Hamburg. Zehn Jahre Krise haben in der deutschen Schifffahrt schwere Verwerfungen angerichtet. Doch so langsam fängt sich die Branche und schaut wieder nach vorn. Die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus bringt neue Unsicherheiten.

Die deutsche Handelsflotte ist im vergangenen Jahr weiter zurückgefallen und hat ihre sei Jahrzehnten führende Position im Containerverkehr an China verloren. "Dass China uns hier überholen würde, war abzusehen", sagte Alfred Hartmann, Präsident des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), am Mittwoch in Hamburg. Das sei zum einen eine Spätfolge der langen Krise nach 2009, zum anderen sei China heute die größte Handelsnation und setze auf sehr große Schiffe.

Die deutsche Handelsflotte hat in den vergangenen Jahren rund ein Drittel weniger Schiffe und ist damit wieder auf dem Stand von 2008. Allerdings sind die Schiffe im Durchschnitt größer als damals, so dass die Tonnage deutlich höher ist. Auch der seewärtige Handel hat weltweit seit 2008 um mehr als ein Drittel auf elf Milliarden Tonnen zugelegt. Ende 2019 umfasste die Handelsflotte 2140 Schiffe mit 52,8 Millionen BRZ, das sind 184 Schiffe oder 4,7 Millionen BRZ weniger als im Jahr zuvor. Insgesamt kontrollieren deutsche Reeder 4,9 Prozent der Schifffahrt und liegen damit auf Rang fünf.

Die Ausbreitung des neuen Coronavirus Sars-CoV-2 bringt die Lieferketten durcheinander und bremst die internationale Schifffahrt. Die genauen Auswirkungen seien noch offen und würden teilweise durch die ohnehin üblichen Ferien zum chinesischen Neujahrsfest überdeckt, hieß es beim Verband. Die Charterraten für Massengutschiffe seien teilweise um 30 bis 40 Prozent oder noch mehr zurückgegangen, je nach Schiff, Ladung und Fahrtgebiet. Das liege an verminderten Rohstoff-Importen durch China: Da die Fabriken zeitweise kaum produzierten, benötigten sie auch weniger Rohstoffe.

Zudem stocke die Be- und Entladung von Containerschiffen, weil es in den großen Häfen auch im Süden des Landes an Kran- und Lkw-Fahrern sowie an Hafenarbeitern fehle. Das führe zu längeren Liegezeiten. Auch Kühlcontainer werden knapp, weil China viele gekühlte Lebensmittel importiert und die Container gegenwärtig schleppend entladen werden. Sie verstopfen den Lagerraum auf chinesischen Terminals; Steckdosen für die Kühlcontainer werden knapp und zum Teil müssen sie in andere Häfen umdirigiert werden.

Auf mittlere Sicht könnten die Störungen in der Logistik zu Versorgungsengpässen in Europa führen, etwa bei Arzneimitteln. Von den großen europäischen Reedereien und den Häfen sind bislang keine konkreten Aussagen zu erhalten, wie sich die Maßnahmen in China auf ihre Transport- und Umschlagleistungen auswirken werden. Dazu seien noch nicht genug Informationen verfügbar.

Die Umstellung der Schifffahrt auf neuen schwefelarmen Treibstoff mit 0,5 Prozent Schwefel zum Jahresbeginn ist nicht reibungslos verlaufen. Zum Teil sei der Treibstoff nicht überall verfügbar gewesen, zum Teil habe er sich nicht mischen lassen mit bereits zuvor in anderen Häfen gebunkerten Treibstoffen. "Die Reedereien messen viel nach, was sie eigentlich tanken", sagte Hartmann. So langsam normalisiere sich aber der Markt. Für die Zukunft setze die Schifffahrt auf klimaneutrale flüssige Treibstoffe, die jedoch erst noch entwickelt werden müssen. Die Branche will dafür weltweit in den kommenden zehn Jahren fünf Milliarden Dollar bereitstellen.

Durch die Krisenjahre wurde auch die Zahl der Reedereien dezimiert; mittlerweile sind es noch 316 Betriebe in den fünf Küstenländern. Davon haben 80 Prozent weniger als zehn Schiffe. "Die meisten Betriebe schauen wieder verhalten optimistisch in die Zukunft", sagte Hartmann. Die Erlössituation sei jedoch höchst unterschiedlich, je nach Branchenzweig und Fahrtgebiet und teilweise sogar tagesaktuell nach Ereignissen. Den meisten Unternehmen fehlten die Mittel für Investitionen in neue Schiffe und die Banken hätten sich aus der Schiffsfinanzierung weitgehend zurückgezogen. Es werde noch einige Zeit dauern, bis wieder an wachsende Firmenflotten zu denken sei.