Pflegeheime

Coronavirus: Wie schützen wir die alten Menschen?

| Lesedauer: 7 Minuten
Peter Wenig
Masken bieten auch in der ambulanten Pflege einen wichtigen Schutz für Pflegebedürftige und Pflegekräfte.

Masken bieten auch in der ambulanten Pflege einen wichtigen Schutz für Pflegebedürftige und Pflegekräfte.

Foto: Christian Charisius / dpa

Todesfälle in Heimen sorgen für Entsetzen. Die Diakonie nennt den Mangel an Schutzkleidung für Pflegekräfte „dramatisch“.

Hamburg. Die Bilder mit Bestattern, die Särge mit verstorbenen Bewohnern aus Pflegeheimen in Wolfsburg und Würzburg trugen, sorgten in den vergangenen Tagen für Trauer und Entsetzen.

Nun sind auch in einem Heim in Tornesch zwei Bewohnerinnen an den Folgen einer Coronavirusinfektion gestorben. Acht weitere Bewohner wurden positiv auf den Erreger getestet – zwei von ihnen befinden sich im Krankenhaus. Das Gesundheitsamt befürchtet weitere Fälle.

Einmal mehr stellt sich die Frage: Wie können wir ältere Menschen schützen? In Hamburg leben derzeit rund 450.000 Menschen im Alter von mehr als 60 Jahren. 40.000 von ihnen sind pflegebedürftig. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was ändert sich durch die neue Allgemeinverfügung des Senats für die Heimbewohner?

Ab sofort herrscht ein generelles Besuchsverbot. Ausgenommen sind nur noch Fälle, in denen Sterbende begleitet werden, sowie dringend benötigte Besuche von rechtlichen Betreuern. In großen Pflegeheimen wie den Einrichtungen von Pflegen & Wohnen (2700 stationäre Plätze) sowie dem Hospital zum Heiligen Geist in Poppenbüttel (700 Plätze) gilt dieses Verbot allerdings schon länger.

Dort ist man froh, dass es nun eine einheitliche Linie gibt. „Dieses Verbot war überfällig, um Bewohner und Pflegekräfte zu schützen“, sagt Martin Sielaff, Geschäftsführer der Hamburgischen Pflegegesellschaft.

Wie wirkt sich das Verbot auf die Bewohner und die Pflegekräfte aus?

„Uns ist bewusst, was wir den pflegebedürftigen Menschen und ihren Angehörigen damit zumuten. Die Einschränkung des persönlichen Kontakts zu den engsten Angehörigen bedeutet einen tief greifenden und schmerzhaften Eingriff“, sagt Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD).

Besonders Bewohner, die an einer Demenz erkrankt sind, leiden unter dem Besuchsverbot. „Oft verstehen sie nicht, warum sie ihre Angehörigen nicht mehr sehen dürfen“, sagt Sielaff, was wiederum die Pflegekräfte sehr belastet.

Die neue Allgemeinverfügung des Senats sorgt noch in einem weiteren Punkt für Mehrarbeit: Bei jedem Bewohner muss einmal täglich Fieber gemessen werden. Hustensymptome und Heiserkeit sind zu dokumentieren.

Was ist das derzeit größte Problem in der Pflege?

Ganz klar der Mangel an Schutzkleidung, insbesondere an Masken. „Diese Auswirkungen sind in der Tat dramatisch“, schreibt das Diakonische Werk auf Abendblatt-Anfrage. Dies gelte für Heime wie für ambulante Dienste: „Aufgrund dessen, dass weder Desinfektionsmaterial noch Schutzkleidung in ausreichenden Mengen vorhanden sind und/ oder nachgeliefert werden können, droht in sehr kurzer Zeit in jedem Fall die Gefahr einer Unterversorgung bereits im normalen Leistungsgeschehen.“

Weiter heißt es in der Stellungnahme: „Auch ohne die Versorgung von Covid-19-Infizierten, die ausschließlich mit entsprechenden Schutzmaßnahmen erfolgen darf, kann die regelhafte – insbesondere behandlungspflegerische – Versorgung kaum noch aufrechterhalten werden.“ Auch für Prüfer-Storcks steht dieses Problem „ganz oben“ auf der Prioritätenliste.

Am Montag habe man 50.000 FFP2-Masken an die Hamburgische Pflegegesellschaft übergeben, die diese an die Pflegeeinrichtungen weiterverteilen werde. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe kritisiert, dass „der Schwerpunkt des Nachschubs für Schutzausrüstung offenbar bisher bei den Krankenhäusern und Arztpraxen lag“. In der ambulanten und stationären Langzeitpflege lasse man „die Pflegenden allein und ohne ausreichende Schutzausstattung“.

Sind ambulante Pflegedienste durch Corona überlaufen?

Nein. Das Diakonische Werk erkennt im Gegenteil eine Tendenz, dass vereinbarte Leistungen der ambulanten Pflege abgesagt werden: „Begründet wird dies durch eine allgemeine Angst vor einer möglichen Infektion – obwohl keine Anzeichen eines Verdachtsfalles seitens der Pflegedienste vorliegen. Da es sich jedoch in der Versorgung häufig um ältere, pflegebedürftige Menschen mit Vorerkrankungen handelt, ist diese Angst und das entsprechende Verhalten natürlich nachvollziehbar.“

Wie ist die Situation in der sogenannten 24-Stunden-Betreuung?

Experten schätzen, dass etwa 300.000 alte und kranke Menschen in Deutschland durch Betreuungskräfte aus Osteuropa versorgt werden. Genaue Zahlen gibt es nicht, da der Anteil der Schwarzarbeit in dieser Branche sehr hoch ist. Der Verband für häusliche Betreuung und Pflege, in dem sich Agenturen organisiert haben, die Betreuungskräfte legal beschäftigen, befürchtet, dass diese Versorgung­ zusammenbricht.

Viele Kräfte würden aus Angst vor einer Ansteckung oder aus Sorge um ihre Familie zu Hause bleiben oder vorzeitig abreisen: „Wir müssen damit rechnen, dass nach Ostern 100.000 bis 200.000 Menschen schrittweise nicht mehr versorgt sind, dass sie alleine zu Hause bleiben und dann in Altenheimen oder Kliniken versorgt werden müssen. Zusätzlich zu denjenigen, die dort jetzt schon gepflegt werden.“

Informationen zum Coronavirus:

Daniel Pochhammer, Geschäftsführer der Agentur Pflegehelden, sieht allerdings noch keine unmittelbare Gefahr für den Norden: „Die Lage ist angespannt, aber wir kommen nach jetzigem Stand mit einem ,blauen Auge‘ davon. Unklar ist die Situation nur bei etwa vier Prozent unserer rund 300 Pflegebedürftigen in Schleswig-Holstein und Hamburg.

Aber auch dort arbeiten wir mit Hochdruck daran, dass die zugesagte Betreuungskraft in den nächsten sieben Tagen anreisen wird.“ „Richtigerweise“ habe die Politik dafür gesorgt, „dass unsere Betreuungskräfte im Gegensatz zu Erntehelfern weiter nach Deutschland einreisen können. Sie kommen nun in Kleinbussen mit ausreichend freien Sitzplätzen.“

Wie sehr werden Angehörige belastet, die ein Familienmitglied pflegen?

Pflegende Angehörige, die durch die Überbelastung oft selbst erkranken, werden durch Corona noch stärker beansprucht, zumal in Hamburg alle Tagespflege-Einrichtungen wegen Corona schließen mussten. Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, fordert, dass die Coranaregelungen für Kurzarbeit auf berufstätige pflegende Angehörigen ausgedehnt werden: „Dann könnten Berufstätige zeitweise aus dem Job aussteigen, wären abgesichert und müssten sich keine Sorgen um ihr Auskommen machen.“

Das Problem: Angehörige können Pflegebedürftige anstecken. „Ältere Menschen sollen ihre sozialen Kontakte auf das Nötigste reduzieren“, mahnt Prüfer-Storcks, die sich der damit verbundenen Probleme bewusst ist: „Das bringt natürlich eine schwierige Situation mit sich. Wer erledigt die Einkäufe, wer begleitet zum Arzt?“ Hilfsangebote werden unter dem Motto „Hamburg hilft Senioren“ koordiniert. Das Coronahilfetelefon ist unter 040/428 28 80 00 erreichbar. Außerdem wird eine neue Kampagne plakatiert. Motto: „Oma und Opa sind mit Abstand die Besten“.

Was macht Hoffnung in der Coronakrise?

Vor allem der unverändert hohe Motivationsgrad der Pflegekräfte. „Die Teams sind noch stärker zusammengewachsen“, berichtet Frank Schubert, Vorstand im Hospital zum Heiligen Geist. Die Stiftung hat jetzt Tablet-Computer angeschafft, damit Bewohner – auf Wunsch angeleitet – ein Video-Telefonat führen können. Bewohner, die sich eigenständig in den Service-Wohnbereichen versorgen, singen regelmäßig auf ihre Balkonen für die Pflegekräfte. Und jüngst traf ein anonymes Päckchen ein. Inhalt: gespendete Desinfektionsmittel.

Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Hamburg