Neustadt

Mit dem Elektrorad mühelos durch Hamburg

| Lesedauer: 6 Minuten
Sebastian Becht

Auch in der Hansestadt nutzen immer mehr Menschen ein E-Bike, um zum Arbeitsplatz oder durch die Stadt zu kommen – ein Selbstversuch

Neustadt. Gerade in den heißen Sommermonaten stellt sich vielen Hamburgern jeden Morgen auf ein Neues die Frage: Mit dem Fahrrad zur Arbeit pendeln oder doch lieber ohne Schweißflecken im Büro ankommen? Mit einem Pedelec ist beides möglich. Die Elektrofahrräder werden von Jahr zu Jahr beliebter. Ich wollte herausfinden warum und habe es ausprobiert. Fazit: überzeugt!

Als ich mit meinem geliehenen „Upstreet“ vom Schweizer Hersteller Flyer mit knapp 30 km/h um die Alster radele, staunen die anderen Radfahrer nicht schlecht. Entspannt trete ich in die Pedale und bewege mich doch wie von Geisterhand deutlich schneller voran als alle anderen. Den Elbberg in Altona erklimme ich ohne einen Hauch von Anstrengung mit flotten 25 km/h und auch nach jeder roten Ampel lasse ich selbst die Rennradfahrer im Windschatten zurück, sobald das grüne Licht aufleuchtet – zumindest für die ersten Meter. Bereits nach ein paar Stunden mit meinem neuen Fortbewegungsmittel bin ich von meiner anfänglichen Skepsis befreit, habe mich zu einem Pedelec-Enthusiasten gewandelt – und ich bin damit nicht alleine.

Die Anzahl verkaufter Pedelecs nimmt deutschlandweit rasant zu. Erstmals haben E-Bikes im vergangenen Jahr nach Berechnungen des Kölner Marktforschungsinstituts IFH die herkömmlichen Zweiräder übertroffen. Mit einem Anteil von 51 Prozent am Gesamtumsatz sei mehr als die Hälfte des Branchenumsatzes auf die neuen Trend-Räder entfallen. „Die Steigerungsraten sind immens“, sagt auch Siegfried Neuberger. Der Geschäftsführer des Zweirad-Industrie-Verbands ist wie viele in der Branche begeistert von dem Boom. Im Jahr 2017 wurden 720.000 E-Bikes verkauft. Eine Steigerungsrate von 19 Prozent. Für 2018 prognostiziert seine Vereinigung bis zu 900.000 verkaufte Fahrräder mit Elek­trounterstützung.

Von dem Aufschwung profitiert auch Bernd Repenning. Der Inhaber von Erfahre Hamburg verleiht und vermietet in unmittelbarer Nähe der Elbphilharmonie E-Bikes, Pedelecs und S-Pedelecs. Der Experte kann mir auch den Unterschied erklären: „Bei einem E-Bike­ braucht der Fahrer theoretisch gar nicht in die Pedale zu treten. Bei den Pedelecs findet dagegen lediglich eine Tretunterstützung statt.“ Für die bis zu 45 km/h schnellen S-Pedelecs und E-Bikes ist ein Versicherungskennzeichen notwendig (Kostenpunkt etwa 70 Euro pro Jahr), der Fahrer muss mindestens 16 Jahre alt und im Besitz einer Fahrerlaubnis der Klasse AM sein. Außerdem herrscht Helmpflicht, und es ist verboten auf Fahrradwegen zu fahren. Die Pedelecs dagegen unterstützen den Fahrer lediglich bis 25 km/h und sind rechtlich einem Fahrrad gleichgestellt. Auch deshalb habe ich mich für diese Variante entschieden. Schließlich möchte ich Hamburg mit meinem Elektrorad nicht nur auf den Straßen, sondern auch auf den Radwegen entlang der Elbe und um die Alster erkunden.

Bei Erfahre Hamburg bekomme ich zu meinem Rad noch Karten mit verschiedenen Routenvorschlägen und entscheide mich für einen Mix aus der Blankenese-Tour und dem Alsterlauf. Von der Elbphilharmonie aus geht es entlang der Elbe in Richtung Blankenese mit seinem einzigartigen Treppenviertel. Mit kleinen Umweg über den Altonaer Volkspark, geht es wieder stadteinwärts. Vorbei an Planten un Blomen, einmal um die Außenalster und durch den Stadtpark. Mit der Zeit habe ich mich an die elektronische Unterstützung soweit gewöhnt, dass es mich verwundert, warum mir das Anfahren auf einmal so schwer fällt, als sich der Motor nach einer kurzen Kaffeepause selbstständig in den Ruhezustand versetzt hat. Das Pedelec erweist sich als eine tolle Lösung, um Hamburg bequem und schnell zu erkunden.

Davon profitieren auch Touristen, die keine Lust auf eine Stadtrundfahrt mit dem Bus haben. „60 Prozent der Kunden, die bei uns ein Bike leihen, kommen nicht von hier“, sagt Entdecke- Hamburg-Chef Repenning. Die restlichen 40 Prozent würden ihre Heimat gerne auf eine andere Art erkunden oder die Geräte einfach mal ausprobieren wollen. Was durchaus Sinn macht, bei einem Kaufpreis von mindestens 3.000 Euro für ein neues Modell. Die Gebrauchten werden zum Ende jeder Saison für bis zu 30 Prozent günstiger abgegeben. Trotzdem noch ein stolzer Preis – gerade auch für jüngere Radler.

Dem angeblichen Vorurteil, dass E-Räder hauptsächlich was für ältere Menschen wären, widerspricht Repenning entschieden. „Unsere Kundschaft im Verleih ist im Schnitt etwa 30 bis 35 Jahre alt.“ Der Trend würde ganz klar in Richtung junge Menschen gehen. Besonders zum Pendeln, aber auch für sportliche Aktivitäten bieten sich die Antriebsmaschinen an. Laut dem Zweirad-Industrie-Verband haben die E-Mountainbikes mittlerweile einen Anteil von 22 Prozent am Markt – Tendenz steigend. Momentan seien aber noch immer Senioren die größte Zielgruppe.

Was auch zu Problemen führt. „Die Zahl der Unfälle mit E-Bikes steigt stetig an. Von 2016 zu 2017 sind die Unfälle mit Personenschäden um 31 Prozent gestiegen“, sagt Unfallforscher Siegfried Brockmann. Das Argument, dass auch mehr E-Räder verkauft würden, zieht bei ihm nicht: „Die Unfallrate steigt schneller als die Verkaufszahlen“, sagt der Leiter der Unfallforschung der Versicherer und nennt als Hauptgrund die Gruppe der Senioren. Der Umschwung zu jüngeren Käufern sei zwar zu beobachten, momentan seien aber noch immer die älteren Semester Hauptzielgruppe. Im Vergleich zum normalen Fahrrad gebe es einen deutlich höheren Anteil an Unfällen, die auf den Verlust der Kontrolle zurückzuführen sind. Der Geschwindigkeitsgewinn würde bei Senioren zu Handhabungsproblemen und damit verbundenen Stürzen führen.

Sicherheitstraining reduziert Unfallgefahr

Um die Zahl der Unfälle zu reduzieren, bietet der E-Bike-Sicherheitstrainer Matthias Faber seit Februar Fahrtrainings in Hamburg an. „Verlängerte Bremswege durch ein höheres Systemgewicht, die schnellere Beschleunigung und eine erhöhte Höchstgeschwindigkeit sorgen für einen Anstieg der Unfallzahlen“, sagt der hauptberufliche Fahrradindustrie-Berater, der schon die 1996 neu gegründete Fahrradstaffel der Hamburger Polizei in ihren ersten Jahren trainiert hat. Der studierte Sportwissenschaftler bietet Übungen für Fahranfänger und Fortgeschrittene mit eigenen oder Leihrädern an. Für Senioren vermutlich eine gute Idee. Ich aber fühle mich auf meinem neuen Lieblingsfortbewegungsmittel ausgesprochen sicher, während ich trotz gemütlichen In- die-Pedale-Tretens an all den konventionellen Rädern vorbeiziehe.

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