Hamburg. Die beiden Manager kennen sich seit mehr als 30 Jahren, damals arbeiteten sie zusammen in der kirchlichen Jugendarbeit in Hamburg. Dann haben sie Karriere gemacht: Matthias Scheller wechselte 2015 als Vorstandschef zum Albertinen-Diakoniewerk (unter anderem Träger des Albertinen-Krankenhauses in Schnelsen und des Evangelischen Amalie Sieveking Krankenhauses in Volksdorf) nach Hamburg, Udo Schmidt stieg 2008 zum Geschäftsführer der Immanuel-Diakonie in Berlin auf.
Dass sie sich gut verstehen, wird ihre künftige Arbeit erleichtern. Ihre Institutionen haben sich am 1. Januar zur Immanuel Albertinen Diakonie zusammengeschlossen. Sie führen nun ein Unternehmen mit 6700 Mitarbeitern und 540 Millionen Umsatz im Jahr.
Herr Scheller, Herr Schmidt, mit einer Fusion gehen in aller Regel Synergieeffekte einher. Doppelstrukturen werden abgebaut, heißt es gern. Müssen sich die Mitarbeiter Ihrer Einrichtungen um ihre Arbeitsplätze sorgen?
Matthias Scheller: Auf keinen Fall. Wir brauchen nach wie vor jede und jeden, in allen Einrichtungen, in dem gesamten Verwaltungsbereich. Niemand muss Angst um seinen Job haben. Was wir allerdings voraussetzen, ist die Bereitschaft, notwendige Veränderungsprozesse mit uns anzugehen. Aber das gilt seit Jahren für unsere Häuser, unabhängig von dieser Fusion.
Udo Schmidt: So ist es. Wenn Sie Synergie auf den Wortursprung zurückführen, also auf das gegenseitige Fördern, trifft das natürlich auch auf unseren Zusammenschluss zu. Wir bündeln Kompetenzen und werden dadurch noch besser.
Mitarbeiter, aber auch langjährige Förderer und Freunde reagieren auch bei Details sensibel. Warum heißt die neue Einrichtung Immanuel Albertinen Diakonie und nicht Albertinen Immanuel Diakonie? Haben Sie das Ende ausgewürfelt, ob Berlin oder Hamburg vorne steht?
Schmidt: Nein, das haben wir uns sehr genau überlegt. Am Ende fanden wir, dass Immanuel Albertinen Diakonie etwas besser klingt als andersherum.
Scheller: Wir haben auch erwogen, dem Unternehmen einen völlig neuen Namen zu geben. Aber das haben wir verworfen, weil beide Einrichtungen auf dem Markt einen exzellenten Namen haben. Diesen Bekanntheitsgrad wollten wir nicht aufgeben. Wir haben auch intensiv diskutiert, wo der Konzernsitz sein soll.
Da haben Sie sich für Hamburg entschieden. Wäre Berlin nicht naheliegender gewesen? Zentrale politische Entscheidungen für Ihre Branche fallen in der Hauptstadt, nicht in Hamburg.
Scheller: Das stimmt. Aber wenn Sie einen Radius von ungefähr 30 Kilometern um die Hamburger City ziehen, werden Sie sehen, dass genau dort die mit Abstand meisten Mitarbeitenden des neuen Konzerns arbeiten.
Schmidt: Die Immanuel Diakonie ist deutlich dezentraler organisiert. Wir haben insgesamt 68 Standorte in Berlin, in Brandenburg, in Thüringen, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein.
Scheller: Uns war bei allen Gesprächen wichtig, dass wir eine Beziehung auf Augenhöhe pflegen, mit zwei gleichberechtigten Partnern.
Sie fungieren künftig als gleichberechtigte Vorstände des neuen Konzerns. Was passiert, wenn Sie sich mal nicht einig werden?
Scheller: Letztlich ist das ja keine Zwei-Mann-Veranstaltung, wir haben ja auch noch einen 16-köpfigen Aufsichtsrat und ein großes Führungsteam. Aber Sie können sich darauf verlassen, dass wir nicht mit einer Vorlage in das Gremium gehen, in der Herr Schmidt A sagt und ich B.
Schmidt (lacht): Und auch nicht mit zwei Vorlagen. Nein, im Ernst. Wir werden bestimmt mal unterschiedlicher Meinung sein. Aber am Ende werden wir einen gemeinsamen Weg finden.
Scheller: Der Prozess bis zu diesem Zusammenschluss währt nun eineinhalb Jahre. Es wäre vielleicht schneller gegangen, wenn eine Seite hätte sagen können, wir machen es jetzt so und nicht anders. Aber bei unseren zahlreichen Sitzungen gab es so etwas wie ein gegenseitiges Vetorecht. Jeder konnte sagen, wenn er mit einer Entscheidung Bauchschmerzen hatte, entsprechend intensiv haben wir um Kompromisse gerungen. Aber das schafft Vertrauen.
Mussten Sie am Ende fusionieren, um zu überleben?
Schmidt: Nein, sowohl wir als auch das Albertinen Diakoniewerk sind kerngesund. Jeder von uns hätte auch allein weitermachen können. Wir haben uns zusammengetan aus einer Position der Stärke.
Scheller: Was eine Fusion eher schwieriger macht. Eine Ehe unter wirtschaftlich angeschlagenen Partnern wird unter Umständen zügiger geschlossen, weil so viel Druck auf dem Kessel ist. Aber die Erfahrung zeigt, dass solche Ehen auch schneller wieder geschieden werden. Da ist es mir so lieber.
Schmidt: Erleichtert wurden die Gespräche sicherlich dadurch, dass wir die gleichen christlichen Wertvorstellungen teilen.
Aber es geht doch auch um Einkaufsvorteile. Wer mehr bestellen kann, ist gegenüber den Herstellern von Medizintechnik oder Verbrauchsmaterialien im Vorteil.
Schmidt: Das spielt natürlich eine Rolle. Aber es geht uns um mehr. Mit künftig 540 Millionen Euro Jahresumsatz und 6700 Mitarbeitenden stellen wir uns als finanzstarker freikirchlicher Diakoniekonzern auf, der deutschlandweit agieren wird.
Scheller: Wir werden sichtbarer, werden künftig auch in der Politik anders wahrgenommen. Und wir schaffen uns Spielräume bei der Digitalisierung. Denken Sie nur an die elektronische Patientenakte. Solche Projekte werden durch unsere Größe deutlich einfacher, erst recht in einem Markt, der immer stärker von der Macht großer Konzerne aus der Privatwirtschaft geprägt wird. Unsere Herzzentren hier bei Albertinen und bei Immanuel in Bernau haben einen herausragenden Ruf. Da müssen wir uns selbst vor der Charité nicht verstecken. Da spielen wir jetzt auch von der Größe her in der Champions League.
Ist das diakonische Leitbild nicht längst überholt in Ihrer Branche, die wirtschaftlich so unter Druck steht?
Schmidt: Im Gegenteil, wir profitieren von unserem Leitbild, etwa bei der Gewinnung von Mitarbeitenden. Wer zu uns kommt, weiß, dass jeder verdiente Euro im Unternehmen bleibt, um es noch besser zu machen. Es gibt keine Dividenden-Ausschüttungen an private Kapitalgeber. Ich weiß aus vielen Bewerbungsgesprächen, dass dies bei der Entscheidung, zu welchem Arbeitgeber man wechselt, eine Rolle spielt. Gerade bei jungen Leuten. Mitbewerber müssen teilweise Stationen in Pflegeheimen schließen, weil ihnen das Personal fehlt. Das hat es bei Immanuel nicht gegeben. Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter weiß, dass wir für sie beziehungsweise ihn sorgen.
Scheller: Die Qualität des Personals wird zur Existenzfrage für unsere Branche. Wer es nicht schafft, über ein gutes Betriebsklima, angemessene Bezahlung und entsprechende Fortbildungen seine Mitarbeitenden zu halten, gerät in eine Abwärtsspirale und wird am Markt nicht überleben. Eine Metropolregion wie Hamburg ist zwar hochattraktiv. Aber wenn Sie den Arbeitgeber wechseln wollen, müssen Sie nicht umziehen. Es reicht, wenn Sie ein paar U- oder S-Bahn-Stationen früher oder später aussteigen.
Wie sehr machen Ihnen die dramatisch gestiegenen Mieten zu schaffen?
Scheller: Ich bin sehr froh, dass meine Vorgänger Wohnraum für Mitarbeitende geschaffen haben. Das hilft uns sehr. Wie andere Arbeitgeber planen wir Erweiterungen, gerade für junge Menschen in der Ausbildung. Sie können sich die Mieten hier kaum leisten.
Schmidt: Da wir viele Einrichtungen im ländlichen Raum haben, kennen wir dieses Problem nicht in dieser Schärfe. Wir können daher bisher auf solche Wohnheime verzichten.
Was sind die größten Herausforderungen?
Schmidt: Die sich ständig ändernden gesetzlichen Rahmenbedingungen, verbunden mit Sparrunden und zusätzlichen Leistungen, die von uns gefordert werden. Das sorgt für große Unsicherheiten. Wir stehen dort vor einer Nebelwand.
Scheller: Ich hoffe, dass die Politik die Trägervielfalt stärkt statt gefährdet. Entscheidungen wie 2004 in Hamburg beim Verkauf des Landesbetriebes Krankenhäuser an einen einzigen und privatwirtschaftlichen Träger sollte es künftig bitte nicht mehr geben.
Sind Sie offen für den Zusammenschluss mit weiteren diakonischen Trägern?
Scheller: Ja, unser Konzern ist bewusst darauf angelegt. Wir schaffen mit der Immanuel Albertinen Diakonie eine Plattform, die Heimat für viele werden kann. Insbesondere für die, die es allein nicht schaffen können, obwohl sie ein gutes Angebot vorhalten.
Schmidt: Wir sind auch offen für neue Ideen. Entscheidend bleibt, dass wir unserem Anspruch an gelebter Nächstenliebe in Exzellenz gerecht werden können. Gemäß unserem Motto: in besten Händen, dem Leben zuliebe.
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