Hamburg. Ein verletzter Mann hat sich am Dienstag mit letzter Kraft in das Landgericht am Sievekingplatz geschleppt: Der Unbekannte hatte nach ersten Erkenntnissen der Polizei eine Verletzung durch einen Messerstich im Oberkörper erlitten. Im Gebäude sei er dann zusammengebrochen. Der Verletzte wurde in eine Klinik gebracht.
Die Polizei leitete sofort eine umfangreiche Fahndung nach dem vermeintlichen Täter ein. Mit zahlreichen Streifenwagen und einem Hubschrauber suchten die Beamten den Verdächtigen im gesamten Innnenstadtbereich.
Polizei sicher: Anwalt stach sich selbst nieder
Doch nach kurzer Ermittlung vor Ort war sich die Polizei schnell sicher: Das Opfer – der Rechtsanwalt Peter D. – brachte sich die Verletzungen selbst bei. Der Mann ist derzeit Prozessbeteiligter.
Am Morgen um 9.30 Uhr war der Termin für das Berufungsverfahren angesetzt. Der angeklagte Peter D., selber Anwalt, soll Mandantengelder veruntreut haben. Er war Anfang 2018 nicht rechtskräftig verurteilt worden und hatte Berufung eingelegt. Zudem wurde ihm ein Berufsverbot erteilt. In der Vergangenheit hatte der Mann häufiger Gerichtstermine in der Sache versäumt, und immer Krankheitsgründe für sein Fehlen angegeben, sagte der Sprecher des Oberlandesgerichts, Kai Wantzen.
Wegen dieser Vorkommnisse war am Morgen bereits ein Arzt mit im Gerichtssaal anwesend. Dieser Mediziner wurde zu dem Verletzten im Flur des Gerichts gerufen und erkannte den Mann – es war der Angeklagte. Nach der Erstversorgung kam der Anwalt in die Klinik. Er wurde auch in der Rechtsmedizin des UKE untersucht, um festzustellen, wie die Verletzungen entstanden sind.
Angeklagter Peter D. soll Erbschaften veruntreut haben
Für Peter D. stand in der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht viel auf dem Spiel. Nicht nur, dass das Schöffengericht ihn im Januar diesen Jahres zu drei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe wegen Untreue verurteilt hatte. Zusätzlich hatte das Gericht eine fünfjähriges Berufsverbot gegen ihn verhängt. Beide Entscheidungen hatte der 55-Jährige jetzt in der Berufungsverhandlung anfechten wollen.
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In dem Prozess damals ging es um viel Geld. Das Amtsgericht hatte es als erwiesen angesehen, dass Peter D. als Anwalt Erbschaften veruntreut habe. Im einen Fall war es der Verein SOS-Kinderdorf, dem eine Dame 232.000 Euro hatte vermachen wollen. In einem anderen Fall hatte ein Mann sein Pflichtteil von gut 270.000 Euro aus einem Erbe bekommen sollen. Doch die mehr als 503.000 Euro, die Anwalt Peter D. an seine Mandanten hätte weiterleiten müssen, hat der 55-Jährige, davon war das Gericht überzeugt, für sich behalten. Man könne nur spekulieren, sagte der Richter damals in der Urteilsbegründung, warum der Anwalt so viel Geld gebraucht habe, „dass eine halbe Million Euro versickert ist“.
Peter D. hatte versucht, dem Verfahren zu entgehen
Zeugen hatten geschildert, dass sie Peter D. mit Erbangelegenheiten beauftragt hatten. Als es darum ging, dass sie die ihnen zustehenden Summen ausgezahlt bekommen wollten, habe der Anwalt sie immer wieder hingehalten. Bis heute hätten sie ihr Geld nicht bekommen.
Zu den Vorwürfen hatte Peter D. sich an keinem der drei Verhandlungstage geäußert. Vielmehr hatte er versucht, wegen angeblicher Krankheit dem Verfahren zu entgehen. Einmal war er bühnenreif vom Stuhl gerutscht, ein anderes Mal hatte er sich einer Amtsarzt-Untersuchung entziehen wollen, indem er sich in seiner Wohnung verbarrikadierte und unter einem Tisch verkroch. Erstaunlich war dabei, dass er parallel zu diesem Prozess in einem anderen Verfahren als Verteidiger auftrat – und dort vor dem Schwurgericht jeweils kurz vor und kurz nach seiner vorgeblichen Verhandlungsunfähigkeit putzmunter im Gerichtssaal saß.
Bahnen fuhren nicht
Wegen des Polizeieinsatzes auf der Suche nach dem vermeintlichen Täter war auch der Bahn- und Busverkehr in der City behindert. Die U-Bahnen fuhren Stationen rund um das Gericht nicht mehr an. Auch der Fernverkehr im Dammtorbahnhof wurde gestoppt. Gegen 11 Uhr war die Sperrung aber wieder aufgehoben worden.
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