Hamburg. Er gilt als doppelter Mahner: Einerseits warnt auch der Hamburger Klimaforscher Prof. Hans von Storch vor den Folgen der Erderwärmung. Zugleich aber mahnt er eine sachliche Debatte an und hält wenig von Untergangsszenarien, wie sie derzeit oft gezeichnet werden. Eine auch bei diesem Thema zunehmende Polarisierung könnte der Demokratie schaden und der AfD nützen, so von Storch, der auch harte Kritik an Greta Thunberg bzw. deren Umfeld übt. Auch die Forderung nach persönlichem Verzicht etwa auf das Fliegen hält der Klimaforscher für wenig zielführend – weil sie kaum Effekte, aber für die persönliche Entwicklung von Menschen große Nachteile bringe. Ein Gespräch in Hamburg über falsche und sinnvolle Ansätze zur Bewältigung der Klimakrise.
„Klimakrise: Aufstand oder Aussterben. Wir weigern uns, unseren Kindern und Enkeln einen sterbenden Planeten zu hinterlassen. Wir rebellieren, um die Zerstörung der Erde und allen menschlichen Lebens zu verhindern. Sei dabei!“ So heißt es in einem Flugblatt, das in Hamburg verteilt wurde. Sind Sie dabei?
Hans von Storch Nein. Diese Zukunftsbeschreibung ist meines Erachtens nicht zutreffend. Durch die Klimaerwärmung könnte es theoretisch in den ohnehin heißen Tropen so heiß werden, dass man dort ohne technische Hilfen wie Klimaanlagen nicht mehr gut leben kann. Aber in allen anderen Regionen, etwa bei uns, kann davon keine Rede sein. In Phoenix/Arizona leben übrigens Millionen Menschen. Das war früher unmöglich, heute gibt es Klimaanlagen. Um die Menschen aufzurütteln, nehmen sich einige in dieser Debatte das Recht heraus, maßlos zu übertreiben für die gute Sache.
Greta Thunberg sagt: Hört endlich auf die Wissenschaft! Freut Sie das?
Sie fordert, auf Wissenschaftler zu hören, die das verstärken sollen, was sie ohnehin glaubt und sagt. Manche Kollegen sprechen dann mit besonders markigen Aussagen auch kulturelle Vorstellungen an, die wir archetypisch tief in uns tragen – zum Beispiel, dass wir Menschen aufgrund unseres sündhaften Verhaltens die Welt zerstören. Das ist ein uraltes Motiv. Es gibt mit dem Klimawandel tatsächlich ein wichtiges Thema. Aber die Art, wie es behandelt wird, hat mehr mit Psychologie der Öffentlichkeit zu tun als mit der Wissenschaft, um die es vorgeblich geht.
Worüber ist sich die Wissenschaft beim Thema Klimawandel zweifelsfrei einig?
Erstens: Es gibt eine Erderwärmung. Zweitens: Diese Erwärmung läuft so schnell, dass wir sie im Rahmen der natürlichen Schwankungen nicht erklären können. Der einzige externe Faktor, der sich derzeit zur Erklärung wissenschaftlich seriös anbietet, ist die ständig sich erhöhende Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre. Und diese können wir durch unsere Emissionen steuern. Drittens ist klar, dass der Meeresspiegel durch die Erwärmung steigt – umstritten allerdings ist noch das Ausmaß des Anstiegs. Nicht wissenschaftlich verifizierbar sind dagegen Aussagen wie die von der Fridays-for-Future-Aktivistin Frau Neubauer, die Kinder würden sich bald auf dem Schulhof die Füße verbrennen – oder die Spekulation von Grünen-Chefin Baerbock, das Zittern von Frau Merkel hänge mit dem Klimawandel zusammen.
Greta Thunberg hat gesagt, die Generationen vor ihr hätten ihr die Kindheit geraubt.
Das ist lachhaft. Wenn das ein Mädchen gesagt hätte, das aus Syrien fliehen musste, oder ein alter Mann aus Afrika, der sein Leben lang unter Armut, Krieg und Dürren gelitten hat – dann hätte es vielleicht gestimmt. Aber dass ein behütetes Mädchen aus dem reichen Schweden das sagt, da kann man eigentlich nur zurückgeben: How dare you? (Wie kannst du es wagen?, d. Red.)
Ist es nicht dennoch beeindruckend, was Greta für eine Bewegung in Gang gesetzt hat für ein ja wirklich wichtiges Thema?
Ja, auf jeden Fall. Ich finde ihre Persönlichkeit sehr beeindruckend und laste ihr selbst diese Übertreibungen nicht an, sondern ihrem Umfeld, das sie ja wohl so inszeniert. Es gibt ja mittlerweile Leute, die auf Veranstaltungen ernsthaft Sätze sagen wie „Ich möchte meinen Kindern keine Welt hinterlassen, in der es Stürme gibt.“ Das ist wirklich grotesk. Stürme hat es immer gegeben. Unstrittig ist, dass Hitzewellen mit dem Klimawandel zusammenhängen, bei Starkregen ist es plausibel. Bei unseren heimischen Stürmen dagegen gibt es keinen belegbaren Zusammenhang.
Was müssen die Menschen tun, um die ja bedrohliche Klimaerwärmung zu bremsen?
Das ist eine politische Entscheidung, denn es ist ja eben nicht so, dass es ausschließlich um das Klima geht, wie manche mittlerweile behaupten. Es gibt auch andere Herausforderungen: das viele Plastik in den Meeren zum Beispiel. Oder die Bewahrung des sozialen und weltpolitischen Friedens. Politik muss all diese Interessen gleichzeitig berücksichtigen. Wissenschaftler sollten sich deshalb nicht zu Politikern aufschwingen. Wissenschaftler können nur ihre Erkenntnisse vorlegen und bei Bedarf die Politik beraten.
Und wozu raten Sie?
Wenn wir das 2015 in Paris festgelegte Klimaziel erreichen wollen, dass sich die Erde bis 2100 nur um 1,5 oder maximal zwei Grad gegenüber der Zeit vor der Industrialisierung erwärmen soll, dann bedeutet das: Ab 2050 muss die gesamte Menschheit klimaneutral leben, und danach muss es Negativemissionen beim CO2 geben. Es muss also CO2 aus der Atmosphäre zurückgeholt werden – durch Technologien, die es bisher nicht in diesem Maße gibt.
Ist das Klimaziel erreichbar?
Nein, ich glaube nicht. Derzeit werden weltweit 38 Gigatonnen (38 Milliarden, d. Red.) CO2 jährlich ausgestoßen. Es ist schwer vorstellbar, wie man binnen 30 Jahren auf Null kommen soll. Denn wir bewegen uns ja seit Jahren in die entgegengesetzte Richtung. 1990 lagen wir noch bei etwa 22 Gigatonnen, seither steigt die Menge stetig und schnell.
Deutschland hat den Ausstoß immerhin ein wenig reduziert.
Ja, von 1,2 auf 0,9 Gigatonnen. Das ist schön, aber im weltweiten Maßstab nicht der Rede wert. Unser zentrales Anliegen muss es also sein, weltweit zu einem Rückgang zu kommen. Das werden wir aber sicher nicht mit moralischen Appellen schaffen. Denn die anderen werden sagen: Bevor ihr uns Predigten haltet, wollen wir erst mal euren derzeitigen Lebensstandard erreichen. Mit Verzichtsforderungen kommt man also nicht weit.
Gilt das auch für uns selbst in Europa und Deutschland?
Ja, denn der Verzicht bringt kaum etwas in der Klimabilanz – und man muss ja auch einbeziehen, ob ein Verzicht insgesamt sinnvoll ist. Nehmen wir mal das Fliegen: Das ist eine sehr nützliche Geschichte, weil Menschen andere Teile der Welt kennenlernen. Das macht uns möglicherweise klüger und trägt sicher auch zum Völkerfrieden bei. Wenn Abiturienten in Zukunft nur noch mit dem Zug nach Belgien, aber nie mehr nach Indien kommen, dann werden sie nie sehen, was bittere Armut bedeutet.
Sollen die Menschen also guten Gewissens SUV fahren, Kreuzfahrten machen, fliegen und massenhaft Fleisch essen?
Es kann gute Gründe geben, das zu lassen. Man muss nur wissen, dass der Verzicht in der Summe einen nur kleinen und angesichts der großen Ausmaße des Problems zu vernachlässigenden Einfluss auf den Klimawandel hat. Dass wir uns mit Pipifax befassen, zeigt mir, dass das Klimathema in Wahrheit nicht ernst genommen wird. Es ist ja okay, wenn jemand einem Bettler hier in St. Georg einen Cent geben möchte, weil er sich dann besser fühlt. Er muss nur wissen, dass mit einem Cent niemandem geholfen ist. Das hat keine Wirkung. So ist es auch mit dem Klima. Wir brauchen stärkere Hebel.
Mit welchem großen Hebel lässt sich der Klimawandel denn Ihres Erachtens bremsen?
Das geht nur durch ökonomische Anreize und durch technologische Entwicklung. Es muss sich lohnen – weil zum Beispiel Solarenergie sehr günstig wird oder das Potenzial des Zertifikate-Handels deutlich wird. Wenn wir in Deutschland und Europa altruistisch etwas zur Bremsung des weltweiten Klimawandels beitragen wollen, dann könnten wir zum Beispiel einen Klima-Soli auf die Gehälter einführen. Mit dem Geld könnte ein Fonds zur Technologie-Entwicklung ausgestattet werden, der die Forschung massiv fördert und deren Ergebnisse der ganzen Welt zugute kommen. Wir in Deutschland könnten uns dann zum Beispiel um neue klimaneutrale Systeme zur Heizung und Kühlung von Häusern kümmern – mit Hilfe unseres reichlichen Windstroms aus der Nordsee. Andere könnten andere Aufgaben übernehmen.
Und die CO2-Steuer, die der Bund derzeit plant, soll es dann nicht mehr geben?
Von der halte ich nichts. Denn die führt ja dazu, dass der Eppendorfer Radiologe mit seinem teuren Tesla keine Steuern mehr zahlt, die Hebamme mit ihrem Diesel aber weiter löhnen muss – dabei hat sie wenig Geld. Es sollte nicht in erster Linie darum gehen, bei uns weniger zu emittieren, sondern eine Entwicklung loszutreten, die überall wirkt. Und da müssen dann jene zuerst ran, die es wirtschaftlich auch können. Wirksame Klimapolitik muss global ansetzen. Man muss das vernünftig betrachten. Ein paar Tonnen sind viel, wenn Sie sie die Treppe hochtragen müssen. Im Verhältnis zu 38 Gigatonnen sind sie fast nichts. Mein Rat an die Politik lautet also: Sucht einen Pfad, auf dem man sich dem Ziel von null CO2-Emissionen bis 2050 überall auf der Welt annähern kann!
Vollständig stoppen lässt sich der Klimawandel aber nicht.
Nein. Deswegen müssen wir uns auch auf Folgen einstellen. Hamburg ist dabei ganz gut vorbereitet, hier wird das Thema in den Behörden mitgedacht, insbesondere was den Flutschutz angeht.
Also müssen wir keine Angst haben?
Mir ist nicht bange vor den Folgen des Klimawandels in Hamburg. Angst macht mir eher die politische Debatte. Die Forderung von Greta Thunberg, wir sollten in Panik geraten, hat etwas von Ideen einer Endzeitsekte. Die zunehmende Polarisierung, die wir auch beim Klimathema erleben, kann auch die Demokratie beschädigen, wenn wir nicht aufpassen. Dabei ist übrigens gar nicht klar, dass die Thunberg-Anhänger gewinnen – es können ja auch die anderen gewinnen.
Wer wäre das?
Na ja, die AfD zum Beispiel spielt das Thema ja sehr intensiv. Dazu kommt eine möglicherweise große schweigende Mehrheit. Ich glaube deshalb, es ist auch für die wichtige Sache des Klimaschutzes besser, wenn wir vernünftig bleiben und uns nicht in die Extreme oder den Populismus gleich welcher Couleur begeben.
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