Hamburg. Um 19.02 brandet Beifall auf. Angeführt von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) betreten an diesem Mittwochabend 13 Politiker die Halle K6 auf Kampnagel – sie alle bewerben sich in sieben Duos um den Bundesvorsitz der SPD. Nur Nummer 14, Gesine Schwan, die Partnerin von Ralf Stegner, muss heute aus familiären Gründen passen.
Es ist die 13. von 23 Regionalkonferenzen, die die SPD bundesweit durchführt, und einer der 13 Kandidaten, die an diesem Abend für sich die Werbetrommel rühren, ist Olaf Scholz. Einer von 13 – das bleibt auch zwei Stunden später die Erkenntnis des Abends: Wer gedacht hatte, der Mann, der sieben Jahre Bürgermeister und fast ein Jahrzehnt SPD-Landesvorsitzender war, würde die mit 800 Parteimitgliedern zum Bersten gefüllte Halle im Sturm erobern, sah sich jedenfalls getäuscht.
Stegner erhält kräftigen Applaus für seine Vorstellung
Klar, als Scholz und seine Mitbewerberin Klara Geywitz die Halle betreten, gilt ihnen die größte Aufmerksamkeit. Scholz grient, winkt ins Publikum, wo auch seine Frau, die brandenburgische Bildungsministerin Britta Ernst, sitzt. Fotografen und TV-Teams begleiten ihn bis zu seinem Platz in der ersten Reihe. Damit endet der Sonderstatus des 61-Jährigen für diesen Abend aber auch schon – was auch an dem streng durchgetakteten Ablauf liegt.
In der ersten Runde haben alle Duos fünf Minuten Zeit, sich und ihre Vorstellungen vorzustellen, die Reihenfolge wird ausgelost. Zum Auftakt erhält der frühere schleswig-holsteinische Minister Stegner kräftigen Applaus für seine Vision einer linken Volkspartei, einen starken Sozialstaat und den geforderten Kampf gegen Demokratiefeinde („Wir haben kein Problem mit der Vielfalt, wir haben ein Problem mit der Einfalt“).
Klara Geywitz bleibt inhaltlich vage
Gleich danach, um 19.17 Uhr, sind Geywitz und Scholz dran. „Bei Olaf zu Hause“ zu sein, sei für sie schon „etwas Besonderes“, sagt Geywitz und spielt die Karte weiter: „Wir wollen etwas erreichen, was die Hamburger SPD schon hat – nämlich ohne die Union zu regieren.“ Dafür gibt es freundlichen Applaus. Inhaltlich bleibt die 43-Jährige zunächst eher vage.
„Moin moin, schön hier zu sein“, steigt Scholz ein und erzählt davon, in welch schwieriger Lage er die Hamburger SPD vor zehn Jahren vorgefunden habe. „Wir haben etwas draus gemacht“, sagt Scholz und erinnert daran, wie die Partei aus der Opposition heraus 2011 die absolute Mehrheit und 2015 noch einmal mehr als 45 Prozent geholt hat.
Keine Jubelstürme für Scholz' Ausführungen
Anders als früher hebt der sonst so selbstbewusste Vize-Kanzler dabei nicht seine eigenen Beitrag hervor, sondern spricht ungewöhnlich bescheiden von „wir“ – die Botschaft ist dennoch deutlich: Er weiß, wie man Wahlen gewinnt, das hat er fast allen anderen Mitbewerbern voraus. „In dieser Partei steckt Potenzial“, sagt Scholz. „Wir können auch aus dem Tief wieder wachsen.“
Das ist zwar das, was sich die bundesweit auf 15 Prozent abgestürzte SPD am sehnlichsten wünscht, doch ob die Mitglieder, die am Ende die neue Führung wählen werden, Scholz dafür für den Richtigen halten, bleibt an diesem Abend zumindest fraglich. Die routinierte Aufzählung seiner Leistungen in Hamburg – eine große Wohnungsbauoffensive, Kita- und Uni-Gebühren abgeschafft, U- und S-Bahnbau angekurbelt – werden kopfnickend zur Kenntnis genommen, doch zu Jubelstürmen reißen sie die Halle nicht hin.
Auch Scholz' seit Jahren in Interviews und Talkshows vorgetragenes Mantra, dass viele gesellschaftliche Probleme darauf zurückzuführen seien, dass „die Menschen unsicher sind, wie das 21. Jahrhundert wird“ und die SPD dem Solidarität und einen starken Sozialstaat entgegensetzen müsse, versendet sich etwas. Nach fünf Minuten gibt es nur einen kurzen, freundlichen Applaus.
Esken und Walter-Borjans punkten mit Kritik am SPD-Kurs
Anders sieht es direkt im Anschluss aus. Das Duo aus der Bundestagsabgeordneten Saskia Esken und dem Ex-NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans erhält immer wieder kräftigen Applaus, etwa für die Feststellung, dass die GroKo „keine Zukunft“ habe oder für Eskens Loblied auf ihren Partner, der „mit dem Ankauf der Steuer-CDs 7,2 Milliarden zurück ins Steuersäckel geholt“ habe. Auch Walter-Borjans' Kritik, der „SPD-Bus“ habe sich durch Hartz IV „in die neoliberale Pampa locken lassen“ und brauche „neue Fahrer“, wird kräftig beklatscht.
Die übrigen Duos bleiben dagegen entweder blass oder können nur punktuell punkten. Etwa Nina Scheer, die an der Seite von Karl Lauterbach ein flammendes Plädoyer für die Energiewende hält.
Oder Lauterbach, als er die fehlende Kompetenzzuschreibung für die SPD beim Klima-Thema beklagt und warnt: „Wir verlieren ganze Generation, die uns nie mehr wählen wird.“ Oder Christina Kampmann, die mit Michael Roth antritt, und den AfD-Rechtsaußen Björn Höcke angreift: „Lieber Herr Höcke, solange es die SPD gibt, werden Sie niemals eine wichtige Persönlichkeit in diesem Land werden.“ Solche emotionalen Parolen kommen an in Halle K6 mit ihren steil ansteigenden Tribünen. Scholz und Geywitz verzichten darauf weitestgehend. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum die beiden in der anschließenden Fragerunde mit dem Publikum zunächst kaum angesprochen werden.
Geywitz: Die „linke Volkspartei“ SPD stark machen
Doch das ändert sich gegen Ende stark. Geywitz bekommt viel Applaus für ihre Analyse, dass das Thema Klimawandel die Gesellschaft in Fordernde und Ängstliche spalte: „Es muss die Vision und Aufgabe der Sozialdemokratie sein, diese beiden Teile der Gesellschaft zusammenzubringen.“ Um 20.34 bekennt ein erster Sozialdemokrat in Richtung Scholz und Geywitz: „Ich werde Euch wählen, allein weil Olaf gezeigt hat, dass er Wahlen gewinnen kann.“ Einige SPD-Mitglieder klatschen, die meisten nicht.
Bemerkenswert: Auf die Frage an Scholz, wie er als SPD-Chef Kanzler werden wolle, antwortet Geywitz: Erstmal müsse man die „linke Volkspartei“ SPD stark machen: „Ansonsten stellt sich die Frage nicht.“ Scholz fügt noch kurz hinzu: „Wir wählen ein Vorsitzenden-Team. Alles andere muss jeder mitbedenken.“
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