Hamburg. Auf der Suche nach neuen Mitarbeitern hat die Stadt Hamburg ihre Praxis bei Stellenausschreibungen geändert. Seit Jahresbeginn werden nicht nur männliche und weibliche Anwärter ermuntert, ihre Bewerbungen für den öffentlichen Dienst einzureichen. Auch trans- oder intersexuelle Menschen, die nicht klar einem Geschlecht zuzuordnen sind, werden angesprochen. Alle neuen Ausschreibungen werden deshalb grundsätzlich mit dem Zusatz „m/w/d“ versehen – männlich, weiblich, divers.
Grund für diese Neuerung ist ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2017, wonach eine dritte Geschlechtsbezeichnung für Menschen möglich sein muss. Daraus ergebe sich zwar nicht zwingend eine Verpflichtung öffentlicher Arbeitgeber, das „dritte Geschlecht“ in Ausschreibungen zu nennen. Der Beschluss lege eine solche Konsequenz aber nahe, heißt es aus dem zuständigen Personalamt der Stadt.
Man wolle Wertschätzung für Menschen aller Art zeigen
„Wir wollen damit auch deutlich machen, dass grundsätzlich jede Person – ungeachtet ihres Geschlechts – Zugang zu öffentlichen Ämtern in Hamburg hat“, sagt Volker Wiedemann, Leiter des Personalamtes. Hinzu komme die Verpflichtung durch das deutsche Antidiskriminierungsgesetz. „Insgesamt sind wir der Überzeugung, dass Diversity, also die Vielfalt der Beschäftigten, ein wichtiger Wert ist“, so Wiedemann. Es sei eine Wertschätzung der Menschen, ob es um ihr Geschlecht, ihre Herkunft, ihre sexuelle Orientierung oder ihr Alter geht.
In offenen Unternehmenskulturen fühlten sich Beschäftigte in ihrer Persönlichkeit angenommen, sie wirken sich positiv auf Gesundheit und Arbeitsergebnisse aus. Studien würden belegen, dass vielfältige Teams kreativer und leistungsfähiger sind. Auch die Vorbildfunktion des öffentlichen Dienstes und der Wettbewerb um Fachkräfte würden gebieten, alle Menschen anzusprechen.
Bei gleicher Qualifikation gewinnt divers?
Auf dem Arbeitsmarkt niemanden auszuschließen, sei angesichts der kommenden Veränderungen sogar notwendig. Viele altersbedingte Abgänge seien absehbar, die Anstrengungen, Stellen neu zu besetzen, steigen – besonders in Berufen, die stark nachgefragt sind, könne man sich heute kaum noch leisten, Menschen vom Bewerbungsverfahren auszuschließen. Etwa Ärzte, Sozialpädagogen oder Ingenieure. Zuletzt suchte die Stadt Baustellenkoordinatoren für die sieben Bezirksämter. 54 Menschen haben sich bisher beworben, darunter 19 Frauen. Ob „Diverse“ dabei waren, gehe aus den Unterlagen nicht hervor. Zudem ist das „dritte Geschlecht“ auch noch kein Bestandteil der gängigen Regel, bei gleicher Qualifikation das unterrepräsentierte Geschlecht vorzuziehen.
Von den etwa 70.000 Beschäftigten der Stadt sind Schätzungen zufolge 70 bis 100 intersexuell. Abgefragt werde dieses Merkmal nicht, sagt Wiedemann. Gleichwohl nehme man darauf Rücksicht. Infrastrukturell etwa sollen mehr Unisex-Toiletten in den Ämtern entstehen. Einige wenige Behörden wie etwa das Bezirksamt Eimsbüttel haben schon neutrale Örtchen. „Der Umgang mit trans- und intersexuellen Menschen setzt Sensibilität voraus“, sagt Personalchef Wiedemann. Es gebe spezielle Fortbildungsangebote bei der Stadt, insbesondere für Beschäftigte im Bürgerkontakt.
Noch fehlen verbindliche Regeln
Bei der Schreibweise „m/w/d“ der Stellenbezeichnung habe sich die Stadt am bisherigen Standard orientiert. Eine verbindliche Empfehlung dazu gibt es – etwa vom Rechtschreiberat – noch nicht. Unabhängig davon sei aus den Bewerbungsunterlagen das Geschlecht aber ohnehin nicht unbedingt zu erkennen.
In der für Gleichstellung zuständigen Wissenschaftsbehörde hatte Sprecherin Julia Offen schon bei der Diskussion um Unisex-Toiletten gesagt: „In Hamburg soll jeder Mensch selbstbestimmt leben können und eine gleichberechtigte Teilhabe erfahren.“ Dafür seien entsprechende Rahmenbedingungen durch die Stadt zu schaffen, auch bei der Bewerbungspraxis. Und die ist jedes Jahr gewaltig. 2018 etwa wurden mehr als 1300 Nachwuchskräfte eingestellt. Zu den größten Ausbildungsbereichen zählen Polizei, allgemeine Verwaltung sowie Steuerverwaltung, Justiz sowie die Feuerwehr.
Gut drei Prozent aller Menschen sind divers
Laut Bundesfamilienministerium haben gut drei Prozent aller Menschen ein vom Realen abweichendes „soziales Geschlecht“. Weitere zwei Prozent erleben keine Übereinstimmung mit ihrem augenfälligen Geschlecht. Laut Schätzungen des Ministeriums sind bis zu 120.000 Menschen in Deutschland intersexuell. Die Hälfte dieser Menschen unternimmt mindestens einmal im Leben einen Selbstmordversuch. Studien zeigen, dass sie häufiger Opfer von sexueller Gewalt oder Diskriminierung im Beruf werden.
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