Hamburg

Filmemacherin an der Sternschanze ins Gleis geschubst

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Daniel Herder
Regisseurin Monika Treut erhielt 2017 bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin den Spezialpreis der Teddy-Jury.

Regisseurin Monika Treut erhielt 2017 bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin den Spezialpreis der Teddy-Jury.

Foto: imago stock / imago/Seeliger

Aus heiterem Himmel attackiert eine psychisch kranke Frau Monika Treut. Die wird mit Beckenbruch gerettet.

Hamburg.  Monika Treut steht am vergangenen Donnerstagmorgen auf Bahnsteig 2 im S-Bahnhof Sternschanze. Die renommierte Hamburger Filmemacherin wartet gerade auf die nächste Bahn, als eine 56 Jahre alte Frau an ihr vorbeigeht. Der Angestellte eines Kiosks auf dem Bahnsteig kennt die Frau. Er wird später aussagen, dass er sie fast jeden Tag dort gesehen habe. Er sei davon ausgegangen, dass sie irgendwo im Schanzenviertel arbeitet.

Doch am 1. November führt die Frau etwas ganz anderes im Schilde.

Sie hatte doppelt Glück

Es ist kurz nach sieben Uhr, als die 56-Jährige Monika Treut von hinten einen kräftigen Schulterstoß versetzt und sie so ins Gleisbett schubst. Unvermittelt und ohne ersichtlichen Grund. Doch Monika Treut hat an diesem Morgen doppelt Glück: Die S-Bahn ist noch nicht in der Nähe. Und dann sind da noch mindestens zwei junge Männer, die sofort reagieren. Die ins Gleisbett klettern und die unter starken Schmerzen leidende Künstlerin auf den Bahnsteig hieven. Vom Notarzt begleitet wird Monika Treut ins Unfallkrankenhaus Boberg gebracht.

Unterdessen nehmen Bundespolizisten die Angreiferin fest. Sie soll auf dem Bahnsteig noch gebrüllt haben „ich war das nicht, ich war das nicht“, berichtet ein geschockter Zeuge. Doch Aufnahmen einer Überwachungskamera, die nach der Tat von den Beamten ausgewertet worden sind, überführen die 56-Jährige eindeutig.

Noch auf dem Bahnsteig nehmen sie die Frau fest, bringen sie auf die Wache. „Sie war nicht wirklich ansprechbar und hat einen sehr verwirrten Eindruck gemacht“, sagt ein Bundespolizist. Kurz darauf bestätigen Angehörige der Täterin den Beamten telefonisch, was sie ohnehin vermutet haben: Die 56-Jährige sei psychisch auffällig. Zu diesem Ergebnis kommt auch ein herbeigerufener Amtsarzt, der sie nach der Untersuchung noch am gleichen Tag in eine psychiatrische Einrichtung einweist.

Die Bundespolizei ermittelt gegen die Angreiferin nun wegen gefährlicher Körperverletzung. Ein versuchtes Tötungsdelikt werde ihr gegenwärtig nicht zur Last gelegt, zumal zum Zeitpunkt der Attacke keine S-Bahn an Bahnsteig 2 eingefahren sei und damit keine unmittelbare Lebensgefahr bestanden habe, sagt Bundespolizeisprecher Rüdiger Carstens.

Polizei sucht Zeugen

Allerdings wird die Staatsanwaltschaft prüfen müssen, ob die 56-Jährige den Tod ihres Opfers zumindest billigend in Kauf genommen hat. Die Bundespolizei sucht noch nach den zwei oder drei Männern, die Monika Treut aus dem Gleisbett gerettet haben. Von ihnen erhoffen sich die Ermittler weitere Einzelheiten zum Tathergang. Die couragierten Zeugen werden gebeten, sich unter der Telefonnummer 040/66 99 50 55 55 bei der Bundespolizei zu melden.

Treut sehr oft für ihre Arbeit ausgezeichnet

Monika Treut, die bei dem ungebremsten Sturz auf die Gleise einen Beckenbruch erlitt, liegt seit Donnerstag im Krankenhaus und erhält gegen die Schmerzen starke Medikamente. Die Regisseurin gilt als Pionierin des Queer-Films – sie hat sich mit Dokumentarfilmen einen Namen gemacht, die die Grauzone zwischen den Polen Männlich und Weiblich ausleuchten. Der erfolgreichste von ihnen ist der 1999 entstandene „Gendernauts“. Für ihre engagierte Arbeit ist die international hochgeachtete Filmemacherin mehr als ein Dutzend Mal ausgezeichnet worden und war bereits 2003 für den Grimme-Preis nominiert.

Die Bundespolizei kann nach eigenem Bekunden Straftaten durch psychisch kranke Menschen – wie Treut sie erleiden musste – nicht verhindern. Werde aber wie in diesem Fall eine Person verletzt, kümmere sich „die Bundespolizei nicht nur um die Abwehr weiterer Gefahren, wie hier durch Einweisung der Täterin über einer Facharzt in eine Fachklinik und die entsprechende Strafverfolgung, sondern insbesondere auch um die Betreuung der Geschädigten durch unseren Opferschutzbeauftragten“, so Sprecher Rüdiger Carstens.

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