Hamburg. Prof. Stefanie Kley und Dr. Michael Waibel sprechen über das Topthema in Hamburg und erklären, warum Mieten besser ist.

Eine Wohnung kann genau wie die Kleidung, die ich trage, ein Distinktionsmerkmal sein. Warum wir aber alle viel flexibler wohnen sollten, Mieten besser ist als Immobilien zu erwerben und ein Haus eine Verschwendung von Ressourcen darstellt, erklären Prof. Stefanie Kley, Professorin für Soziologie, und Dr. Michael Waibel, Dozent am Institut für Geographie.

Haben Sie wie jeder gute Student in einer WG gewohnt? Und was bringt einem diese Lebensform außer Spaß und Streit um einen Putzplan?

Prof. Stefanie Kley: Ich habe WG-Erfahrung, was hilfreich war, denn die gegenseitige Rücksichtnahme ist eine Fähigkeit, die man braucht, wenn man urban wohnt. Selbst wenn man nicht mehr in einer WG lebt – im Altbau ist es meistens auch sehr hellhörig.

Dr. Michael Waibel: Ich habe als Student in einer WG gegenüber dem Aachener Dom gewohnt, eine tolle Altbauwohnung, aber ohne Zentralheizung, die Fenster waren nur einfach verglast. In der Küche war der Gasherd unsere einzige Wärmequelle.

Wie sehr drücke ich meinen Lebensstil durch mein Zuhause aus?

Kley: Für manche Menschen sind die eigenen vier Wände so wichtig wie die Kleidung, die sie tragen, aber diese Leute gehören dem wohlhabenden Milieu an. Dort zeigt man gerne seine Einrichtung. Der Mehrheit der Menschen geht es beim Wohnen nicht primär um Schönheit, sondern es muss vor allem praktisch sein.

Was kann ein Zuhause seinen Besuchern verraten? Die Fotos vom vergoldet-dekadenten 100 Millionen-Dollar-Penthouse Donald Trumps, wo Trump unter Fresken und Kristalllüstern wie ein König auf einer Art Thron sitzt und sein Sohn auf einem Spielzeuglöwen reitet, die erübrigen jedes weitere Gespräch, um eine Charakterstudie zu erstellen, oder?

Kley: Ich habe dieses Foto auch vor meinem inneren Auge. Das ist doch interessant, wie man sich in Szene setzen kann. Sag mir, wie du wohnst, und ich sage dir, wer du bist. Bei Trump fallen einem gleich Attribute ein, aber diese Attribute kann man natürlich auch inszenieren, die müssen ja nicht der Wahrheit entsprechen.

Waibel: Als Geograf interessiert mich eher die stadträumliche Perspektive, also die Standortwahl. Wohne ich eher in der Innenstadt oder im ländlichen Raum und in was für einer Bautypologie? Entscheide ich mich für eine Etagenwohnung, ein Reihenhaus, kaufe oder miete ich ein Einfamilienhaus?

Und? Wie entscheidet sich der Hamburger da, welche Wohnortpräferenzen hat er?

Waibel: Apartments in Neubauten sind gerade sehr gefragt, in dem Bereich wird viel gebaut, im Trend sind Mikrowohnungen unter 30 Quadratmetern, die dann extrem teuer zur Miete oder als Eigentum angeboten werden.

Kley: Eines der interessantesten Bauvorhaben der nächsten Jahre ist meiner Meinung nach das neue Wohnquartier in Oberbillwerder mit vielen Reihenhäusern im Grünen. Perfekt für Familien; die meisten jungen Leute wollen jedoch in der Innenstadt wohnen. Die Wohnpräferenzen variieren über den Lebenszyklus.

Der sogenannte „Lebenszyklus der Familie“ besteht aus vier Etappen: Im Durchschnitt dauert es sechs Jahre von der Heirat bis zu den Kindern, die Kinder wachsen heran (18 Jahre), ziehen wieder aus (diese Periode erstreckt sich über sechs Jahre), die Eltern leben wieder alleine (zehn bis 20 Jahre). Jede dieser Etappen verlangt eigentlich nach einem unterschiedlichen Wohnungstyp, oder?

Waibel: In der Tat, aber die Realität sieht anders aus. Wir sind eher unbeweglich. Viele ältere Menschen beispielsweise bleiben, bis es nicht mehr geht, in ihrem Einfamilienhaus, in dem sie früher mit den Kindern gelebt haben. Dabei brauchen sie all diesen Platz nicht mehr. So steht viel Wohnfläche leer. Durch Untervermietung könnte dieser Raum effizienter genutzt werden.

Kley: Es wäre in der Tat erstrebenswert, wenn wir flexibler wohnen würden. Der Traum vom Einfamilienhaus ist da nicht förderlich. In Deutschland haben wir ja noch einen gut funktionierenden Mietmarkt. Doch viele wollen kaufen, denken dabei vielleicht an ihre Kinder und übersehen, dass sie im Alter ganz andere Bedürfnisse haben – und die Kinder später vielleicht auch. Zu mieten ist immer flexibler als Immobilien zu erwerben.

Kaufen kann böse Überraschungen implizieren. Freunde von uns haben eine Wohnung gekauft, später entstand in ihrem Hinterhof plötzlich ein großes Neubauprojekt. Muss man damit in einer Großstadt aber leben, dass man anstatt auf Bäume irgendwann auf Nachbarn schauen wird?

Kley: Mit Nachverdichtung sollte man in unserer Stadt immer rechnen. Hamburg ist eine sehr grüne Stadt, der Grünflächenanteil liegt bei sagenhaften 70 Prozent, da wird natürlich jeder Strauch mit eingerechnet. Aber das ist das Pfund, mit dem Hamburg wuchern kann, deshalb ist unsere Stadt so attraktiv. Eine Hypothese besagt, dass Menschen evolutionsbedingt ein generelles Bestreben danach haben, sich in der Natur aufzuhalten. Wir haben entwicklungsgeschichtlich betrachtet sehr spät damit angefangen, in Häusern zu leben. Es gibt Studien, die besagen, dass schon der bloße Blick ins Grüne unsere Gesundheit fördert. Wer im Krankenhaus zum Beispiel einen Fensterplatz hat und auf Bäume guckt, der wird schneller gesund.

Waibel: Genauso angezogen wird der Menschen vom Wasser. „Wohnen am Wasser“ ist ein starkes Vermarktungsinstrument, die Standorte an der Alster, entlang der zahlreichen Kanäle oder an der Elbe sind deshalb besonders teuer. Aus einer Nachhaltigkeitsperspektive muss man jedoch sagen, dass das einzeln stehende Haus keine optimale Lösung ist, es stellt eine Verschwendung von Ressourcen und eine unverhältnismäßige Versiegelung von Flächen dar. In Asien ist das Wohnen in Hochhäusern auch bei sozial hochstehenden Schichten völlig akzeptiert. Ich denke, in einer wachsenden Stadt wie Hamburg müssen wir wieder mehr auf Hochhauswohnbau setzen. Auch, um kurze Wege zu erhalten und um damit nicht zuletzt Emissionen zu reduzieren.

Da Sie von Asien sprechen: In Deutschland leben durchschnittlich 231,4 Einwohner auf einem km2, in Singapur 7.806, in Macau 20.547. Gibt es so etwas wie Dichtestress bei uns wirklich?

Waibel: Dichtestress hängt vor allem mit Mobilität zusammen. Wohnen kann man nie entkoppeln vom Verkehr. Zum Glück werden wir in absehbarer Zeit eine Verkehrswende erleben, es wird deutlich weniger Schadstoffemissionen geben, weniger Lärm, das wird die Lebensqualität in der Großstadt deutlich erhöhen. Doch dann steigen die Preise noch weiter, weil es noch weniger Gründe gibt, überhaupt ins Umland zu ziehen.

Kley: Wir haben in Deutschland einen Suburbanisierungsprozess, viele Städte fransen weiter aus, überall wird angebaut, Vorortsiedlungen auf der grünen Wiese werden neu erschlossen für Bauland und Verkehrswege. Einige Regionen sind starke Magnete, da spricht man von Schwarmstädten, Hamburg ist eine solche Schwarmstadt, die Menschen von überall anzieht. Der Kostendruck auf diese Städte ist extrem groß.

Viele Haushalte geben viel mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens für Miete aus – für Experten eine kritische Schwelle. Wo setzen Sie die Grenze?

Waibel: Das Hamburger Preisniveau ist vergleichsweise niedrig. In Asien geben die Menschen oft mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Wohnen aus. Das kann bei uns auch passieren. International agierende Immobiliengesellschaften werden sich demnächst verstärkt auf uns konzentrieren. Mit der steigenden Zuwanderung erhöht das den Druck auf den Wohnungsmarkt. Die Frage nach bezahlbarem Wohnraum wird unsere Zukunft bestimmen. Die Politik kann in den Markt aus Angebot und Nachfrage aber eingreifen. In der Neue Mitte Altona etwa besteht ein Drittel der Wohneinheiten aus gefördertem Wohnungsbau, und keine Wohnung ist größer als 120 Quadratmeter. Das wirkt sozial ausgleichend, so entstehen keine reinen Luxus-Areale.

Kley: Es wäre gut, wenn wir die Ausgaben unter 30 Prozent halten. Was häufig nicht in die Kalkulation einfließt, sind die Ausgaben für Wege, wenn man sich günstigen Wohnraum am Stadtrand nimmt. Die Kosten für das Auto und den öffentlichen Nahverkehr, der bei uns ziemlich teuer ist, sind hoch. Auch immaterielle Kosten würde ich dazu- rechnen. Die Zeit und die Nerven, die ich brauche, bis ich bei der Arbeit bin, das zerrt. Studien zeigen, dass insbesondere Frauen die Pendelei sehr belastet.
Waibel: Man müsste die nachhaltige Mobilität fördern, um Verhaltensweisen zu ändern. Hamburg will eine Fahrradstadt sein, doch dafür fehlt die Infrastruktur. Und Immobilienentwickler sollten darauf achten, große Fahrradabstellplätze einzuplanen. Oft wissen die Leute gar nicht, wo sie ihre Räder abstellen sollen.

Gibt es eine Universallösung, ein Heim, das jedem von uns, egal wie alt, egal welche soziale Schicht, gefallen würde – außer Schloss Neuschwanstein und Versailles?

Kley: Es gibt ein paar Parameter, bei denen alle übereinstimmen: Großzügig soll der Wohnraum sein, möglichst viele Quadratmeter. Hell und ruhig mit genug Privatheit. Offene Grundrisse sind nur für wenige praktikabel. Außerdem die Nähe zum Grünen und ein freier Himmel. Das wollen alle – und das kann man mit intelligenten Grundrissen auch im Geschoss-Wohnungsbau realisieren. Es ist möglich, dicht gebaut zu wohnen und dennoch alle Wohnwünsche in einem vernünftigen Maß erfüllt zu bekommen.

Die Gruppe ist das am weitesten verbreitete soziale Gebilde. Werden sich die Menschen in der Zukunft in zwei Gruppen aufteilen: die Besitzer und die Mieter?

Waibel: In Hamburg haben wir ein Drittel Besitzer, zwei Drittel Mieter. Unser Vorteil in dieser Stadt sind die Saga und die Genossenschaften. Eine halbe Million Hamburger wohnt in einem preisgedämpften Objekt, das wirkt sich positiv auf die Zufriedenheit der Bürger aus. Die Preisanstiege in Hamburg sind zwar hoch, aber immer noch niedriger als in München oder Düsseldorf.

Kley: Es wäre sehr schlecht, wenn sich die Gruppen in Besitzer und Mieter aufteilen, eine soziale Durchmischung der Bevölkerung spielt eine entscheidende Rolle für die Wohnqualität einer Stadt. Niemand will günstige Wohnungen auf einem geballten Raum, das führt häufig zu Problemen, und die sozialen Schichten begegnen sich nicht mehr. Wohnen im städtischen Raum ist deshalb so erfolgreich, weil es Integrationen erlaubt. Neuankömmlinge brauchen Gelegenheiten, andere Menschen zu treffen.

Waibel: Ich fahre häufig mit dem Rad von Ottensen bis Wedel, da sieht man die ganze Palette der verschiedenen Wohntypologien. Ottensen ist durch eine Blockrandbebauung gekennzeichnet, sehr dicht, fünf Geschosse. Othmarschen hat viele Einzel- und Reihenhäuser, Richtung Blankenese wird es immer aufgelockerter, die Grundstücke und Häuser werden größer, da gibt es dann keine so große Durchmischung der Bevölkerung mehr, aber sie ist immer noch groß im Vergleich etwa zu London.

Kley: Zum Wohnen gehört auch das Umfeld. Wo kaufe ich ein, was für Treffpunkte, Kneipen, Parks gibt es, in denen ich Nachbarn treffen kann? In innerstädtischen Gebieten finden Sie das viel häufiger als in Wohnsiedlungen am Rande. Das Gefühl im öffentlichen Raum ist da ein ganz anderes. Mehr als zwölf Parteien in einem Haus, da fängt es schon an, anonym zu werden. Wir sind soziale Wesen, der Austausch ist essenziell für unsere Gemeinschaft. Städte sind daher auch die Keimzelle der Demokratie. Man lernt sich dort zu streiten mit Argumenten.

Auf dem Land kann man genauso streiten.

Kley: Ja, aber ob das dann so konstruktiv ist? Und wenn der einzige Schlachter vor Ort auf Sie sauer ist, dann befürchten Sie vielleicht, dort kein schönes Steak mehr zu bekommen.