Verlängerung der Krise", sagte er. Zuvor hatten die SPD-Landesvorsitzende Serpil Midyatli und Landtagsfraktionschef Ralf Stegner für eine Exit-Debatte plädiert.

Der Anstieg der Neuinfektionen habe sich in Deutschland verlangsamt, aber die Kurve zeige weiter nach oben, sagte Wadephul. "Wenn in China zweieinhalb Monate restriktive Maßnahmen getroffen wurden und sich erste Erfolge zeigen, kann man hier nicht schon nach drei Wochen aussteigen wollen."

SPD-Landeschefin Midyatli forderte eine Ausstiegsdiskussion mit einem Expertenrat. Stegner befürwortete auf Facebook eine Debatte über eine verantwortbare Exitstrategie. Alten- und Pflegeheime sowie Kliniken müssten noch lange streng geschützt werden. Auch bei Kitas, Schulen, Hochschulen, Hotels, Gastronomie, Einzelhandel, Dienstleistungen, Freizeit und Sport werde es nicht von 0 auf 100 gehen können. "Aber mit differenzierten Abstands- und Schutzregeln werden all diese und andere Bereiche absehbar wieder allmählich hochgefahren werden, wenn die Osterpause oder vielleicht der Maifeiertag vorbei sind."

Ziel der Kontrollen sei es, Touristenströme an Nord- und Ostsee zu unterbinden, um das Virus zu stoppen, sagte Günther. Polizisten hatten am Wochenende viele Ausflügler aus Hamburg heimgeschickt. Wegen der Pandemie dürfen keine Touristen ins Land einreisen.

"Autos, Motorräder - die dürfen im Moment nicht nach Schleswig-Holstein fahren", sagte Günther. Dies werde auch Ostern kontrolliert. Es dürften auch nicht Clubs mit 30 Radfahrern kommen. "Das ist sogar in Hamburg verboten." Es gebe in Sachen Kontrollen ein gut abgestimmtes Miteinander. "Das Verhältnis zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein ist dadurch überhaupt nicht getrübt."

Tschentscher sagte nach einem Telefonat, er sei mit Günther einig, keine Menschen zu überprüfen, die nahe am Wohnort an der Landesgrenze unterwegs sind. FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki kritisierte die Abweisung von Fußgängern und Radfahrern im "Hamburger Abendblatt" als übertrieben und rechtswidrig. "Einzelne Jogger, Spaziergänger und Radfahrer kann man nicht ernsthaft als Touristen bezeichnen und sie stellen ja auch kein Problem dar", meinte der Kieler FDP-Fraktionschef Christopher Vogt.

Laut Innenministerium ist für Zugewanderte und Flüchtlinge der Zugang zu Ernte-Arbeiten in der Landwirtschaft ab sofort einfacher. Das Ministerium und die Arbeitsagentur hätten die Verfahren beschleunigt.